Symposium „Regietheater – ein Irrweg?“

Symposium „Regietheater – ein Irrweg?“  Wien, 23.-24. November 2023

Wolfgang Gratschmeier, Roland Schwab, Günther Groissböck, Klaus Billand, Peter Lang,  Daniel Beyer. Foto: Veranstalter

Kurzbericht über das internationale Symposium
„Regietheater – ein Irrweg?“ – Wien, 23.-24. November 2023

„Für wen machen wir Oper??“ rief KS Waltraud Meier in die Runde des ersten Podiumsgesprächs, nachdem Prof. Albert Gier, Romanist und Librettologe; Prof. Clemens Hellsberg, ehem. Vorstand der Wiener Philharmoniker; und Rainer Fineske, Präsident von Richard Wagner International, bereits interessante Kurzreferate zum Thema Regietheater vorgetragen hatten. „Wir machen sie für das Publikum, und das Haus muss voll sein!“ fuhr Waltraud Meier fort. „Und das gelingt nur mit handwerklich guten, aussagekräftigen und überragenden Inszenierungen im Sinne heutiger Wahrnehmung, die verankert sein sollten in Libretto, Text und Musik.“

Damit war aus der tiefsten Überzeugung einer der erfolgreichsten Wagner-Sängerinnen der Nachkriegszeit der Leitfaden für dieses Symposium vorgegeben: Volle Häuser, begeistertes, animiertes, ja am besten von den Eindrücken eines Opernabends beseeltes Publikum. Aber auch perfektes und frühzeitiges Zusammenwirken aller beteiligten Sparten und Individuen, die einen Opernabend erst zu dem machen, was er ist und wird. Um diese Begriffe und Themen kreisten die Referate und Statements aller 15 Referenten an diesen zwei intensiven Tagen vor einem auch mit vielen Fragen und Kommentaren beitragenden interessierten Publikum. Und alle hielten sie sich eng an das Thema! Waltraud Meier wieder „Auch ich liebe ständig Neues auf der Bühne, neue Sichtweisen der Stücke, also auch das Regietheater, aber es muss gut gemacht und nachvollziehbar sein“.

Ähnliches war auch von Regisseur Roland Schwab zu hören, der den letzten „Tristan“ in Bayreuth inszeniert und nun eine Professur an der mdw Wien angenommen hat. Er, der in meiner Sicht bereits einen goldenen Mittelweg zwischen Neu- und Andersdeutung und traditionellem Regiestil gefunden hat – sein gerade am Staatstheater Augsburg herausgekommener „Eugen Onegin“ ist ein weiterer Beweis dafür – ist ebenfalls nicht gegen das Regietheater. Man solle den Begriff der Werktreue erweitern, den Autor durch Freilegen des qualitativen Wertes seines Stücks der Nachwelt retten. Bedingungslose Werktreue würde dem nur schaden. Und er weist auf eine gewisse Partnerschaft der Presse mit den Regietheater-Regisseuren hin. Die Kritiker konzentrieren sich viel zu oft nur auf die Regie und das, was an ihr – vermeintlich – neu ist, allzu oft mit sehr positivem Unterton…

Clemens Hellsberg. Foto: Veranstalter

Für Prof. Clemens Hellsberg sollte ein erfolgreicher Opernabend wie ein Gesamtkunstwerk sein. Kulturjournalist Peter Lang brennt ein wahres Feuerwerk an Regietheater-Eskapaden ab, die er aber alle fein und im Hinblick auf Art und Maß der Grenzüberschreitung beschreibt.

Rainer Fineske,. Foto: Veranstalter

Maestro Daniel Beyer geht auf die so wichtige Rolle der Dirigenten ein, die oft viel zu spät zu einer Neuproduktion hinzugezogen werden und also nicht allzu viel Einfluss auf Regie und Dramaturgie haben. Rainer Fineske geht unter anderem auf die Konsequenzen des überbordenden Regietheaters für die Publikumsentwicklung ein, ausgehend von Bayreuth, wo im kommenden Jahr der neue „Ring“ nur zwei- statt dreimal gegeben werden wird. Prof. Albert Gier beginnt die Erörtungen mit einem profunden Blick auf die geschichtliche Entwicklung des Regietheaters und geht insbesondere auf seine Vorläufer Walter Felsenstein, Joachim Herz und die damalige Berliner Opernszene ein.

Die Sänger Günther Groissböck, der auch eine sehr lebendiges Statement zu seinen Erfahrungen mit dem Regietheater vortrug und die Sängerinnen Prof. Mária Temesi aus Budapest und Marion Ammann aus Basel sowie die Künstlerische Leiterin des Ehrbar-Saals und Sopranistin Mag. Cathrin Chytil gingen zum Teil emotional tief in ihre Erfahrungen auf der Bühne hinsichtlich des Regietheaters ein, seiner Vorzüge und Nachteile bei gewissen Irrwegen.

