Fricka, Ingeborg Novrup Borch and Wotan, Keel Watson all photos © Steve Gregson
Die hoch aufragende Londoner „Freemason’s Hall“ im Covent-Garden-Viertel, erbaut um 1930 im Art-Déco-Stil, ist eines der prachtvollsten Gebäude der britischen Hauptstadt. In auffälligem Gegensatz zu Freimaurer-Tempeln in Kontinentaleuropa stehen die Türen dieses Tempels dem Publikum weit offen, es werden regelmäßig Führungen angeboten und, vor allem, kulturelle Veranstaltungen abgehalten. So auch die quasi-konzertante Aufführung von Wagners Ring-Zyklus. Die in der zweiten Hälfte Mai dargebotene „Walküre“ mag zwar szenisch einige Fragwürdigkeiten aufgewiesen haben – musikalisch war sie jedoch geradezu phänomenal und wurde vom Publikum denn auch mit anhaltenden „standing ovations“ gefeiert.
Richard Wagner, “Die Walküre”,
Regents Opera in der Freemason’s Hall
Großer Freimaurer-Tempel, London Covent Garden, 21. Mai 2023
Dirigent: Ben Woodward
Regie: Caroline Staunton
Brünnhilde: Catharine Woodward
Wotan: Keel Watson
Fricka: Ingeborg Novrup Borch
Hunding: Gerrit Paul Groen
Sieglinde: Justine Viani
Siegmund: Brian Smith Walters
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)
Was das 21-köpfige Orchester der Regents Opera unter der Stabführung des britischen Dirigenten Ben Woodward in dieser über vierstündigen Aufführung der „Walküre“ zu leisten vermochte, war schlicht überragend:
Mit diesem im Verhältnis zu den üblichen Wagner-Orchestern der großen Opernhäuser doch recht kleinen Klangkörper erzielte dieses Ensemble einen genuinen Wagner-Sound. Alle Feinheiten und andererseits auch die grandiosen Momente wurden präzise und engagiert herausgearbeitet – die überraschend fantastische Akustik der Freemason’s Hall unterstützte den hervorragenden Klang. Die großen Orgeln des Tempels kamen, sehr ungewöhnlich für diese Oper, sparsam aber überaus wirkungsvoll zum Einsatz.
Die quasi-konzertante Aufführung, die ganz ohne Kulissen und mit einigen wenigen Requisiten auskam, wickelte sich auf einem länglichen Podest im Zentrum des Tempels ab und vermittelte dem Publikum akustisch den Eindruck, sich nicht wie üblich vor der sich auf der Guckkasten-Bühne abspielenden Handlung, sondern mitten im Geschehen zu befinden. Die durchwegs ausgezeichneten Sängerinnen und Sänger agierten in minimalem Abstand vom Publikum, was deren Unmittelbarkeit und Dramatik steigerte. Ein Erlebnis, das noch lange nachwirken wird.
Offensichtlich war das etwas krampfhafte Bemühen, dieser Aufführung mit den Kostümen, aber vor allem mit den zum Einsatz kommenden Requisiten den Charakter des Heutigen, Gegenwärtigen zu geben. Das labende Wasser, das Sieglinde dem erschöpften Sigmund reicht, kommt beispielsweise aus einer Plastic-Mineralwasserflasche und der arme Sigmund wird später vom bösen Hunding statt vom handelsüblichen Schwert mit einem knallroten Feuerlöscher erschlagen. Das magische Schwert Nothung ist ein mickriger weißer Plastic-Spielzeug-Säbel, mit dem Siegmund notgedrungen ziemlich unglaubwürdig dasteht, und es steckt in einem weißen, effektvoll beleuchteten Plexi-Kubus.
Gleich zu Beginn macht sich Sieglinde aus nicht nachvollziehbaren Gründen an einer hölzernen Gliederpuppe zu schaffen, die dann der jähzornige Hunding zertrümmert. Und am rätselhaftesten die dürftigen Reproduktionen bekannter Kunstwerke, welche die Walküren mit sich tragen und die dann von einer obskuren verschleierten Figur (Loge?) zerstört und schließlich im projizierten Feuerring der Brünhilde zum Raub der imaginären Flammen werden: Da klärt das Programmheft auf – offenbar eine Anspielung auf die Vernichtung durch Feuer der rund 500 Werke der von den Nazis als „entartete Kunst“ gebrandmarkten Werke (unter anderem von Otto Dix) am 20.März 1939. Die Querverbindung Wagner-NS-Regime durch die Regisseurin (Caroline Staunton) ist nicht ganz neu, wirkt hier aber etwas aufgesetzt und war ohne die Erläuterungen im Programmheft wohl niemandem im Publikum klar.
Dafür kam das Publikum musikalisch voll auf seine Rechnung. Die Qualität des hier Gebotenen lässt sich am besten mit den Kammermusik-Konzerten, stets auf höchstem Niveau, in der renommierten Londoner Wigmore Hall vergleichen: Klein aber fein. Herausragend unter den Sängerinnen und Sängern war der Wotan des Bass-Baritons Keel Watson mit seiner gewaltigen, alle Tiefen kraftvoll auslotenden Stimme: Ein Göttervater, wie man ihn selbst auf großen Bühnen nur sehr selten zu hören bekommt. Mit Wotan in ehelicher Konfrontation: dessen Göttergattin Fricka (Ingeborg Novrup Borch), eine wunderbar warm singende Mezzosopranistin mit subtil eingesetzter schauspielerischer Komik.
Nicht minder stimmlich beeindruckend, und schauspielerisch mit seinem nuancenreich und zynisch angelegten Hunding, der dramatische Bass Gerrit Paul Groen, dessen große Stimme ein ganzes Register von Klangfarben mühelos bewältigt. Die Sieglinde der australisch-britischen Sopranistin lässt sich nur mit glitzerndem Kristall vergleichen, in dem sich ein ganzes Spektrum von Tonfarben widerspiegelt. Brian Smith Walters als Siegmund lässt zwar in der deutschsprachigen Diktion einiges an Klarheit und Schärfe vermissen, er hat aber als Wagner-Tenor ein beachtliches Rollen-Spektrum aufzuweisen. Die wie immer mit Ungeduld erwartete große Tenor-Arie „Winterstürme“ enttäuschte etwas; da fehlte entschieden der tenorale Schmelz. Die Brünnhilde der großartigen Catharine Woodward begeisterte mit einer Klangfülle, die mühelos den mächtigen Raum des Freimaurer-Tempels dominierte.
Man darf auf die weiteren Aufführungen der erst 2011 gegründeten Regents Opera, die sich sehr ambitioniert auf die großen Werke des 19. und 20. Jahrhunderts konzentriert, gespannt sein – vor allem auf den weiteren Ring-Zyklus im großen Freimaurer-Tempel kommenden Winter, mit dem selben Regie-Dirigenten-Team.
Dr. Charles E. Ritterband, 21. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
„Die Walküre“ von Richard Wagner Bühnen Bern, Samstag, 11. März 2023
Ringzyklus: Rheingold und Walküre von Richard Wagner Semperoper Dresden, 5.und 6. Februar 2023