Foto: Schlussapplaus © Dr. Guido Grass
Alle guten Dinge sind drei; und Gründe zu feiern, finden sich schnell am 20. Juni 2023 in der Domstadt am Rhein. Einer sei vorweg schon verraten: Vor 204 Jahren erblickte Jakob Offenbach das Licht der Welt am Großen Griechenmarkt Nr. 1 in Köln.
Kölner Philharmonie, 20. Juni 2023
Gürzenich Orchester Köln
Leitung: Elim Chan
Jacques Offenbach
Ouvertüre zu Orpheus in der Unterwelt
Igor Strawinsky
Der Feuervogel Suite für Orchester (1919)
Sergej Rachmaninow
Sinfonische Tänze, op. 45
von Petra und Dr. Guido Grass
Köln feiert den Geburtstag Jacques Offenbachs
Das heutige Konzert ist nicht nur das letzte der drei Saisonabschlusskonzerte des Gürzenich Orchesters, sondern auch gleichzeitig das Geburtstagskonzert Jacques Offenbachs. Am 20. Juni 1819 als Sohn eines jüdischen Kantors geboren, war er als Kölner von Natur aus frech gegenüber der Obrigkeit und mit satirischem Humor gesegnet. Seine Opéra bouffe „Orphée aux enfers“ trifft den Nerv der Zeit. Mit dieser Parodie auf den Orpheus-Mythos hält er dem Bildungsbürgertum augenzwinkernd den Spiegel vor und karikiert das französische Herrscherhaus. Im Kölner Karneval sind Teile der Ouvertüre fest verankert und werden häufig grölend mit Männerballett verballhornt.
Natürlich lässt sich das Gürzenich Orchester unter der Leitung der Gastdirigentin Elim Chan nicht zu solchen Possen hinreißen.
Schon nach den ersten Takten verbreitet sich eine angenehm entspannte Atmosphäre im Saal. Die Musik ist heiter, schwungvoll dirigiert. Die vorgetragenen Klarinetten- und Oboen-Soli sind ein Ohrenschmaus und lassen uns träumen. Jedoch nicht allzu lange: Subito vollführt Chan mit dem Orchester den Charakterwechsel in der Musik. Doch bevor es zu dramatisch wird, schlägt Offenbach eine erneute Volte.
Das Violinsolo wird vom heutigem Gast und Konzertmeister Artur Podlesniy grandios mit quasi wienerischem Schmalz vorgetragen. Effektvoll lässt Chan den Schlussakkord des Walzers verklingen.
In der Generalpause, dem kleinen Moment der Stille, bereitet Elim Chan das Finale vor. Wie eine Sprinterin geht sie in eine leicht gebückte Position, um dann mit kleinen Bewegungen des Taktstocks den Galop infernal, bekannt als Cancan, präzise im Pianissimo zu starten. Und in der Tat legt sie hier beim Orchester – nomen est omen – den schnellsten Gang ein. Dass es ihr und den Musikern dennoch gelingt exakt, keineswegs verschwommen, sondern auch in der Phrasierung nuanciert zu bleiben, gebührt großen Respekt.
Was nun losbricht ist ein Tsunami, der das Publikum fast von den Sitzen reißt: der erste Triumph. Tosender Applaus, begeisterte Pfiffe, trampelnde Füße – auch im Orchester – folgen dem Sturm. Es fehlt nur noch der Ruf: „Die Sektbar ist eröffnet!“
Aber nein, schon mahnen aus der Tiefe der acht Kontrabässe die Terzen des Zauberers Kastscheis: Das Böse ist noch nicht besiegt!
Es folgt ein ebenso bahnbrechendes Erfolgsstück des damals 28-jährigen Igor Strawinskys:
„Der Feuervogel“ in der Fassung als Konzertsuite (Nr. 2 von 1919).
Die Musik lockt die Märchenbilder vor dem inneren Auge hervor: Mit dem dunklen Grollen der großen Trommel kommt der im Wald jagende Prinz dem bösen Zauberer Kastschei bedrohlich nahe. In perfekt synchroner Bogenführung spielen die Kontrabässe kleine und große Terzen im Wechsel und sorgen so für angenehmes Gruseln. Hierbei führt Chan mit bloßen Händen die verschiedenen Orchestergruppen deutlich und hält sie stets piano. Es ist ein besonderes Geschenk, wenn das Piano gerade im Blech so zart und sauber gespielt wird wie heute von Markus Wittgens am ersten Horn.
