Foto: Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor ©
Es grenzt an ein Wunder, nach einem Weinberg-Quintett und einem Schütz-Gesang noch Kraft für das Brahms-Requiem zu haben. Davon ließ sich weder die Musik noch das Publikum beeindrucken: Nach über zweieinhalb Stunden war der Beifall sehr groß.
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg
Bremer Philharmoniker
Hansjörg Albrecht, Leitung
Valentina Farcas, Sopran
Christian Gerhaher, Bariton
Elisaveta Blumina, Klavier
Werke von Heinrich Schütz, Mieczysław Weinberg und Johannes Brahms
Laeiszhalle Hamburg, 19. November 2022
von Johannes Karl Fischer
„Herr, lehre doch mich“, mit diesen Worten zündet Christian Gerhaher das musikalische Pulverfass des Abends in der Laeiszhalle. Dieser Bariton haut einen völlig vom Hocker: Kaum ist sein allmächtiger Klagemonolog zu Ende, schallt eine hochbegeisterte Energie durch den leider nicht komplett gefüllten Saal. Das waren Klänge so umschlingend, mitreißend, wie man sie sich von Profi-Orchestern mit Profi-Chören stets gerne wünschen würde…
Eine ganze Stunde Spannung, eine kurze Stunde Sog ohne Ende. Auch die Bremer Philharmoniker drehten selbst nach einem höchst anspruchsvollen Weinberg-Werk noch einmal richtig auf und komplettierten mit tönenden Pauken und Trompeten deutlich den begeisternden Klang. Plötzlich hat auch das Deutsche Requiem einen Stellenwert in meinen Brahms-Rankings.
Am zweiten Laeiszhallen-Abend in Folge (siehe Bericht vom 18. November 2022) war eine Einspringer-Sopranistin am Werk in der ehemaligen Musikhalle: Ihre äußerst knappe Rolle meisterte Valentina Farcas mit rundem und ergreifendem Sopran. Nach nicht einmal zehn Minuten durfte sie die Partitur schon wieder zuklappen, aber was waren das für acht denkwürdige Minuten himmlischen Gesangs! Sie will uns trösten, versetzt dabei das Publikum mit hinreißenden Melodien in Tränen, als würde sie selbst den lieben Gott um Erbarmung anflehen. Insgesamt zwei Ausnahme-SolistInnen am Werk, da wäre zweifelsfrei auch der Komponist und Namensgeber des Laeiszhallen-Vorplatzes begeistert gewesen.
Das gilt ebenso für den Chor, den Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg unter der energetischen und präzisen Stabführung von Hansjörg Albrecht: Dieser Klangkörper hat eine scheinbar unendliche Reserve an leidenschaftlichen Kräften, die die SängerInnen im Hintergrund eines hochmotiviert spielenden Orchesters voll entfalten konnten. Ein buntes Spektrum an Klangfacetten durfte natürlich nicht fehlen, als Requiem lebt das Werk auch von seinen ruhigen Atempausen. Ist das mit dem „Laienchor“ vielleicht ein Tippfehler? Da hatte Eberhard Friedrichs Truppe am Gänsemarkt (Staatsoper Hamburg) schon deutlich schwächere Abende.
Gefordert war bereits zum ersten Chorton „Selig sind, die da Leid tragen“ neben den Musizierenden auch das Publikum. Denn vor dem Brahms’schen Mammutwerk gab es das Klavierquintett von Mieczysław Weinberg. Keine leichte Kost, auch wenn in dieser Fassung für Streichorchester die Emotionen des 1944 komponierten Werk etwas abgemildert waren. Elisaveta Blumina meisterte den hochvirtuosen Klavierpart mit Bravour, die kurze Zugabe war wie eine köstliche Kugel Sorbet nach einer sättigenden Vorspeise.
Ebenso anspruchsvoll war die akustische Aufstellung in dem eröffnenden A-cappella-Chorwerk „Selig sind die Toten“ von Heinrich Schütz. Aus dem zweiten Rang singend schienen die ChorsängerInnen sehr auf Noten konzentriert, nächstes Mal vielleicht doch lieber auf der Bühne? Trotzdem eine wunderbare musikalische Werkeinführung, das geistliche Werk des Hamburger Romantik-Meisters.
Es grenzt an ein Wunder, nach einem Weinberg-Quintett und einem Schütz-Gesang noch Kraft für das Brahms Requiem zu haben. Davon ließ sich weder die Musik noch das Publikum beeindrucken: Nach über zweieinhalb Stunden war der Beifall sehr groß.
So bringt man das Brahms Requiem zum Klingen!
Johannes Karl Fischer, 20. November 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at