Festspielluft III: Nach den Festspielen ist vor den Festspielen

Arnold Bezuyen (Mime) und die Schülerstatisterie. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Die Bayreuther Festspiele 2022 sind vorbei. Zeit, einmal die Lehren und Eindrücke dieser Spielzeit zu reflektieren.

von Peter Walter

Es war ein Sommer mit vielen Sternstunden und erfreulichen Lehren für die Zukunft:

Neu ist nicht schlecht

Neulinge gab es viele, Valentin Schwarz als Regisseur, Daniela Köhler als Brünnhilde, Olafur Sigurdarson als Alberich, um einige zu nennen. Es gehört zur „Werkstatt Bayreuth“, neben großen Namen auch „Neuentdeckungen“ zu präsentieren. Beispiel Sigurdarson: Der gefeierte Alberich war noch bis 2017 am Staatstheater Saarbrücken, letztes Jahr gab er als Biterolf sein Bayreuth-Debüt. Die Wagner-Welt hat einen neuen Alberich, die Kulturszene im Saarland eine Erfolgsstory.

Ähnliches gilt für Köhler. Etwas mehr Vorerfahrung hat sie, von Chemnitz nach Bayreuth ist aber auch ein Sprung. Und ja, die Schwarz-Inszenierung wurde gnadenlos ausgebuht und heftig kritisiert. Ein kleines Wunder, dass es friedlich geblieben ist. Viele Reaktionen waren leider so nach dem Motto: „Taugt nix, weil’s neu ist“. Schmarren, neu ist prima, neu ist wichtig. Lassen wir neu mal ein paar Jahre sitzen, dann reden wir nochmal, ob’s gut oder schlecht ist. „Festspielluft III: Nach den Festspielen ist vor den Festspielen
Bayreuther Festspiele 2022“
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Klaus Florian Vogt: It’s Tristan Time

Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 1. September 2022

Auszüge aus Der Fliegende Holländer, Tannhäuser und Tristan und Isolde

Musik und Libretto von Richard Wagner

Andris Nelsons, Dirigent
Catherine Foster, Sopran
Klaus Florian Vogt, Tenor

von Peter Walter

Die Akustik auf der Bühne auf dem Grünen Hügel ist nicht weniger besonders als im Graben. Was hinten auf der Bühne steht, ist viel besser zu hören als vorne. Das macht auch dem Festspielorchester unter der Leitung von Andris Nelsons zu schaffen. Man merkt, die Bläser müssen drei Dynamiken leiser spielen, können ihre volle Wucht nicht entfalten, sonst müsste man dieses Ereignis als „Konzert für Blaskapelle mit Gesangs- und Streicherbegleitung“ betiteln.

Abgesehen von den immer neuen Herausforderungen dieses Hauses war es ein grandioser Abend mit herausragenden Stimmen. Dabei legte Nelsons mit zwei eher durchwachsenen Holländer-Auszügen los. Die waren – auch für Bayreuther Standards – in Ordnung, mehr aber auch nicht. Oksana Lynivs Meere waren stürmiger, Elisabeth Teiges Ballade bissiger. „Abschlusskonzert Andris Nelsons, Festspielorchester Bayreuth
Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 01. September 2022“
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Daniela Köhler, die Sängerin, die Siegfried das Fürchten lehrt

Daniela Köhler (Brünnhilde). Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Man hatte fast den Eindruck, die Leute haben nur „aus Prinzip“ Buh gerufen, weil kein feuerspeiender Drache auf der Bühne zu sehen war. Liebes Publikum: Buh-Rufe sind mehr als legitim in der Welt der Oper. Aber bitte vorher einmal über die Inszenierung nachdenken.

Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 28. August 2022

Siegfried
Musik und Libretto von Richard Wagner

von Peter Walter

Es ist eine gewaltige Vorlage, die Wagner für Brünnhildes Erwachen komponiert hat. Noch mächtiger ist nur diese Brünnhilde selbst, Daniela Köhler. Als Mumie aus einer leuchtenden Pyramide befreit, öffnet sie die Augen und singt wie eine Sonnengöttin. Ihre Stimme brilliert durch den ganzen Saal, singt Andreas Schagers Siegfried gar in Grund und Boden. Mehr als verständlich, dass der bislang furchtlose Held vor ihr erschrickt.