Effektvoll gelingen den Violinen irisierende Obertöne beim Glissando, die den Feuervogel erscheinen lassen. Der Prinz bringt den Feuervogel zwar in seine Gewalt, schenkt ihm am Ende doch die Freiheit. Friedlich erklingen wunderbar Harfe und Oboe, die eine Volksliedmelodie in H-Dur aus der Schule Rimsky Korsakows anstimmen: der Kreistanz der Mädchen. Der Prinz und wir verlieben uns auf der Stelle. Doch Kastschei muss noch besiegt werden. Als Zauberkraft des Feuervogels ertönen die großen Pauken. Mit ihren 16tel Schlägen zwingen sie die Dämonen in den infernalen Tanz mit seinem synkopischen Rhythmus.
Wie ein Beil lässt Chan die Tutti-Schläge des Orchesters auf die Stimme des Zauberers spielenden Posaunen und Fagott niederfallen. Im umso größeren Kontrast erklingt gesangvoll das Wiegenlied des Feuervogels. Der Bann ist gebrochen, das Böse besiegt.
Das Horn ruft mit weichem Klang. Die Harfe spielt glasklare, aufsteigende Töne und öffnet so die Fesseln der versteinerten Gefangenen. Mehr und mehr Instrumente kommen hinzu und steigern die Freude. Zum grandiosem Finale führt Elim Chan das Orchester aus dem Piano pianissimo. Sie schafft Platz für die weiten Schwingen des Feuervogels beim sehr gelungenem, weil allmählichen Crescendo. Auch das härteste Herz im Publikum dürfte spätesten jetzt ebenfalls erweicht sein. Die musikalische Erzählung ist gelungen: der zweite Triumph.
Unter dem Eindruck eigener Ergriffenheit scheint uns, dass sich Elim Chan beim Gang von der Bühne Tränen aus den Augen wischt. Es wird bei ihr jedoch der Schweiß gewesen sein. Wir entschweben zur Pause beseelt auf die höher gelegene Rheinterrasse der Philharmonie.
Sinfonische Tänze, op. 45
Nach der Pause bekommt der Abend eine melancholische Note. Das letzte Werk Rachmaninows ist ganz durchdrungen von seiner Lebenserfahrung und der Gewissheit des Todes.
Der erste Satz, etwas leiser und langsamer als anderweitig zu hören, überzeugt durch gekonnte Dynamik. Das Altsaxophon-Solo wird von Christine Petersen als Gast des Gürzenich Orchesters im warmen Ton hervorragend vorgetragen.
Trotz des beherrschenden Dreivierteltakts im zweiten Satzes kommt keine Walzerseeligkeit auf. Ohnehin im melancholischen Moll gehalten wird der Tanz immer wieder unterbrochen – Walzer interruptus. Diese dramatischen Stimmungswechsel verlangen gute rhythmische Steuerung – kein Problem für Chan mit diesem Orchester. Herrlich wie sich die Läufe der Flöten über die Violinstimmen legen. Auch dieser Satz klingt im zartesten Piano aus.
Mit der Ruhe ist es im dritten Satz vorbei: Geisterstunde. „Mitternacht“ so lautet der ungedruckte Titel. Hier können auch die Trompeten ihr Können prominent beweisen. Bemerkenswert wie unter enger Führung die einzelnen Takte dennoch atmen. Schließlich lässt Chan das Blech kalkuliert von der Leine. Das Tamtam setzt dem tosenden Treiben ein Ende: der dritte Triumph.
Beinahe hätte es beim Schlussapplaus doch noch eine Panne gegeben: Beim beherzten Schritt vom Podium verfängt sich ein Schuh der Dirigentin in ihrem Tüllrock und sie droht zu stürzen. Kurz stockt der Applaus, doch sie kann sich fangen und darf gemeinsam mit dem Gürzenich Orchester verdient stehende Ovationen entgegennehmen.
Im Anschluss an das Konzert wird die erste Violonistin Judith Ruthenberg mit großen Blumensträußen geehrt. Auch wenn ein Abschied immer auch ein weinendes Auge hat, wünschen wir ihr viel Glück im Ruhestand und finden, 34 Jahre im Gürzenich Orchester ist ein Grund zum Feiern.
Petra und Dr. Guido Grass, 22. Juni 2023
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gürzenich-Orchester Köln, Elim Chan, Dirigentin, Offenbach, Strawinsky und Rachmaninow 21. Juni 2023
Gürzenich-Orchester Köln, Elim Chan, Dirigentin Kölner Philharmonie, 18. Juni 2023