Foto: Wiener Konzerthaus / L. Beck (c)
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 29. April 2018
Wiener Symphoniker
Herren der Wiener Singakademie, Chor
Michael Schade, Tenor
Antonello Manacorda, Dirigent
Felix Mendelssohn Bartholdy, Ouvertüre «Die Hebriden / Fingalshöhle» op. 26 (1829-1833)
Robert Schumann, Symphonie Nr. 1 B-Dur op. 38 «Frühlingssymphonie» (1841)
Johannes Brahms, Rinaldo. Kantate op. 50 für Tenor, Männerchor und Orchester (1863-1868)
von Bianca Schumann
Mächtigen Eindruck hinterließ das Konzert, zu dem die Wiener Symphoniker am Sonntagabend ins Wiener Konzerthaus geladen hatten. Drei große Männer aus der romantischen Epoche standen auf dem Programm und versprachen ein imposantes Konzerterlebnis: Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann und Johannes Brahms. Kein Wunder, dass bei dieser Aussicht nahezu kein Platz im Großen Saal unbesetzt blieb. Wer wollte sich dieses Spektakel schon entgehen lassen?
Im Sommer 1829 besuchte Mendelssohn Bartholdy Schottland. Der Inspiration, die durch diesen Aufenthalt beim erst 20 Jahre jungen Komponisten erweckt worden war, verdanken wir zum einen seine Symphonie Nr. 3, „Die Schottische“, und zum anderen seine Ouvertüre „Die Fingalshöhle“. Die Besichtigung der Meeresgrotte aus vulkanischem Gestein, die im Eingangsbereich von Basaltsäulen, die 36 Meter in die Höhe ragen, geziert ist, machte einen mächtigen Eindruck auf den Komponisten.
Wir können uns den Eindruck, der Mendelssohn Bartholdy bei seinem Besuch in Schottland geprägt haben muss, versuchen wieder zu vergegenwärtigen, indem wir seiner Musik lauschen: Majestätisch klingt die Ouvertüre. Majestätisch und warm zugleich. Herrlich, wie das Werk allein ansetzt. Das Eingangsmotiv, das den Tonraum einer Oktave in markanter Rhythmik durchschreitet und im weiteren Verlauf der Ouvertüre sonderbare Entwicklungen erfährt, zieht den Hörer unmittelbar in seinen Bann. Es überrascht nicht, dass das Werk schon zu Mendelssohn Bartholdys Lebzeiten von Wagner und Brahms in den höchsten Tönen gelobt worden ist. Und so überrascht es umso weniger, dass auch das Wiener Publikum für die exzellente Darbietung am Sonntagabend mit warmem Applaus dankte.
Dann Schumann. Seine Symphonie Nr. 1, „Die Frühlingssinfonie“. Ein wenig seltsam ist es für den routinierten Konzertgänger, die Symphonie des Abends bereits vor der Pause zu hören. Was soll denn dann noch in der zweiten Hälfte folgen? Gemach. Erst einmal galt es den Frühling aus Schumanns Feder zu genießen.
Es ist erstaunlich, dass Schumann seine erste gültige Symphonie in nur vier Januartagen 1841 skizzierte. Die Partitur wurde bereits am 20. Februar fertiggestellt und gar die Uraufführung schloss sich bereits einen guten Monat später, am 31. März, an und wurde von Mendelssohn Bartholdy geleitet. Genau wie dessen „Fingalshöhle“ machte auch die „Frühlingssinfonie“ bei ihrer Uraufführung großen Eindruck bei dem damals anwesenden Publikum.
Das Kopfmotiv des ersten Satzes, das erstmals bereits zu Beginn der langsamen Einleitung in den Bläsern ertönt, hat Schumann gedanklich mit zwei Gedichtversen des Byron-Übersetzers Adolf Böttger unterlegt, die da lauten: „O wende, wende deinen Lauf, im Tale blüht der Frühling auf!“ Ein verstecktes „Programm“ also, das Schumann ursprünglich in Erwägung gezogen hatte durch weitere Satzüberschriften, die da lauteten „Frühlingsbeginn“, „Abend“, „Frohe Gespielen“ und „Voller Frühling“, zu ergänzen. In der Drucklegung erscheinen diese Überschreibungen dann letztendlich nicht.