Der Titelheld hatte zweieinhalb Aufzüge lang alle brutal an die Wand gesungen, seinen Ziehvater Mime (Arnold Bezuyen), das Orchester und den Wanderer (Tomasz Konieczny). Vor allem in der Schwertschmiedeszene im ersten Aufzug stieg er mühelos auf die hohen As und hüpfte als betrunkener Jugendlicher über die Bühne. Aber gegen seine Geliebte – und Tante übrigens –musste auch er kämpfen. Wie das ein Siegfried eben tut, ist er doch bislang furchtlos durchs Leben gehopst und hat nun die Kunst des Erwachsenseins erkannt. „Richard Wagner, Siegfried
Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 28. August 2022“
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"Wißt ihr, was daraus wird?"

Foto: Chor der Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

„Wißt ihr, was daraus wird?“

Bayreuther Festspiele 2022 – Ein ganz persönlicher Rückblick (Teil 2)

von Patrik Klein

Musikalisch hörte man nicht nur bei der Tetralogie hingegen viel Positives, auf das ich mich hier im zweiten Teil meines Artikels konzentrieren möchte. Das Orchester der Bayreuther Festspiele unter Cornelius Meister, der für den zunächst geplanten Pietari Inkinen kurzfristig einspringen musste, klang im dritten Zyklus im Vergleich zu den öffentlichen Übertragungen in TV und Radio deutlich transparenter, dynamischer, eleganter, für den ein oder anderen etwas zu zart, aber frischer und damit auch „bayreuthwürdiger“. In der abschließenden Götterdämmerung steigerte der Dirigent die Qualität des Klanges sogar noch einmal auf stärkstes Festspielniveau.

Auf Facebook postete ich noch ganz emotional angefasst nach Das Rheingold: „Wir sind alle wie Wotan“. Das und noch einiges mehr musste man erst mal schlucken, wenn man die Grundidee von Valentin Schwarz akzeptierte und keine Sehnsucht hatte nach Götterwelt, Menschen und Nibelungen. Wenn man den Ring, Tarnhelm, Schwert und Speer nicht vermisste, dann war das durchaus plausibel und erst recht sehr spannend.  Es gab Momente, wo es so richtig funkte im Graben und auch auf der Bühne. Ich wusste schon, warum ich den dritten Ring buchte. Musikalisch gab es nahezu nichts zu kritisieren. Dem wirklich eingespielten SängerInnenensemble gelang eine geschlossen gute musikalische Darstellung. Die Krone des Gesangs gebührte an diesem Abend Okka von der Damerau als Erda. Da war für einige Momente Gänsehautfeeling aufgrund ihrer saalfüllenden dunkelst timbrierten und Respekt einflößenden Mezzosopranstimme. Sie bekam zu recht auch den stärksten Applaus. Am Ende gab es viel Zuspruch und nur einige verhaltene Buhs. „Bayreuther Festspiele 2022 – Ein ganz persönlicher Rückblick (Teil 2)
klassik-begeistert.de 31. August 2022“
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Bayreuther Festspiele: "Wißt ihr, was daraus wird?"

Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Bayreuther Festspiele 2022 – ein ganz persönlicher Rückblick (Teil 1)

von Patrik Klein

Ich gestehe aufrichtig, dass ich ein großer Liebhaber der Bayreuther Festspiele bin. Seit 1995 pilgere, wallfahre und träume ich fast jedes Jahr dorthin. Oft, weil es gelang, privat Tickets zu ergattern; in letzter Zeit häufiger als Autor für einen Kulturblog.

Parsifal mit Plácido Domingo war damals mein erstes Erlebnis auf dem Grünen Hügel. Man verstand von Domingos Gesang zwar kein einziges Wort, aber seine Bühnenpräsenz und seine ehemals kernige Tenorstimme mit dem unverkennbarem Timbre wirkte im goldenen Tempel der Wagnerakustik wie eine Offenbarung. Alles drehte sich auch um ihn. Weniger um Wagners Gesamtkunstwerk und weniger um das Bühnenweihfestspiel. Fast alle Festspielbesucher schlichen am Besetzungszettel vorbei, um sich zu vergewissern, dass er auch tatsächlich singt und nicht irgendein Ersatz. Man hörte Wortfetzen im Vorbeigehen: „Gott sei Dank! Er singt“. Das Orchester und der Chor der Bayreuther Festspiele trieben mir schon damals die Tränen in die Augen, als die Verwandlungsmusik „zum Raum wird hier die Zeit“ den Saal füllte. Das Virus gelangte in meinen Körper und Seele und breitete sich aus. „Bayreuther Festspiele 2022 – Ein ganz persönlicher Rückblick (Teil 1)
Klassik-begeistert.de“
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Das Trio Teige, Mayer und Zeppenfeld zeigt, wo der Hammer in Sachen Wagner hängt

