von Lothar und Sylvia Schweitzer
Seine Augäpfel traten immer bedrohlicher aus den Augenhöhlen, aber was Ihro Gnaden, die Feldmarschallin, „durch unversiegte Huld“ beim Landedelmann ausgelöst hat, worüber er sich überschwänglich bedankt, geht trotz sichtlichen Bemühens unhörbar unter. Sie hat ihn tiefst beschämt.
Mein erster „Rigoletto“. Der Berufsmörder Sparafucile stellt sich vor seinem Abtritt noch einmal dem Hofnarren vor: „Sparafucil.“ Ich glaubte ein Fagott zu hören, das den Sänger übertönt. Erst in der folgenden Aufführung konnte ich mich überzeugen, dass es der Sänger selbst war.
Der spanische Habsburger-König wurde am ersten Abend nach der Premiere vom Großinquisitor ersetzt. Wir erwarteten und erfuhren eine Steigerung, die jedoch hart erkauft war. Als Großinquisitor, dem zweiten seriösen Bass der Oper, wurde ein Charakterbariton und kein Basso Profondo eingesetzt.
Ein drolliger Buffo spielt den Kezal. „Alles, alles ist klar.“ Seinem Blick entgeht sogar nicht die Fliege an der Wand, die er mit der Spitze seines bunten Regenschirms aufspießt. Bei seinen tiefsten Tönen fängt das Publikum zu lachen an. Sein Frosch in der Kehle erzeugt unfreiwillige Komik. Aber auch ein ausgezeichneter Osmin muss nicht immer als böhmischer Heiratsvermittler beeindrucken, wie es mir einmal ergangen war.
Wenn der Baron auf Lerchenau, bisher nicht gewohnt zu antichambrieren, ins Boudoir der Feldmarschallin eindringt, entschuldigt er sich mit den Worten: „Was tut die frühe Stunde bei Personen von Stand. Hab’ ich nicht wahrhaftig Tag für Tag unsrer Fürstin Brioche meine Aufwartung gemacht, da sie im Bad (tiefes F) gesessen ist, mit nichts als einem kleinen Wandschirm zwischen ihr und mir.“ Auf diese Weise stellt sich uns der Bassist des Abends charakterlich und stimmlich vor. Werden die zwei E, die zwei D und das C ebenso glücken?
Als Partien mit auffallender, unüberhörbarer Tiefe sind Sarastro, Osmin, der Baron Ochs auf Lerchenau und Sir Morosus hinreichend bekannt. Mozart und Strauss schrieben für Bässe Tiefen, die wir bei Wagners schwarzen Bässen Fafner, Hunding und Hagen nicht finden. Unruhig wetzen wir in unsren Sitzen, wenn Osmin Blondchen befiehlt: „Ich gehe, doch du bleibst da.“ Das Vorsignal zum bald kommenden schwarzen Es.
Aber es gibt seltener gespielte Opernwerke in denen auch beeindruckende tiefe Basspartien zu hören sind. So in Schönbergs „Moses und Aron“. Hier tritt ein konservativer Priester als Repräsentant der alten Gottesvorstellungen auf, der mit einer neuen Offenbarung nicht zu Recht kommt. Eine ähnliche Tessitur weist der Lothar in Andrea Lorenzo Scartazzinis „Der Sandmann“ auf, der um das Schicksal seiner Schwester Clara an der Seite Nathanaels besorgt ist. Für uns die beste zeitgenössische Oper, die wir in den letzten zwanzig Jahren kennen gelernt haben, mit dem ausgezeichneten Libretto von Thomas Jonigk.
Ebenso wenig populär ist bis jetzt die Basspartie des provenzalischen Königs René in Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Oper „Iolanta“, der für das Augenlicht seiner blinden Tochter auf Macht und persönliches Glück verzichten will.
Die Partie des Gemeindeältesten in „Tiefland“ braucht unter dem fünfzeiligen Notensystem keine Hilfslinien. Der tiefste Ton ist ein großes G als Schlusspunkt seiner Segenswünsche, bevor Pedro ins Tal zieht. Dennoch gilt sie, wie wir überrascht feststellten, selbst bei in Opern nicht so Bewanderten als Prototyp eines Basses. Wir wollen bei der Gelegenheit in guter Erinnerung an Johannes Kathol von der Wiener Volksoper denken, der im Tamino-Klassikforum unter „Die unberühmte Stimme“ lobende Worte findet.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 14. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 100: Opern – Bühne oder Konzertsaal? klassik-begeistert.de, 31. Oktober 2023