Es ist eine einzige Freude, einer Aufführung dieser Symphonie beizuwohnen, besonders, wenn diese so schwung-, doch gleichzeitig maßvoll dargeboten wird wie durch die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Antonello Manacorda. Dieser hatte stets das richtige Händchen für das richtige Tempo und hielt seinen Klangkörper über weite Teile bestens zusammen. Nur im rasanten letzten Satz hätte man sich an der ein oder anderen Stelle noch ein klein wenig mehr Präzision gewünscht. Doch auch kleine intonatorische Schnitzer bei den ersten Violinen, die man bei dem Höllentempo im letzten Satz gerne verzeiht, konnten den Gesamteindruck nicht im Geringsten trüben: Es war ein Fest!
Nun die große Frage: Was soll bitte diese Symphonie noch toppen? Was kann denn jetzt noch kommen? Ganz klar, Brahms! Doch nicht mit einer Symphonie, sondern mit einer Kantate! So füllte sich die Bühne nach der Pause nicht nur erneut mit den Symphonikern, sondern ebenso mit dem Männerchor der Wiener Singakademie. Und als dieser vollständig aufgetreten war, folgte erneut der Dirigent des Abends, und mit ihm erschien ein Spitzenkaräter des Sologesangs: Michael Schade konnte gewonnen werden, um in der Kantate „Rinaldo“ den Protagonisten zu geben. Schade ist auf unzähligen Opernbühnen der Welt beheimatet. Doch würde er auch einer Kantate gerecht werden können?
Vorab ein paar Worte zum Werk. Es war Brahms’ Plan gewesen, mit dem „Rinaldo“ an einem Wettbewerb teilzunehmen, der 1863 von der Aachener Liedertafel initiiert worden war, um das „Gedeihen des Männergesangs“ zu fördern. Leider gelang es Brahms nicht, sein Werk fristgerecht fertigzustellen und er legte es einstweilen auf Eis. Erst, nachdem er 1868 einen durchschlägigen Erfolg mit seinem „Deutschen Requiem“ einheimsen konnte, machte er sich an die Komplettierung des „Rinaldos“.
Abweichend zu den beiden Werken, die bereits erklungen waren, konnte der „Rinaldo“ bei seiner Uraufführung im Wiener Redoutensaal 1869 nicht überzeugen. Clara Schumann, eine enge Freundin Brahms‘, riet gar von einer Publikation des Werkes ab, da sie der Ansicht war, es sei als Nachfolger des Requiems nicht würdig genug. Wie würde das Wiener Publikum im Jahr 2018 auf den „Rinaldo“ reagieren?
Das Orchester war auch nach der Pause erneut in Topform. Souverän, ohne viel Show, sondern ganz im Dienst der Sache führte der gebürtige Turiner Manacorda nicht nur das Orchester, sondern zusätzlich den erstklassig aufgestellten Männerchor durch das komplexe Werk. Der Chor brillierte durch seine feine Nuancierung der verschiedenen Phrasen und Abteilungen und sang über weite Strecken „wie ein Mann“. Schlichtweg fantastisch! Man wünscht sich nach solch einer Darbietung, öfter Männergesang auf einem solchen künstlerischen Niveau vernehmen zu dürfen.
Doch wie schlug sich nun der Kammersänger Schade? Seine Stimme dominierte die Darbietung. Doch ist das gut? Natürlich ist das einerseits gut, er ist ja der Solist und soll hervorstechen. Doch wäre es nicht für den Gesamteindruck stimmiger gewesen, hätte sich die Stimmfarbe und Stimmdominanz ein klein wenig organischer in den Gesamtklang eingefügt? Gewiss entscheidet in dieser Frage zu einem großen Teil der Geschmack. Worüber sich weniger streiten lässt, ist, dass Schade teils stark deklamatorisch sang und feine intonatorische Abweichungen in Kauf nahm, um dem musikalischen Ausdruck nachzuhelfen. In manch wenigen Einsätzen waren sich Dirigent und Schade nicht zu hundert Prozent über das Tempo der folgenden Passage einig, doch all dies minderte nicht den Triumph, den dritten des Abends, den die Musiker mit ihrer Darbietung zelebrierten.
Fazit des Abends: Die Symphoniker präsentierten ein rundum gelungenes und in Hinblick auf die Schlussnummer auch originelles, da selten gehörtes Programm. Die Werke der romantischen Epoche haben ihre Wirkung nicht verfehlt.
Bianca Schumann, 30. April 2018, für
für klassik-begeistert.de