Nino Machaidze, Russell Thomas, Katja Pieweck (Foto: RW)
Wie Katja Pieweck mit Modulation ihrer Stimmfarbe und zum Teil verzögerter bzw. schnellerer Tonemission die starken Gefühle, die geradezu überbordende Reue Elisabeth gegenüber, und den inneren Jubel ob des in ihr ausbrechenden Wunsches, den Infanten zu retten, ausdrückte, war phänomenal. Und das alles nur für eine einzige Vorstellung, warum eigentlich, Herr Operndirektor?
Don Carlos
Oper von Giuseppe Verdi in französischer Sprache
Ungekürzte Fassung in 5 Akten und 10 Bildern
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung Leo Hussain
Staatsoper Hamburg, 26. November 2023
von Dr. Ralf Wegner
Nicht nur einzelne oder vielleicht zwei herausragende gesangliche Darbietungen können einem das Gefühl geben, einer gesanglichen Sternstunde beigewohnt zu haben, sondern auch die gleichbleibend hohe Qualität von allen auftretenden Sängerinnen und Sängern.
Das war am Abend des 26. Novembers der Fall. Ich beziehe mich dabei nur auf den 4. und 5 Akt, also auf die letzten zwei Stunden der Aufführung und nicht auf die inszenatorischen Friktionen davor. Davon habe ich vor drei Tagen berichtet.
Heute hatten alle Sänger noch eine Schippe draufgelegt, wie man so sagt. Dass alles noch etwas besser, vor allem intensiver als bei der letzten Vorstellung war, mag an meinem Platz weiter vorn gelegen haben. Eine Rolle könnte auch gespielt haben, dass es sich um die letzte Vorstellung dieser Serie, und vor allem einem mit gut 1.200 Zuschauern gut gefüllten Opernsaal gehandelt hat. Ich vermute eher letzteres.
Die kleinen Einschränkungen, die ich bei der Stimmenbeurteilung vor drei Tagen anführte, gingen heute an meinen Ohren vorbei. Ich ließ mich auch nicht mehr von den Obertiteln ablenken (die ich von meinem Platz aus sowieso nicht sehen konnte), sondern konzentrierte mich ganz auf die gesangliche Seite von Verdis Schiller-Oper. Und diese Seite war durch die Bank großartig.
Russell Thomas sang in Hochform, auch Nino Machaidze machte ihre große Arie wieder zu einem Erlebnis. Das Duett Großinquisitor, mit mächtigem Bass erneut von Liang Li gesungen und dem ebenfalls schallstarken Alexander Vinogradov, geriet zum Höhepunkt der politischen Seite dieser Oper. Auch überzeugte Vinogradov mit seiner ihm Qualen bereitenden Liebesarie zu Beginn des 4. Aktes. Alexey Bogdanchikov gelang es mit seiner Arie und dem anschließenden Sterbegesang im 4. Akt dem sich opfernden Posa leidenschaftlich, kraftvoll und schönstimmig Kontur zu geben.
Katja Pieweck, seit langem Mitglied des Hamburger Opernensembles und in den letzten Jahren nur selten mit bedeutenderen Rollen betraut (John Neumeier setzte sie dafür bei Altpartien häufiger ein), hatte zwar nicht ganz die Stimmglut und die klangvolle Tiefe von Eve-Maud Hubeaux, die alle anderen Vorstellungen dieser Serie als Eboli besetzt war, Pieweck überzeugte aber mit einem geradezu charismatischen Spiel und mit einer das Blut in den Adern in Wallung bringenden sängerischen Intensität, wie ich es bisher bei Ebolis Arie O don fatale auf der Bühne noch nicht gehört habe. Wie Pieweck mit Modulation ihrer Stimmfarbe und zum Teil verzögerter bzw. schnellerer Tonemission die starken Gefühle, die geradezu überbordende Reue Elisabeth gegenüber, und den inneren Jubel ob des in ihr ausbrechenden Wunsches, den Infanten zu retten, ausdrückte, war phänomenal. Und das alles nur für eine einzige Vorstellung, warum eigentlich, Herr Operndirektor?
Alles in allem war es eine denkwürdige letzte Don Carlos-Aufführung in dieser Saison. Das Publikum überschüttete alle Sängerinnen und Sänger mit jubelndem Beifall, zu recht auch den mit silbrigem Beiklang singenden Bass Bruno Vargas, der für Tigran Martirossian als Mönch bzw. Kaiser Karl V. eingesprungen war.
Dr. Ralf Wegner, 27. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Don Carlos Staatsoper Hamburg, 23. November 2023
Giuseppe Verdi, Don Carlos Wiener Staatsoper, 27. September 2020