Foto: Der fliegende Holländer; Insz. Dmitri Tcherniakov. Thomas Johannes Mayer und Elisabeth Teige © EnricoNawrath, Bayreuther Festspiele

Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 27. August 2022

Der fliegende Holländer
Musik und Libretto von Richard Wagner

von Peter Walter

Der Holländer wird erlöst, nicht durch Sentas Sturz in die Fluten, sondern durch einen Schuss aus Marys Hand. Ist es nun die Rache der Rache oder einfach die lang ersehnte Erlösung seines Fluchs? Dmitri Tcherniakov stellt viele Fragen – wer ist dieser Holländer eigentlich, was will er – und suggeriert spannende Antworten. „Richard Wagner, Der fliegende Holländer
Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 27. August 2022“
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Wie gut, dass dieser Tannhäuser nächstes Jahr wieder auf dem Spielplan steht!

Insgesamt lieferte der Gesamtapparat Chor und Orchester unter Axel Kober  eine mehr als solide Leistung. Die durch die Thielemann-Magie Verwöhnten unter den Zuschauern werden vielleicht bemeckern, dass der routinierte Opern-all-Rounder an der einen oder anderen Stelle zum Schleppen neigte. Trotzdem eine sehr hohe Messlatte für seine Nachfolgerin Nathalie Stutzmann – man sei auf die neueste Überraschungsbesetzung in Sachen Bayreuth-Dirigat 2023 gespannt.

Tannhäuser © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 24. August 2022

Tannhäuser
Musik und Libretto von Richard Wagner

Die derzeitige Top-Form-Serie auf dem Grünen Hügel wird fortgesetzt, Lise Davidsen sollte man schleunigst zur Göttin Brünnhilde erheben, Gould ist wieder in alter Form. Einzige Enttäuschung: Die vierte Aufführung ist für dieses Jahr das letzte Mal. Zum Glück gibt es im Sommer 2023 eine Wiederaufnahme…

von Peter Walter

Diese Oper lebt davon, dass sie sich bis zum Ende steigert – nicht nur wegen der chromatisch aufsteigenden Progression der Tannhäuser-Lieder. Noch spannender ist es, wenn dieses Kunstwerk dreimal hintereinander immer besser wird, genau das ist passiert! Die Feinheiten, die beim letzten Mal noch nicht ganz perfekt saßen, waren jetzt wie glattgeschliffen. Der Venusberg wird zum Stimmen-Spektakel, Tannhäuser und Venus ringen um ihre Liebe, singen sich dabei gegenseitig nieder. Ekaterina Gubanova gelingt ein wahrer Kraftakt, Goulds Tannhäuser muss kämpfen, um diese Venus nicht auf ewig zu verlieren.  „Richard Wagner, Tannhäuser
Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 24. August 2022“
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Power in Bayreuth: Einatmen, Spielen und Singen

Bericht von den Trompeten- und Hornworkshops beim 72. Festival junger Künstler Bayreuth

Bild: Das Blechbläserensemble des Festivals junger Künstler Bayreuth beim Konzert in Speinshart unter der Leitung von Professor Otto Sauter. Foto: Thomas Janovsky ©

von Jolanta Łada-Zielke

Das 72. Festival junger Künstler Bayreuth ist der Ort, wo das musikalische junge Herz der Stadt schlägt. In diesem Jahr kamen zu der größten Probebühne der Jugend der Welt 400 junge Künstler aus über 20 Nationen. Aufgrund der zahlreichen Flugausfälle konnten nicht alle kommen, die es wollten. Diejenigen, die es schafften, nahmen an 13 Workshops, 7 Diskussionen und Vorträgen sowie 60 Konzerten und anderen Kulturevents teil.

