Prompt ist das Bayreuther Regie-Buhgewitter zurück. Fast so heftig wie vor einem Jahr. Das Regieteam tritt vor den Vorhang, schon spürt man den Boden unter den Füßen schwingen, so stark schallen die U-Vokale durch den Saal. Diesmal reicht den Leuten das Buh-Rufen wohl nicht, der Oberösterreicher Valentin Schwarz , 34, und sein Team werden regelrecht ausgepfiffen!
Götterdämmerung 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele
Andreas Schagers Stahlkraftstimme lässt sich auch von einem Wagner-Gesangsmarathon nicht beeindrucken. Ganz im Gegenteil, die drei Tage Hochleistungssingen scheinen ihm gut zu tun. Denn auf einmal entdeckt dieser einzigartige Heldentenor, dass seine Stimme mehr als nur laut ist. Einzigartig ist auch die Rückkehr des Bayreuther Regie-Buhgewitters.
Bayreuther Festspiele, 31. Juli 2023
Götterdämmerung
Musik und Libretto von Richard Wagner
von Peter Walter
Einst hat er mit reiner Kraft Drachen besiegt und Zwerge erschlagen. Nun ist Siegfried erwachsen. Und prompt reifen die Früchte seiner Stimme zu ihrer vollen Blüte. Gegenüber Brünnhilde sind Andreas Schagers Melodien feingeschliffen wie nie, verlieren dabei aber kein bisschen ihrer einzigartigen Stärke. Besser kann man den Siegfried nicht singen!
Lieber Herr Schager, Sie haben die letzten drei Abende im besten Wagner-Haus der Welt drei Hammerpartien gesungen. Erst den Siegfried-Siegfried, dann den Parsifal, und nun den Götterdämmerungs-Siegfried. Jedes Mal von ca. 16-22 Uhr, dazu kommt noch Einsingen, Maske und einiges mehr. Und am Ende dieses Tenor-Marathons zeigten Sie keinen Hauch an Erschöpfung. Ganz im Gegenteil, die Waldvogel-Erzählung gelang Ihnen flott wie mit links. Das ist mehr als ein Sänger-Zehnkampf, das ist, als würde jemand in allen olympischen Laufdisziplinen – von 100m bis Marathon – Gold gewinnen!
Auch sein Blutsbruder, Michael Kupfer-Radeckys Gunther, brilliert mit grandioser Stimme. Sein Bariton ist böse, röhrt ordentlich durch die moralisch äußerst dunkle Partie wie ein Mafia-Boss. Kein Wunder, so hat er keine Scheu, Siegfried in einen schmutzigen Deal hineinzuziehen, dessen Frau zu betrügen und zu entführen. Seine Textverständlichkeit ist indessen glasklar, seine skrupellosen Drohungen donnern, als kämen sie von einem Göttervater. Nächster Halt: Wotan!
Der Strippenzieher dieser dubiosen Handlung ist natürlich Hagen (Mika Kares), den Ring will er haben. Eigentlich gar nicht für sich selbst, sondern für seinen Vater Alberich (Ólafur Sigurdarson). Beide meistern ihre Partien mit künstlerischem Können. Alberichs einstige Tyrannei sitzt nach wie vor tief in seiner Stimme, vor dem Fluch dieses Zwergs hat man weiterhin viel Angst. Zumal ihm niemand entfliehen kann. Hagens Hoiho-Rufe könnte man wohl bis nach Nürnberg hören, doch scheint er sich vom Charakter her leicht hinter Alberich und Gunther einzuordnen. Noch ein ganz bisschen mehr Mut, ein bisschen mehr selber anpacken, dann wird’s perfekt.
Die Leidtragende des ganzen Geschehens ist die einst aus festem Schlaf erweckte Brünnhilde. Catherine Foster singt die ehemalige Walküre mit viel Einsatz und Bravour. Gegen ihren Siegfried hält sie sich wacker, ihre Stimme strahlt mit Stolz und Liebe in alle Ecken des Hauses. Doch im Schlussmonolog – der musikalische Höhepunkt des Rings – greift sie leider auf einen äußerst vibratoreichen Gesang zurück, als wolle sie noch einmal so richtig stark „Hojotoho!“ rufen. Mein Ohr will da irgendwie ein ganz bisschen Theorin raus hören – kein gutes Zeichen. Egal, sie hat zwei Abende kämpferisch wie eine Walküre gesungen und dafür viel wohlverdienten Applaus geerntet!