KS Albert Dohmen musste wegen seines Einspringens für einen Kollegen seine direkte Teilnahme leider absagen, gab aber ein Video-Statement ab, ebenso wie KS Falk Struckmann, der gesundheitsbedingt in letzter Minute absagen musste und einige weitere Empfehlungen in schriftlicher Form übermittelte. Der Ukraine und Balkan-Korrespondent des ORF, Mag. Christian Wehrschütz, gab ebenfalls ein Video-Statement zu den ausufernden Erscheinungen des Regietheaters ab, und zwar mit speziellem Blick auf die Hinführung seiner Enkelin zur Kunstform Oper. Theatermacher Wolfgang Gratschmaier, der mehrere Phasen der Regietheater-Entwicklung in der ex-DDR und der BRD darstellte und sich auch um die gesamte Technik und Aufnahme des Symposiums kümmerte, appellierte an das Wiederaufleben von Seele, Herz und Stil in der Opernwelt. „Die Salzburger Festspiele haben mit der Neuausrichtung des ‚Jedermann‘ vor kurzem ein erstes starkes Zeichen gesetzt“, betonte Gratschmaier am Tag nach dem Symposium. Der Theatermacher sieht dadurch einen Aufbruch in eine Epoche der Opern- und Theaterwelt, in der das profunde Umsetzen mit Herz und Stil neu wiederbelebt wird. Denn: „Modern muss nicht schiach sein“, argumentiert er und hebt hervor, dass Produktionen mit sinnentleerten Meta-Ebenen in den pseudo-modernen Inszenierungen ihr Publikum längst verloren haben.

Last, but perhaps not least, ging ich, Klaus Billand, in meinem Statement noch ein auf die Stücke-Verfremdung durch gewisse Formen des Regietheaters, auf den nötigen Wagemut des Regietheaters, auf die zu einem gewissen Grade erforderliche Herausforderung und Toleranz des Publikums, auf die künstlerische Freiheit und ihre Verantwortung, auf die Subventionierung und den Bildungsauftrag der öffentlichen Hand, sowie auf die Rolle des Feuilletons und hob auch die Bedeutung einer gut ausgearbeiteten Personenregie und eines intensiveren Einsatzes der Lichtregie hervor. Schließlich zog ich ein erstes Fazit des Symposiums mit einigen Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Dieses wird nun komplett in Ton und Bild aufgearbeitet und beizeiten auch weiter kommuniziert werden.

Klaus Billand, Cathrin Chytil. Foto: Veranstalter

Konzipiert und organisiert von Maestro Daniel Beyer und mir sowie veranstaltet vom Richard Wagner Verband Wien e.V. in Kooperation mit dem Richard Wagner Verband International e.V. Bayreuth, fand dieses Symposium vom 23. bis 24. November im Ehrbar-Saal des MusikQuartiers Wien statt. Die meisten Referenten beider Tage brachten in kurzen Vorträgen und in darauf folgenden Podiumsdiskussionen untereinander interessante Aspekte zu Tage, die bei der Beurteilung von exzessiven Regietheater-Irrungen künftig Beachtung finden könnten. Über beide Tage verteilt nahmen folgende 15 Referenten teil, die damit alle wichtigen Bereiche der Kunstform Oper, wie musikalische Leitung, Orchester, Gesang, Regie, wissenschaftlichen Hintergrund, Presse, Verbandswesen und Kultur-Management abbildeten.

Daniel Beyer, Waltraud Meier, Rainer Fineske. Foto: Veranstalter

KS Waltraud Meier, Mezzosopran, München; Prof. Clemens Hellsberg, ehem. Vorstand Wiener Philharmoniker, Wien; Prof. Albert Gier, Professor für romanische Literaturwissenschaften, Schwerpunkt Opern- und Opernlibretti; KS Falk Struckmann, Bassbariton, (per Zuschaltung), Basel; KS Albert Dohmen, Bassbariton, (per Zuschaltung), Rom; Günther Groissböck, Bass, Wien; Prof. Roland Schwab, Regisseur und seit kurzem Professor for Opernregie an der mdw Wien; Peter Lang, Hrsg. Kulturjournal, Regensburg; Maestro Daniel Beyer, München; Rainer Fineske, Präsident, Richard Wagner Verband International e.V., Bayreuth; Dr. Klaus Billand, Opernkritiker, Wien; MA Cathrin Chytil, Sopran und künstl. Leiterin Ehrbarsaal, Wien; Marion Ammann, Sopran, Basel; Prof. Mária Temesi, Sopran, Szeged; und Wolfgang Gratschmaier, auch Moderation, Wien.

Klaus Billand, Wien, den 26. November 2023

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