Szenenfoto mit (v.l.n.r.): Catherine Foster (Isolde) und Annika Schlicht (Brangäne) (Foto: Marlies Kross)
Das Staatstheater Cottbus hat sich an Richard Wagners wohl berüchtigtstes, schwierigstes Werk herangewagt, doch hier – so viel sei verraten – gelingt ein großer Wurf. Harte Arbeit, schwere Herausforderungen, große Leidenschaft und höchste Lust sind an diesem Abend zu erleben, nebst einer originellen Inszenierung, die Freude bereitet und wunderbar romantisch ist.
Richard Wagner
Tristan und Isolde
Alexander Merzyn, Dirigent
Philharmonisches Orchester des Staatstheater Cottbus
Stephan Märki, Regie
Philipp Fürhofer, Bühnenbild
Staatstheater Cottbus, 04. März 2023
von Leander Bull
Richard Wagners Tristan und Isolde, die „Oper der Opern“, ist dafür berüchtigt, die Kapazitäten eines jeden Opernhauses zu sprengen. Wagner selbst fürchtete sogar, seine Oper werde verboten werden, ein Spannungsverhältnis, das sich in zahlreichen Legenden rundum Aufführungen des Werks in der Operngeschichte niedergeschlagen hat. Nun hat das Staatstheater Cottbus versucht, die „höchste Lust“ einzufangen und ihr Neues abzugewinnen. Man stelle sich nur die Gesichter vor, wenn beim Treffen des Theaterstabs hier vorgeschlagen wird, doch einmal den Tristan aufzuführen.
Das kleine Mehrspartenhaus im Jugendstil gelangt mit diesem Projekt sichtlich an seine Grenzen und darüber hinaus. Das Orchester hat mit der Akustik des Hauses zu kämpfen; die Inszenierung muss sich über vier Stunden hinweg im Kern des gleichen Bühnenbilds bedienen; der Chor ist um einiges kleiner als gewohnt – gewiss gibt es noch weitere Beispiele. Nach Cottbus kommt man nicht, um sich eine Aufführung der Weltklasse anzusehen. Doch was bleibt nach diesen fünf Stunden?
Zunächst bleibt da eine Inszenierung, die intelligent, originell und wahrhaftig schwärmerisch daherkommt. Die Regie des Intendanten Stephan Märki wirkt wie ein Relikt aus der Zeit, als unkonventionelle Musiktheater-Inszenierungen noch einen erfrischend naiven Blick auf ihre Stoffe warfen. Die „Handlung in drei Aufzügen“ wird hier ins Weltall verlegt, sodass Tristan und Isolde sich im ersten Akt nicht auf See, sondern in einem Raumschiff befinden.
Direkt während des Vorspiels, in welchem trotz geöffnetem Vorhang die Inszenierung Platz für ein nachdenkliches Eintauchen in die Sehnsucht der Klänge ermöglicht, wird klar, dass sich der Stoff wunderbar ins Weltall verfrachten lässt. Tristan und Isolde erzählt von einem ewigen Verlangen, dem Todestrieb, der Unmöglichkeit der Erlösung und einem endlosen Nichtankommen – alles Dinge, die einwandfrei in den bezaubernd unheimlichen Sternen zur Geltung kommen, die hinter den großen Fensterscheiben des Raumschiffs vorbeiziehen.
Märki und das Ensemble beugen sich hier voll und ganz der romantisch-erotischen Sehnsucht des Werks. Zusammen blicken Tristan und Isolde in den grenzenlosen Weltraum, angesichts dessen Isoldes Schlussgesang („In dem wogenden Schwall, in dem tönenden Schall, in des Welt-Atems wehendem All“) eine ganz neue Bedeutung erlangt. Überhaupt ist es beeindruckend, mit wie viel einfallsreichen Veränderungen und geschickter Personenführung das höchstmögliche Potenzial aus dem Bühnenbild geschöpft wird. Noch großartiger wird das Ganze, wenn die Szenerie überraschend in das Irdische einer bürgerlichen Einrichtung verlagert wird, sobald König Marke auftritt. Plötzlich wirkt der romantische Idealismus der Sternennacht des Liebespaars leicht surreal. In diesen ur-romantischen Szenen, die so herrlich das Werk in seinem lyrischen Glanz bejahen, wird es nur manchmal zuviel des Guten, wenn an den Höhepunkten der Leidenschaft die Kostüme der Protagonisten auch noch anfangen, mit LED-Lichtern zu leuchten.
