Fotos: Dr. KB
Interview mit Magnus Vigilius von Dr. Klaus Billand
Während des Festivals an der Leipziger Oper WAGNER 22, bei dem zum Abschied von Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer vom 20. Juni bis 14. Juli diesen Jahres alle 13 Bühnenwerke des Bayreuther Meisters in chronologischer Reihenfolge aufgeführt wurden und das sich größtem internationalem Publikumsinteresse erfreute, konnte ich den dänischen Tenor Magnus Vigilius interviewen.
Ich hatte ihn nun in Leipzig als Stolzing in den „Meistersingern von Nürnberg“ erlebt. In der Bayreuther Kratzer-Produktion des „Tannhäuser“ verkörperte er 2021 den Walther von der Vogelweide. Ende August hat Vigilius in Esbjerg in einer Neuinszenierung erstmals den „Siegfried“ gesungen, nach seinem ersten Siegmund 2017 ebendort, für den er zum „Sänger des Jahres“ gewählt wurde und der seine Karriere wesentlich beeinflussen sollte. Vor kurzem ist er auch in der neuen „Walküre“ von Andreas Homoki in Zürich als Siegmund eingesprungen. Ein Parsifal in Budapest und die „Meistersinger“ in Prag mit John Lundgren als Sachs fielen Covid-Absagen zum Opfer.
Besonders beeindruckt hatte mich Vigilius aber mit seiner Interpretation des „Lohengrin“ im April diesen Jahres in Meiningen. Er verkörperte den Lohengrin dort viel aktiver oder gar exekutiver als andere Rollenvertreter, mit einer charakterlich stark in seiner Mission verankerten, gleichwohl aber auch hochemotional gestalteten Interpretation. So wirkte er äußerst authentisch und souverän. Und dabei er war eingesprungen mit nur zwei Tagen Proben! Magnus Vigilius verfügt über einen bestens geführten, eher schlanken, hell timbrierten und dennoch ausdrucksstarken Tenor mit einer lyrisch-baritonalen Note und gutem Legato. Das kommt dem astralen Charakter des Schwanenritters auch mit der absoluten Höhensicherheit des Sängers sehr entgegen. Zudem setzte er eine Mimik ein, die der jeweiligen Situation vollkommen entsprach. Gründe genug also, sich einmal näher mit diesem interessanten Sängerdarsteller zu befassen.
Die Anfänge
Er wuchs in einer großen Familie mit fünf Geschwistern auf, der Vater war Theologe, überwiegend als Lehrer tätig. Man sprach zu Hause also viel über das Christentum. Mit elf Jahren begann Magnus Euphonium in einer Brass-Band zu spielen, ein Blechinstrument ähnlich einer Posaune. Es sieht wie eine kleine Tuba aus. Das war über einige Jahre sein Beginn mit der Musik. Im Gymnasium sang er dann im Chor als Tenor, da er schon gut hohe Noten singen konnte, da war er um die 16. Später studierte er Musikologie und Religion auf der Universität in Kopenhagen, denn er wollte Lehrer werden. Ihn interessierte aber mehr das Phänomen der Religion, nicht das Christentum an sich. Pfarrer hätte er nie werden wollen.
Wie kam er zum Operngesang?
In seinem Musikstudium im Fach Musiktheorie sprach ihn ein Lehrer während der Gesangsstunde an und empfahl ihm, sich auf der Akademie zu bewerben und meinte, er sei ein Bariton. So ging er auf das Königliche Musik-Konservatorium in Kopenhagen. Er sieht sich heute, mit 48 Jahren, mehr als lyrisch-dramatischen Tenor. Aber er glaubt fest daran, dass er mit Rollen wie Siegmund und Siegfried weiter wachsen wird, obwohl er einen großen Respekt gerade vor dem Siegfried hat. Aber es ist ihm auch bewusst, dass Wagner auch den Siegfried sehr sängerfreundlich komponiert hat. „There are more pianos in his score than in many others.“
Schauspieler oder Opernsänger?
