Foto: Camilla Nylund, Dmitry Golovnin © Monika Rittershaus
Die Zeiten der Extraklasse sind zurück an der traditionsreichen Hamburgischen Staatsoper. Star-Sopranistin Camilla Nylund triumphiert in ihrem jüngsten Rollendebüt, begleitet wird sie von einem allesamt herausragenden Ensemble an Gesang und Orchester. Die nahezu singuläre Stellung dieser Premiere – Schostakowitschs Meisteroper bleibt leider eine Rarität auf den meisten Opernspielplänen – geht im Premierenjubel völlig unter. Meckerfritzen haben es in der Dammtorstraße meist nicht schwer. Heute finden selbst sie einfach nichts auszusetzen.
Леди Макбет Мценского уезда (Lady Macbeth von Mzensk)
Musik von Dmitri Schostakowitsch
Libretto von Alexander Preis und Dmitri Schostakowitsch nach Nikolai Leskow
Staatsoper Hamburg, 22. Januar 2023 PREMIERE
von Johannes Karl Fischer
Man sagt über Luciano Pavarotti, er konnte mit einem halben Stimmband ganze Chöre von den größten aller Bühnen verdrängen. Lang vor meiner Zeit war das. Liebe Camilla Nylund, am 26. Juni 2022 haben Sie in Zürich Ihr Rollendebüt als Isolde gegeben. Ich saß in der ersten Reihe, in der Mitte. Noch nie zuvor war ich 5 Stunden lang in einem so wundervollen Klangozean baden gegangen. Bis vor zwei Tagen, als Sie ihr drittes Rollendebüt – drei völlig unsingbare Partien – in sieben Monaten gegeben haben.
Sie singen die Titelrolle der Katerina, als würden Sie mit einem Liebestod – die emotionalsten, lustvollsten acht Minuten der Opernwelt – beginnen. Und noch einen, nein, mindestens zwei oder drei drauflegen. Ein dreistündiger Klangrausch für Sopran, Orchester und viele andere ebenfalls fabelhafte Stimmen. Man kann die ganze Zeit nur auf der vordersten Kante seines Platzes sitzen und sich in den Strudel der Emotionen dieser sozial unterdrückten, racheerfüllten Titelrolle saugen lassen. Ihre Stimme zieht ganze Häuser und Hallen in ihren Bann, sie treibt das Stadttheater am Gänsemarkt zu bislang völlig ungewohnten Spitzenleistungen.
Mit Angelina Nikonovas Inszenierung bleibt die Brutalität der Handlung dem Publikum nicht erspart. Die Vergewaltigung Aksinjas wird zur Folterstunde, Sergej bedrängt seine Geliebte bis in das hochkant stehende und damit sämtlich Schlafszenen exponierende Bett. Die Offiziere in Uschanka-Pelzmützen, der letzte Akt im polaren Eismeer. Ein wenig Banalität könnte man dem Szenischen zum Vorwurf machen. Von den ganz heiklen Themen – Politik etwa – hält die russische Regisseurin auch Abstand. Aber sie tut ihren Dienst. So kann man das auch gerne wieder zeigen.
Und bitte auch mit einer quer durch alle Rollen so herausragenden Gesangsbesetzung! Marta Swiderskas Sonjekta spielt zwar nur eine sehr kurze Rolle in dieser Oper, aber umso beherrschender singt auch Katerinas Konkurrentin. In der polaren Kälte des sibirischen Eismeers strahlt ihr kraftvoller Mezzosopran eine wundervolle Wärme durch den Saal! Tigran Martirossian ist zurück in alter Form, singt den alten Priester wie ein weiser Gelehrter. Als Polizeichef ist der stimmstarke Bariton Karl Huml im Einsatz und jagt den Verbrechern die Furcht in die Fersen! Auch die anderen – sehr zahlreichen – Nebenrollen sind alle wunderbar besetzt. Das ist die wahre Klasse dieses Hauses.
Dann wären da ja noch die Tenöre – die klassischen Helden einer Oper. Gleich zwei sind es bei Schostakowitsch. Dmitry Golovnins Sergej kämpft mit heller Stimme wie ein Held, erst um, dann mit und schließlich gegen Katerina. Vincent Wolfsteiner als ihr rechtlicher Ehemann Sinowji meistert auch seine Aufgabe souverän, man merkt, dass er letztendlich der verlängerte Arm seines bösen Vaters ist. Denn dieser – Boris – ist der Dämon dieser Oper. Alexander Roslavets drohende Bass-Stimme passt prima in die Rolle, leider – aus stimmlicher Perspektive – erliegt er nach kurzer Zeit der Rache seiner Schwiegertochter. Drei wunderbare Sänger, die sich alle von der Titelheldin niedersingen lassen dürfen. Die größte Ehre des Abends!
Und was ist eigentlich mit diesem Staatsorchester passiert? Nach einer ersten Hälfte mit viel Leerlauf ging es nach der Pause auch unter Kent Nagano endlich mal so richtig zur Sache: Packend, mitreißend, Schostakowitschs Emotionen im Schatten Stalins eben – oder auch Serebrennikov vor Putin flüchtend. Christian Seibolds schier endlose und humoristischen Es-Klarinetten-Soli waren die Spitze der Krönung zu einem verdienten Sieg in der Opern-Königsklasse. Die Belohnung: Kein einziger Buh-Ruf für Nagano und sein Team im Graben. Nur begeisterter Beifall. Das gab es bei einer Gänsemarkt-Premiere seit vielen Jahren nicht mehr!
Im November schrieb ich über eine neue Fidelio am Derby-Gegner in der Bismarckstraße: „Für eine Premiere hätte die Stimmung insgesamt besser sein können.“ Wie zum Beispiel hier. Das war mal eine Hammerstimmung, das Hamburger Haus bebt, sobald Frau Nylund die Bühne zum Applaus betritt. Sparsam war auch der Beifall nicht für auch die restlichen ebenfalls wunderbar singenden DarstellerInnen. Auch die obligatorischen Regie-Buhs durften natürlich nicht ausbleiben. Sonst wäre es keine Premiere gewesen.
Dieses Haus kann Schostakowitsch. Und wie. Undenkbar, dass hier vor vielen Jahren einst dieser Musik ihre Muttersprache geraubt und in deutscher Übersetzung dargeboten wurde. Herr Delnon, bitte setzten Sie sofort diese unsäglich andere Schostakowitsch-Produktion – Premiere 2019 – ab. Eine derartige Nase hat hier niemand verdient.
Und Königin Camilla Katerinas nächste Aufgabe? Zurück nach Zürich, um einem gewissen Dithmarscher Althornisten das Fürchten zu lehren!
Johannes Karl Fischer, 23. Januar 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk, Evelyn Herlitzius, Deutsche Oper Berlin
Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk, Bayerische Staatsoper