Was dabei auch übrig bleibt, ist ein überaus solides Dirigat. Direkt im Vorspiel arbeitet sich Alexander Merzyn, Generalmusikdirektor des Hauses, gekonnt und ruhig in die Musik hinein. Seiner Interpretation gelingt eine Unmittelbarkeit, die sich nie zu laut aufbauscht, nur manchmal wünscht man sich, besonders zu den Aktschlussen, etwas kräftigere Einsätze, was ebenfalls, so meine Vermutung, an der Akustik des Hauses liegen könnte. Im dritten Aufzug jedoch wird im Vorspiel und der Hirtenmusik direkt klar, dass dem Philharmonischen Orchester des Staatstheaters hier eine Glanzleistung glückt. Dass die Inszenierung auch in ihren wahnhaften Bildern des finsteren Kosmos im dritten Akt am stärksten ist, sorgt dafür, dass der Abend in einem hinreißenden Höhepunkt gipfelt.
All das glückt nicht zuletzt aufgrund des umwerfenden Gesangs, allen voran Catherine Foster, die die Partie später dieses Jahr auch noch in Bayreuth singen wird. Feinfühlig, schillernd, kraftvoll und zart führt sie diesen Abend an, sodass sie selbst, wenn es Merzyn und dem Orchester nicht gelingt, den Sängern musikalisch zu folgen, fast schon dafür kompensiert. Dazu: welch herrliche Textverständlichkeit! Alles mündet in einem Liebestod, den man sich nur schwer besser vorstellen kann. Foster singt umwerfend klar, nie zu laut, sodass diese „Verklärung“ in ihrer himmlischen Zärtlichkeit und Tiefe zu leuchten beginnt.
Ihr Gegenpart Tristan, gesungen vom Tenor Bryan Register, kämpft sich stimmlich tapfer durch den Abend hindurch. Am Ende des zweiten Aufzugs gerät er hörbar an seine Grenzen, doch diese Heiserkeit fügt sich überraschend gut neben seinem entrückten Schauspiel im dritten Akt ein. Ein klarer Höhepunkt ist hingegen der Bass Dimitry Ivashchenko, der die zwiespältige Rolle des König Marke mit düsterer Bedrohlichkeit und menschlicher Nähe zugleich zum Leben erweckt. Andreas Jäpel zeigt sich als Kurwenal mit einer stimmlichen Fülle, wobei ihm Vera Egarova als solide Brangäne gegenübersteht.
Das ganze Staatstheater Cottbus läuft an diesem Abend auf Hochtouren. Der Tristan, so einzigartig, so gefährlich bewegend, stellt selbst für große Opernhäuser eine Herausforderung dar, sodass trotz einiger Abstriche zu jeder Sekunde spürbar ist, dass hier alle Beteiligten ihr Bestes geben. „Nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten“, meinte Wagner einst, ja, der dritte Aufzug müsse die Leute bei guter Aufführung eigentlich „verrückt machen“. Letztlich werden die Liebenden hier tatsächlich gerettet, sie werden eins mit dem All, dem ersten Moment, in dem die LED-Leuchten nicht kitschig sind, sondern rühren. Das betört, macht verrückt, und auch ob Wagner selbst hier gerettet wurde, bleibt am Ende unklar.
Leander Bull, 5. März, 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayreuther Festspiele, 12. August 2022