Zu Beginn hatte er keinen großen Erfolg auf der Musikschule, zumal er auch nie eine Oper erlebt hatte, als er klein war. So war er etwas ignorant gegenüber der klassischen Musik. Die Audition war gut, aber er kam nur auf eine Warteliste des Konservatoriums, das er schließlich vier Jahre lang besuchte. Aber sein Interesse galt, de facto, mehr dem Schauspiel. Da er nicht so viel Spaß am Singen hatte, versuchte er also, auf die Schauspielschule zu kommen, was aber – „leider“ – nicht gelang. Dabei glaubt Magnus Vigilius, dass gut erlerntes Schauspiel sehr viel beim Singen und sängerischen Ausdruck helfen kann, wie auch vice-versa. (Höchstwahrscheinlich ist diese ursprüngliche Neigung zum Schauspiel der Grund dafür, dass Vigilius ein so akzentuierter Sängerdarsteller geworden ist. Anm. d. Verf.). Für ihn ist Oper in der Tat Musiktheater mit Betonung auf beiden Teilen.
Erste Auftritte
Dann fing er an, vor allem in Dänemark in Musicals aufzutreten. Zum Beispiel „Phantom der Oper“ 2001 in Kopenhagen. Für mehrere Jahre sang er sowohl Musiktheater wie auch Musicals, vornehmlich noch in kleineren Häusern. Es sang Mozart, Donizetti, aber auch neuere Opern. Es gab viele Konzerte, und er agierte auch manchmal als Schauspieler. Es war also zu Beginn alles andere als klar, wohin er sich entwickeln würde. Das war etwas verwirrend, und mit einen humoristischen Grundton meint er: „In the opera world in Denmark I was the musical singer who wanted to sing in the opera and in the musical theatre world I was the opera singer who wanted to sing in the musical theatre.”
Start der Opern-Karriere
So hatte er noch keinen großen internationalen Erfolg. Die Opern-Karriere startete dann aber 2008/09 mit Puccini, wobei er merkte, dass ihm das sehr lag – Rodolfo, Pinkerton, Cavaradossi, aber auch Don José, immer aber in kleineren dänischen Häusern wie Odense, und auch auf Dänisch.
Im Jahre 2014 gab es einen internationalen Wagner-Gesangswettbewerb in Aalborg. Der dänische Heldentenor Poul Elming leitete diesen Wettbewerb, auch als Direktor des Aalborg Symphonieorchesters. Der Wettbewerb nannte sich Lauritz-Melchior International Singing Competition. Die erste Ausgabe war schon 2011, von der er gehört hatte. Er beschloss, sich 2014 anzumelden, weil Freunde ihm gesagt hätten, er solle Wagner singen. Dabei mochte er Richard Wagner nicht, nach all dem, was er bisher von ihm gehört hatte. Aber er hielt auch die Musik für schwierig zu singen, zu viel Information, sehr kompakt die Musik mit den Geschichten, manchmal etwas seltsame Inhalte. „Much to take in for a young singer!“ In seinen späten 30-ern wollte er es dann aber versuchen und endlich auch mal beweisen, dass er Oper singen kann und lacht dabei herzlich. Der Wettbewerb ging denn auch sehr gut. Er machte den 2. Platz und gewann den Orchesterpreis. Ein riesiger Erfolg für ihn, allein schon, dass er überhaupt angenommen wurde. Denn in Dänemark genoss er nicht den Respekt eines seriösen Opernsängers. So wurde der Wettbewerb ein großer Wendepunkt.
Agent und Lehrerin
Er bekam auch einen Agenten, der ihm eine Lehrerin verschlug, und zwar Elena Kerl, die Frau des Heldentenors Torsten Kerl. Seit jener Zeit arbeitet er mit ihr zusammen. Elena Kerl ist nun dramatischer Sopran. Vorher hatte er lange Zeit mit niemandem studiert. Elena hilft ihm sehr mit seiner Technik, vor allem und gerade für Wagner. Seit 2014 geht es also „really well“. Seit 2009/10 war er immer schon free lance, niemals in einem Ensemble. Er sang verschiedentlich den Siegmund, unter anderem in Esbjerg, Lübeck, Kiel, beim Musikfestival Bratislava und am Teatro San Carlo in Neapel. Die Produktion der „Walküre“ in Helsinki wurde coronabedingt abgesagt. Später war er Siegmund im „Ring an einem Abend“ und Stolzing in Leipzig.