Unter den Dozenten gastierten in Bayreuth diese weltberühmten Musiker: der  Trompeter Professor Otto Sauter sowie Hornist und Dirigent Professor Dariusz Mikulski von der Musikhochschule Lodz. Die beiden leiteten Meisterkurse sowohl für einzelne Studenten als auch für ein Blechbläserensemble. Neben dem Unterricht versuchten die Dozenten, den Jugendlichen Richard Wagner, sein Leben und Werk näher zu bringen.  „Trompeten- und Hornworkshops beim 72. Festival junger Künstler Bayreuth
Bayreuth, August 2022“
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Wie man mit den Augen hören kann: Bericht vom 72. Festival junger Künstler Bayreuth

Foto: Anna Handler und Erich Domenech beim Konzert „Musikalische Urwesen – eine Schöpfungsgeschichte“ am 12. August 2022, Foto: Werner Schubert

Festival junger Künstler Bayreuth 2022:
Generalthema „Reflexion. Transformation. Kreation.“

Bayreuth Juli und August 2022


„Man braucht die Augen, um zu hören“
die Autorin dieses Mottos ist die unseren Lesern bereits bekannte Dirigentin und Pianistin Anna Handler, die dieses Jahr wieder an dem Festival junger Künstler Bayreuth teilgenommen hat. Der weitere Teil davon basierte auf drei Schlüsselwörtern: „Reflexion, Transformation, Kreation“ und betraf die jetzige Situation der Kunst.

von Jolanta Łada-Zielke

Während der Coronavirus-Pandemie war unsere Welt mehr oder weniger auf den Kopf gestellt. Warum also nicht damit beginnen, die Menschen neu auf den Musikempfang vorzubereiten, indem man die Reihenfolge umkehrt, und ihnen erst Sehen und dann Hören beibringt? Das sind die Annahmen des Projekts, das Musik mit Visualisierung verbindet, wobei die Musik wichtige Inhalte vermittelt. Anna Handler sei der „Spiritus Rektor“ des Projekts, wie Frau  Dr. h.c. Sissy Thammer, die Intendantin des Festivals, festhält. „Bericht vom 72. Festival junger Künstler Bayreuth
Bayreuth Juli und August 2022“
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Die Bayreuther Festspiele haben ein Zukunftsproblem – ein großes: Der Kartenverkauf wird einbrechen!

Festspielluft II: Dauerbaustelle Opern-Publikum

Foto: Andreas Schmidt ©

Die Bayreuther Festspiele haben ein Zukunftsproblem – ein großes. Das Problem sind weniger die Buh-Orkane, mit denen die über 70-Jährigen für bis zu 433 € das moderne Regietheater zerreißen. Vielmehr sollte sich die Festspielleitung ernsthafte Gedanken darüber machen, wer eigentlich in 30 Jahren noch auf den kreuzzerstörenden Holzstühlen 4,5 Stunden lang der „Götterdämmerung“ (plus 2 x 1 Stunde Pause)  ausharren soll. Und wo bitte bleiben die Über- und Untertitel, die es in jedem Opernhaus der Welt gibt?    

Die eigentliche und existenzielle Herausforderung der Wagner-Festspiele ist eine Generation an Klassik-Liebhabern, die dieses „Eliten-Spektakel“ großenteils ablehnen. In der Generation meiner Kinder wird die Person Richard Wagner weitgehend auf einen rechtsradikalen Antisemiten reduziert. Wer sich freiwillig ins Bayreuther Festspielhaus setzt, wählt bestimmt rechts von der CSU. So die verbreitete Einstellung der jüngeren Generation.

Die Oper hat eine Zukunft, man siehe Wien, man siehe München. Wenn Bayreuth nicht aufpasst, verschwindet die oberfränkische Provinzstadt bald von der Weltkarte der Opernfans.

von Peter Walter, 24. August 2022

Sitzkissentürme, viele Gehstöcke, Rollator-Stau: Alltagsszenen im Festspielhaus. Die Überalterung des Opernpublikums schlägt sich auf dem Grünen Hügel so deutlich durch wie sonst nirgends. Die Stimmung ist konservativer als unter Otto-Schenk-Fans auf dem Wiener Stehplatz. Kein Wunder, dass alles andere als eine museumswürdige Rekonstruktion des 19. Jahrhunderts gnadenlos ausgebuht wird. „Festspielluft II: Dauerbaustelle Opern-Publikum, Bayreuther Festspiele
klassik-begeistert.de, 24. August 2022“
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