Foto: Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper (c)
Bayerische Staatsoper, München, 3. Mai 2018
Arrigo Boito, Mefistofele
Mefistofele Erwin Schrott
Faust Joseph Calleja
Margherita Carmen Giannattasio
Marta Jana Kurucová
Wagner Andrea Borghini
Elena Cellia Costea
Pantalis Rachel Wilson
Neréo Joshua Owen Mills
Omer Meir Wellber Dirigent
Roland Schwab Regie
von Raphael Eckardt
Mit Arrigo Boitos „Mefistofele“ läuft in München aktuell eine Opernproduktion, die nicht nur in der bayerischen Landeshauptstadt (etwa wegen des aktuell laufenden Faust-Festivals), sondern auch weit über deren Grenzen hinaus allerlei Aufsehen erregt. Dabei ist Boitos ganz besonderer Faustepos allenfalls eine schwierige Unternehmung. Der 1842 geborene Paduaner Boito, der deutschen Musikkultur immerhin halbwegs bekannt, bleibt dramaturgisch und bis ins Libretto hinein bei Goethes Originaldrama. Dabei distanziert er sich beispielsweise von Gounods weitaus populärerer Faust-Oper, die hier und da gezielt von Goethes Versen abweicht. Und auch sonst hat es Boitos „Mefistofele“ in sich: Gezeichnet von der Theatersymphonik Richard Wagners bahnt sich das Drama seinen ganz eigenen musikalischen Weg durch die italienische Spätromantik. Abenteuerlich, aufbrecherisch und zwielichtig. Gezeichnet von einer ansprechend modernen und kurzweiligen Inszenierung des Deutsch-Franzosen Roland Schwab.
Der Teufel behauptet, Gott sei tot. Um dies zu beweisen greift Schwab kurzerhand zur Filmkunst und produziert einen kinoreifen Streifen: Als vermenschlichtes Konzept des Guten erscheint John Lennon. Lennon, der 1980 in New York von einem größenwahnsinnigen Irren auf grausamste Art und Weise ermordet wurde – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Lennon, der in den Jahren zuvor auf zahlreichen seiner Platten das göttliche Wesen musikalisch begraben hatte: „God is a concept, by which we measure our pain“, heißt es da. Ganz unchristlich, ganz untraditionell. Plötzlich kreisen Passagierflugzeuge über dem neuen World Trade Center in New York. Alles wirkt ein bisschen psychedelisch, ein bisschen verraucht, aber unglaublich sexy und modern. Schwab erweckt das verrauchte New York der 1980er-Jahre auf ganz spezielle Art und Weise neu zum Leben – hier eine rau anmutende Wasserpfeifenbar, dort eine filmreife, schwülschwarze Höllenszenerie. Vor dem, was Schwab an diesem Abend aus dem Hut zaubert, muss man sich wahrlich tief verneigen! Das ist ganz ganz große Theaterkunst!
Musikalisch ist dieser Abend ein Fest: Erwin Schrott spielt den „gockelhaft“ eitlen Mefistofele in feinfühlig überspitzter Art. Das ist deshalb so wunderbar, weil kabarettartiges Schauspiel und grimassenlos vorgetragener, brillanter Gesang in perfekter Abstimmung aufeinander treffen. Eben noch das „teuflische Rumpelstilzchen“ gebend, gelingt Schrott plötzlich ein sängerischer Höhepunkt des Abends. Glasklar erklingt die Stimme des Mefistoteles da: In sanften Wellen tanzen raue Rauchschwaden zu feinen Melodien. Wer glaubt, dass das alles war, der irrt gewaltig: Subito forte! Explosionsartig breiten sich fein verzierte Klangsäulen im Opernsaal aus. Manch einer wagt ein waghalsiges Ausweichmanöver, schnell aber wird klar: Dieser Mefistofele hat die Zuhörer längst in den Bann seiner unnachahmlichen Stimme gezogen und dort gefangen. Fabelhaft!
Der künstlerische Grad zwischen ordinären Kabarettstückchen und opernhaftem Hochgesang ist in Boitos Drama (kombiniert mit einer derart modernen und anspruchsvollen Inszenierung) besonders schmal. Schrott wandelt mit Bravour auf ihm, auch weil er Schauspiel und Gesang sinnvoll voneinander trennt.
Joseph Calleja kann vor allem stimmlich überzeugen. Mit prunkhaft klarer Stimme bietet er einen schauspielerisch zwar etwas blassen Faust, der musikalisch aber einen idealen Gegenpart zu Schrotts Performance darstellt. Weich durch die Luft schwebend, gleiten da goldgelb glänzende Fäden durch den Raum. Alles bewegt sich in sanft drehenden Kreisen. Plötzlich wirbeln einzelne Fäden wild durcheinander und färben sich feuerrot! Funkensprühend versetzen sie das Publikum in Aufruhr! Dann legt sich die Aufregung wieder. Feine Schleifen sind in die Fäden gesponnen.
Callejas Vorstellung lebt an diesem Abend von stimmlichem Facettenreichtum der Extraklasse. Feinfühlige Dynamikkontraste verschwimmen mit bachklaren Harmonien zu einer beeindruckenden musikalischen Aura. Chapeau!
Auch Carmen Giannattasio überzeugt als Margherita. Mit imponierender Sicherheit meistert sie Boitos anspruchsvoll komponierte Sopranpartien bravourös. Das ist vor allem deshalb sehr beeindruckend, hatte die oft so hochgelobte Kristine Opolais in selbiger Rolle doch 2015 nicht wirklich brillieren können. Giannattasio singt klar und nobel: Eben so, wie man das macht und kann, wenn man die Schule der Mailänder Scala durchlaufen hat. Technisch ist das brillant, musikalisch eine Augenweide! Welch‘ ein aufregend aufbrausender Opernabend! Die Münchner Champions-League spielt diese Woche in der Oper! Fantastisch!
Wohl auch aufgrund der sagenhaften Gesangsleistungen agiert das Bayerische Staatsorchester an diesem Abend besonders furios. Hier und da sind feine Klangsphären zu spüren. Brillant geschliffene Streichermotive blitzen immer wieder auf. Plötzlich lodert ein riesiges musikalisches Höllenfeuer im Graben! Da breitet sich eine dynamische Hitzewelle aus, die einen vor Erstaunen hecheln lässt. Omer Meir Wellber gibt den Architekten eines riesigen Feuerballs. Wie alle Barenboim-Schüler liebt er die Extreme. Famos Fortissimi mit bedrohlich scheppernden Beckenklängen wechseln sich mit leise prickelnden Piani ab. Stünde da nicht so ein brillant agierender Mephisto auf der Bühne, nähme man beinahe an, der Teufel persönlich dirigiere da seine eigene Oper. Ein wahrlich dämonisch fantastischer Abend!
Raphael Eckardt, 4. Mai 2018, für
Klassik-begeistert.de
Diese Schilderung – kann man das noch Kritik nennen? – ist so daneben wie aber auch klug – monströs und psychedelisch – völlig neuartig klingt sie doch wie eingeraucht – entgleitet der überbordenden Phantasie des Schreibers : ja wohin. Der Vogel der heut sang …….
Kein Meister, aber bang:
P. Skorepa
Kein Wunder, dass die Regisseure immer verückter werden, wenn sie für so eine blödsinnige Regie derart gelobt werden. Ein Glück noch, dass der Schlussakt nicht auch im Weltall gespielt hat!
Toni Reischer