„Ich hasse Wagner, aber auf Knien!“

Hör-CD Rezension: Wagner – Feuerzauber Weltenbrand. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein  klassik-begeistert.de 1. Februar 2023

Wagner – Feuerzauber Weltenbrand. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein

4 CDs

BR-KLASSIK 900903. Erhältlich im Handel und im BR-Shop


von Dr. Andreas Ströbl

Zwar ist Jörg Handsteins Hörbiographie über unser aller Richard bereits 2012 erschienen, aber, um den österreichischen Dramaturgen Marcel Prawy zu zitieren: „Richard Wagner wurde am 22. Mai 1813 geboren und ist niemals gestorben“. Daher kann es auch nicht schaden, auf eine Produktion noch einmal aufmerksam zu machen, die das Immer-wieder-Hören allemal lohnt.

Je mehr man sich mit Wagner befasst, desto öfter stößt man auf Abstoßendes. Ein Beispiel anlässlich eines aktuellen Geburtstages, nämlich dessen Carl Gottlieb Reißigers am 31. Januar 1798, ist nur eines von zu vielen. Der Kapellmeister, Komponist und Musiker hatte den „Rienzi“ aus der Taufe gehoben und noch 1852, als Wagner schon seit drei Jahren steckbrieflich wegen revolutionärer Umtriebe gesucht wurde, dessen „Tannhäuser“ aufgeführt. Diese schon gefährliche Loyalität lohnte ihm der „Meister“ später schlecht, als er ihm Unfähigkeit und Ehrlosigkeit attestierte.

Man wünscht sich als gleichzeitig glühender und vor Fremdscham sich windender Wagnerianer nur zu oft, er hätte öfter die Klappe und die Tinte gehalten bzw. die Letztere besser zum Komponieren verwendet als zum Verfassen antisemitischer Pamphlete. Die Kompositionen der Buddha-Oper „Die Sieger“ und der Oper, die Jesus als Sozialrevolutionär feiern wollte, wären wünschenswert gewesen, dann hätte sicher auch die ganze Rezeption anders ausgesehen.

Aber der Mann musste ja immer reden, so viel reden, „in einem fort. Man kann doch nicht immer reden“. So äußerte sich Robert Schumann über den Kollegen gegenüber dem Kritiker Eduard Hanslick. Zugleich hat dieses selbstgefällige Ekel die schönste Musik geschrieben, ja Ebenen des Ausdrucks erreicht, vor denen man auch heute nur in die Knie sinken möchte, so wie es Leonard Bernstein 1990 nach dem Besuch des Grabes Wagners ging – aber eben zugleich mit Hass auf das, was immer Nifelheim-tief unter Würde und Niveau dieses einzigartigen Tonsetzers, Weltenentwerfers und kulturpolitischen Visionärs brodelte.

Offenbar hat der große Erfolg seiner Opern nicht gereicht, um damit Wagners Komplexe zu kompensieren – hier hätte der behandelnde Therapeut seine liebe Mühe gehabt. Und so bleibt allen, die sich Wagner nähern, immer, die Vielschichtigkeit seines Wesens im kritischen Auge zu behalten, denn eigentlich müsste seine Musik durch eine Drogenprüfstelle beäugt werden. Aber Wagners Werk ist legal und sehr schnell suchtgefährdend.

In der Tat vielschichtig ist Jörg Handsteins Hörbiographie und für die angesprochene Näherung in jedem Falle zu empfehlen. Auf vier CDs beleuchtet der Musikpublizist Leben und Werk anhand zahlreicher Zitate und Musikbeispiele, die, wie auch bei ähnlichen seiner Produktionen bewährt, stets lang genug angespielt werden, um Charakter und Atmosphäre der jeweiligen Komposition zu vermitteln.

Unter der Redaktion und Regie von Bernhard Neuhoff entstand so der Blick auf ein Leben von den Anfängen in Leipzig bis zum Tod in Venedig, sein Nachleben angemessen beleuchtend. Udo Wachtveitl, den meisten als „Tatort“-Kommissar Franz Leitmayr vertraut, ist der vielseitige Erzähler, während Götz Argus Wagner spricht; aber es gibt hier mehrere Wagners, der facettenreichen Gestalt entsprechend. So wird auch dem sächsischen „Meesta“ eine mundartlich überzeugende Stimme gegeben – der Gudsde dürfte selten hochdeutsch gequatscht haben, um im Lokalkolorit zu bleiben. Die vielen Zitate werden entsprechend wiedergegeben von Horst Sachtleben, Christian Baumann und Ariane Payer, während Cosima, seiner zweiten Gattin, Viola von der Burg die Stimme leiht. Die erste Ehefrau Minna wird von Hemma Michel gesprochen und Stefan Murr ist König Ludwig II.

Besonders zu begrüßen ist die wache Bearbeitung der schwierigen Aspekte wie eben der Judenfeindlichkeit Wagners, wobei er zahlreichen Juden unendlich viel zu verdanken hatte. Das alles macht ihn nicht sympathischer, aber es wird in dieser Biographie auch klar, dass, so flammend gewiss der Feuerzauber zwar im „Ring des Nibelungen“ zum Weltenbrand führen mag, das nicht zwingend heißen muss, dass „Vom Judenthum in der Musik“ die Legitimation für Auschwitz ist. „Wagner ist zu wichtig, um ihn den Konservativen zu überlassen“ – das kluge Wort von Pierre Boulez hat Bestand und das wird auch beim Hören von Handsteins Darstellung klar. Diese ragende Götterburg an Klang und Zauber hat zuviel Wunderbares und Einzigartiges, um sie der rechten Rezeption eben nicht zu entreißen – ja, Wagner muss man tatsächlich vor sich selber schützen.

Das funktioniert am besten durch eine umfassende Auseinandersetzung mit allen Gesichtspunkten, die ihn, sein Schaffen und Irren sowie seinen Clan betreffen. Jörg Handsteins Hörbiographie ist dazu fraglos und unbedingt geeignet.

Dr. Andreas Ströbl, 1. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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