Foto Concertgebouworkest o.l.v. Herbert Blomstedt, Copyright: Eduardus Lee
Janine Jansen, Herbert Blomstedt und das Concertgebouworkest mit Mozart und Bruckner
Janine Jansen, Violine
Concertgebouworkest
Herbert Blomstedt, Dirigent
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) – Violinkonzert Nr. 4 D-Dur KV 218
Anton Bruckner (1824-1896) – Sinfonie Nr. 4 Es-Dur, Romantische
Amsterdam, Concertgebouw, 19. Januar 2023
von Dr. Brian Cooper
Während ich gestern im Concertgebouw Mozarts viertem Violinkonzert und der anschließenden Bach-Zugabe Janine Jansens lauschte, dem F-Dur-Largo aus der C-Dur-Sonate BWV 1005, kam mir der Gedanke, diese beiden Komponisten könne man quasi als Grundnahrungsmittel für alle Geigerinnen und Geiger betrachten.
Dabei wären die sechs Sonaten und Partiten von Bach das lebenswichtige Wasser. „Nicht Bach – Meer sollte er heißen“, dieses Zitat schreibt man ja Beethoven zu. Passt also. Und die fünf Violinkonzerte sowie die Sinfonia concertante Mozarts könnten das Mehl sein… Aus Wasser und Mehl kann man schon was herstellen. Für manche ist Mozart zwar eher der Zucker, aber ob das ein Grundnahrungsmittel ist?
Derlei Merkwürdigkeiten, darunter durchaus auch gern mal viel Unsinn, gehen einem durch den Kopf, während man Musik lauscht. Geben Sie es ruhig zu, Ihnen passiert das auch.
Janine Jansen entdeckte ich vor rund 20 Jahren in einem Kammermusikabend mit Itamar Golan und Mischa Maisky, und ich war sofort angetan von ihrem herrlichen Geigenton. Den hat sie selbstredend noch immer. Vor ein paar Wochen spielte sie ganz wundervoll in Köln Prokofjews erstes Violinkonzert – damals gab es dieselbe Zugabe. Und nun also im Amsterdamer Heimspiel Mozart.
Ob langsame Kantilene, spiccato, Kadenz oder eine Melodie in höchster Lage: Janine Jansen schafft es, einen Konzertsaal ganz auszufüllen. Dabei spielt sie mit phänomenaler Bogenführung, intensivem und beseeltem Ton, sehr viel Körpereinsatz und großem Aktionsradius. (Dieses Wort lernte ich jüngst beim Kauf eines Staubsaugers kennen, Loriot hätte seine Freude dran gehabt.) Sie ist eins mit ihrer Geige, und egal, was sie spielt, es ist stets ernsthaft und stets voller Herzblut.
Von Herbert Blomstedt und dem klein besetzten Concertgebouworkest sensibel und sehr aufmerksam begleitet, drang die Schönheit jeder Mozart’schen Note in alle Winkel des Saals.
Die große Besetzung folgte nach der Pause. Bruckners Romantische wurde, wie eine Woche zuvor in München, in der geläufigen zweiten Fassung (1878/1880) aufgeführt. Amüsante Parallele: In München wie in Amsterdam saß vor mir eine ältere Dame (nicht dieselbe!), die sich an den lauten Stellen die Ohren zuhielt.
Aber es geht ja leise los in dieser Vierten, diese Musik kommt aus der Stille, und man weiß zu Beginn gar nicht, ob das Orchester schon spielt oder nicht… Und dann das Hornsolo, von Katy Woolley traumwandlerisch sicher und vor allem auch traumhaft schön gespielt, nein: gestaltet. Wer eine solche Solohornistin in seinen Reihen hat, der darf sich unbändig freuen, wenn Bruckners Vierte oder Tschaikowskys Fünfte mal wieder auf dem Programm steht. Oder Mahlers Sechste, wie im vergangenen Sommer.