Internationale Engagements
Das erste internationale Engagement fand in Brünn statt, mit Stewa in „Jenůfa“. Der Dirigent, der auch in Prag dirigierte, schlug ihn in Brünn vor, sodass er dort Cavaradossi und Boris in „Katja Kabanova“ sang. Diese beiden Rollen verkörpert er seither sehr häufig. Hinzu kam die Tenorrolle in „Tagebuch eines Verschollenen“ von Leoš Janáček, ein an der Opéra national du Rhin in Strasbourg szenisch aufgeführter 22-teiliger Liederzyklus.
Zum Regietheater
In den „Meistersingern“ sieht er so etwas wie eine MeToo-Story, unter Bezug auf die Leipziger Inszenierung von David Pountney. Denn die Meistersinger setzen eine Frau als Preis aus… Die Inszenierung legt es in der Tat auch nahe, denn am Ende verlässt Eva fluchtartig die Bühne – allein! Wahrscheinlich wollen die Regisseure das Publikum nicht langweilen, meint er aber auch dazu. Eine furchtbare Erfahrung war für ihn seine erste Arbeit in Deutschland in einer Inszenierung von Michael von zur Mühlen in Halle mit „Aida“, in der er mit sehr guten Kritiken seinen ersten Radamès sang. „We had to forget all about the story and we were supposed to never act what we were singing but only what we were feeling. We were not supposed to sing to each other, and so on…” Magnus Vigilius meint dazu, dass die Regisseure das Beste aus den Sängern herausholen sollten.
Das Wichtigste in einer Oper ist nach seiner Überzeugung die Musik – der weitaus wichtigste Teil. Es ist viel wesentlicher, was man hört als was man sieht. Und die Regisseure sollten akzeptieren, dass nichts ohne die vokale Leitung der Sängerdarsteller geht. Das wissen aber auch die meisten Regisseure. Vigilius versucht bei entsprechenden Produktionen, auch in einen Dialog mit den jeweiligen Regisseuren zu dieser Thematik zu treten.
Was bedeutet Richard Wagner für ihn heute, nach den zweifelnden Anfängen?
Er begann, ihn zu lieben, als er begann, ihn zu singen. Es fühlte sich einfach so gut und weit für seine Stimme an! „It was like coming home…“ Zu Beginn sprach vor allem die Musik zu ihm mit ihren vielschichtigen Bedeutungen und ihrer großen Schönheit. Und sie liegt ihm vor allem wegen seines großen Interesses an dramatischer Darstellung im Rahmen eines logischen story telling, das sich immer weiter entwickelt. Und genau das bietet Richard Wagner. Speziell über „Die Walküre“ entstand seine große Liebe zu Wagner. Insbesondere der 1. Aufzug, der „wie eine Oper für drei Sänger mit dem Orchester in der vierten Rolle“ ist. So etwas erlebt man bei keinem anderen Komponisten, meint er mit dem Brustton der Überzeugung.
Weitere Pläne
Nun engagieren sie ihn fast nur noch für Wagner und Janáček, es ist zu schade!
Er liebt auch sehr neuere Opern, aber es gibt leider keine Anfragen bisher. So würde er gern einmal den Peter Grimes singen.
Er würde gern mehr Cavaradossi singen, den er an der Royal Opera Stockholm, in Malmö und Brno gesungen hat. Albert Gregor in „Več Makropulos“ kommt in Malmö und im Concertgebouw Amsterdam, Siegfried an der ENO London und Stolzing an der Royal Opera Kopenhagen.
Ich wünsche Magnus Vigilius viel Erfolg für seine weiteren Projekte und bin mir sicher, dass er uns insbesondere im Wagner-Fach noch lange erfreuen wird.
(Das Interview wurde auf Englisch geführt).
Dr. Klaus Billand, 3. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview mit Günther Groissböck, Bayreuther Festspiele 2021