Das gilt ebenso für Aile Asszonyis spaßige Gutrune, von der Regie hier zu einer äußerst extrovertierten, aber zwiespältigen Figur transformiert. Die Bayreuth-Debütantin singt ihre Partie selbstsicher, von dieser Sängerin möchte man gerne mehr hören.
Christa Mayer beherrscht auch als Waltraute die Bühne aus den mächtigen Tiefen ihres Mezzos. Ihre wenigen Worte dringen sanft, aber stark in die Ohren des Publikums ein. Hätte Brünnhilde mal auf diese wunderbare Stimme gehört, so wäre das Ende der Götter vielleicht noch aufzuhalten gewesen. Aber die drei in bester Harmonie singenden Nornen haben’s ja schon vorhergesagt, da gibt’s kein Zurück von diesem Schicksal mehr. Äußerst stimmstark gibt sich der Mannen-Chor (Einstudierung: Eberhard Friedrich), da kommt mal so richtig Schwung in eine der seltenen Chorszenen dieser 15-stündigen Tetralogie!
Richtig schwungvoll geht es auch im Graben zu. Pietari Inkinen lässt das Festspielhaus tief in die Wagner-Klangwelt eintauchen. Die vielen magischen Orchesterstellen füllen den Saal randvoll mit schallenden Bläsern und flirrenden Strichern. Hochdifferenziert gestaltet er die ewigen Melodien, die Holzbläser-Soli dürfen singen und die Hörner klingen. Inkinens Bayreuther Ring-Debüt lässt die Orchesterlandschaft im Wagner-Tempel wieder in ihrer vollen Pracht erstrahlen… und wird mit donnerndem Applaus belohnt!
Doch nun das Spannendste zuletzt: Die Inszenierung von Valentin Schwarz. Vor einem Jahr war sie der wohl am heftigsten kritisierte Teil des neuen Rings. Von einigen wird sie sogar für die rekordverdächtig schwache Auslastung verantwortlich gemacht. Leider kann die Regie auch im zweiten Jahr nicht überzeugen, es bleibt bei einem Sammelsurium an lächerlich bis gar nicht mehr witzigen Einfällen. Grane ist ein Mensch, naja gut, das mag ja noch gehen. Aber warum muss man den dann noch foltermäßig umbringen lassen? Das finde ich irgendwie gar nicht mehr witzig.
Und kann mir jemand bitte mal erklären, warum am Ende des letzten Aufzugs nun eine erhängte Figur, die Wotan irgendwie verdammt ähnlich sieht, von der Lichtinstallation baumelt? In der Musik geht die Welt unter, Walhall brennt ab, Wagner hatte hier die Niederbrennung des Festspielhauses im Kopf. Und die Regie macht… nichts? Brünnhilde übergießt sich und das Planschbecken mit Benzin, das war’s aber schon. Kann da mal bitte was passieren, vielleicht wenigstens dieses Mini-Becken brennen?
Prompt ist das Bayreuther Regie-Buhgewitter zurück. Fast so heftig wie vor einem Jahr. Das Regieteam tritt vor den Vorhang, schon spürt man den Boden unter den Füßen schwingen, so stark schallen die U-Vokale durch den Saal. Diesmal reicht den Leuten das Buh-Rufen wohl nicht, Schwarz und sein Team werden regelrecht ausgepfiffen!
Musikalisch ein voller Erfolg, szenisch bleibt’s halt… wie’s halt so is’. Naja, vor dem nächsten Ring wird sich da eh nix ändern. Augen zu, Ohren ganz weit auf und durch! Ohren auf vor allem für die Andreas-Schager-Show!
Peter Walter, 1. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Das Rheingold, Musik und Libretto von Richard Wagner Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2023
Die Walküre, Musik und Libretto von Richard Wagner Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2023
Richard Wagner, Siegfried Bayreuther Festspiele, 29. Juli 2023