Herbert Blomstedt, inzwischen 95, wirkte agil in seinen insgesamt spärlichen Gesten. Die Schönheit und Eleganz seiner Handbewegungen – er dirigiert ohne Stab und hat vor sich eine zugeklappte Partitur – war besonders im zweiten Satz zu sehen: Diese Gestaltung der Phrasen, und wie das alles vom Orchester umgesetzt wird, das war einfach atemberaubend schön. Alle Gruppen – Holz, Blech, Streicher – agierten auf Weltklasseniveau.
Und da kam mir noch ein Gedanke: Weckte man mich nachts um drei und fragte mich, was denn in rund 35 Jahren Konzertgängerei das Erfüllendste sei (ein unwahrscheinliches Szenario, aber ich sprach ja bereits oben von Unsinn), dann würde ich ohne Weiteres antworten: Das Concertgebouworkest regelmäßig zu hören, vor allem in Amsterdam. Genau so soll sinfonische Musik klingen. Und seit etwa 20 Jahren habe ich das Glück, die Amsterdamer regelmäßig zu hören. Für mich ist das der Idealklang. Vollkommenheit. Schönheit.
Etwas unruhig war leider an diesem Donnerstagabend das Publikum, es wurde viel gehustet und um mich herum auch gequasselt, aber insgesamt geht es in Amsterdam sympathisch zu, man weiß sich zu benehmen (das ist den Menschen wichtiger, als sich für ein Konzert aufzubrezeln), man kommt leicht miteinander beim koffie ins Gespräch, alles ist sehr locker und freundlich. So sollte es sein. Und das Publikum ist bemerkenswert jung, man sieht viele Pärchen und einzelne junge Leute.
Und dann diese Tradition der standing ovations. Schon zur Pause stand man für Janine Jansen auf, und nach dem Bruckner wurde Herbert Blomstedt geradezu bejubelt wie ein Rockstar.
Ich war noch nie in Amsterdam oder Rotterdam in einem schlechten Konzert; daher weiß ich nicht, ob man das wirklich nach jedem Konzert macht. Auf alle Fälle ist es ein sympathischer Zug des Publikums in den Niederlanden, Dankbarkeit nicht nur in Form von herzlichem Applaus zu zeigen.
Angesichts der interessanten Diskussion, die sich unter meinem Beitrag „Warum ich nie wieder die Philharmonie de Paris betreten werde“ entsponnen hat, lohnt vielleicht im Zusammenhang mit dem Amsterdamer Concertgebouw die Erwähnung der interessanten Ansage vor Konzertbeginn: Es wird darum gebeten, Telefone stummzuschalten und nicht während des Konzerts zu gebrauchen – explizit wegen des Bildschirmlichts. Das scheint hier (noch) zu helfen.
Dr. Brian Cooper, 20. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Janine Jansen, Martha Argerich, Mischa Maisky, Elbphilharmonie Hamburg
„In München wie in Amsterdam saß vor mir eine ältere Dame (nicht dieselbe!), die sich an den lauten Stellen die Ohren zuhielt.“
Dazu eine Anekdote, die schon lange im Frankfurter Raum kursiert. Die Konzerte des Frankfurter Opernorchesters finden immer sonntags um 11:00 h und montags um 20:00 h statt. Das 11:00 h Konzert wird auch als „Perlenkettenkonzert“ verspottet, da es von einer großen Anzahl älterer alleinstehender Damen besucht wird, die abends nicht gerne ins Konzert gehen.
In den 50er-Jahren soll sich um 11:00 h folgendes zugetragen haben. Der Dirigent hat „was Modernes“ aufs Programm gesetzt, eine Brucknersinfonie. Und wie das bei Bruckner so ist, eine großangelegte längere Steigerung führte vom pp ins ff um dann subito abzubrechen und sich erneut aufzubauen. Mitten in die plötzliche Stille nach dem ff soll man in der peinlich entstandenen Pause im Parkett gehört haben: „Und ich back sie in reiner Butter.“
Prof. Karl Rathgeber
Sehr geehrter Herr Professor Rathgeber,
vielen Dank für diese herrliche Anekdote, ich habe laut gelacht!
Herzlich,
Ihr Brian Cooper