Portraits von Maria Malibran, Pauline Viardot
Ist es von Vorteil, wenn man zugleich Komponist und Sänger ist? Kann in dem Fall der Komponist die Partitur sänger-freundlicher gestalten? Und umgekehrt, versteht ein Sänger es dann besser die Ideen des Komponisten umzusetzen? Den meisten ist diese doppelte Begabung nicht gegeben. So sind auch die in diesem Beitrag aufgeführten Künstler, meistens hauptsächlich wegen einer Gabe im Gedächtnis der Musikwelt geblieben, obwohl sie sich am Komponieren und am Singen versucht haben.
Dieser Beitrag hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern erzählt nur einige Fakten und Anekdoten aus dem Leben einiger Sänger-Komponisten. Bei meiner Auflistung beschränke ich mich auf diejenigen, die eine gewisse Berühmtheit als (Opern)Sänger errungen haben. Sicherlich werde ich dabei einige übersehen haben.
von Jean-Nico Schambourg
Als Bindeglied zwischen den Primadonnen im vorigen Teil meines Beitrags und den folgenden, kann der spanische Opernsänger, Komponist, Impresario und Gesangslehrer Manuel García der Ältere (1775-1832) oder Manuel del Pópulo Vicente Rodríguez García, wie sein ganzer Name lautete, angesehen werden. Er war außerdem der Vater zweier berühmter Sängerinnen: María Malibran und Pauline Viardot, denen wir gleich noch begegnen werden. Sein Sohn, Manuel Patricio Rodríguez García, wurde, nach einer kurzen, nicht erfolgreichen Karriere als Bariton, ein berühmter Gesangslehrer und Musikpädagoge, der die Methoden seines Vaters in sein “Traité complet de l’art du chant” (Vollständige Abhandlung über die Kunst des Singens – 1841) einfließen ließ. Er war auch der Erfinder des ersten Laryngoskop.
Manuel García war einer der großen Tenöre seiner Zeit und stand regelmäßig mit Catalani, Fodor, Pasta und Colbran auf der Bühne. Mit Letzterer sang er in Neapel Isauun in seiner eigenen Oper “Il Califfo di Bagdad” (1813), Egeo in “Medea in Corinto” von Mayr (1813), Norfolk in “Elisabetta, Regina d’Inghilterra” von Rossini (1815) in den jeweiligen Uraufführungen. Er war auch der erste Almaviva in Rossinis “Il Barbiere di Siviglia” 1816 am Teatro Argentina in Rom.
Rossini blieb während seiner ganzen Karriere der zentrale Komponist, mit dessen Opern er die größten Erfolge feierte in Paris am Théâtre-Italien (1817-1822) und in London am King’s Theater (1824), sowie später in New York am Park Theatre (1826). Sein Auftreten in New York war ein bedeutsames Ereignis in der Musikgeschichte der Vereinigten Staaten, da es sich um die ersten wirklich professionellen Aufführungen dort handelte. García trat mit seiner Ehefrau Joaquina Sitchez (auch genannt „la Briones”), seiner Tochter María und seinem Sohn Manuel jr auf. Ein bedeutsames Ereignis war dabei die US-Premiere von “Don Giovanni” am 23. Mai 1826, der Lorenzo Da Ponte im Publikum beiwohnte.
Von New York zog García mir der Familie weiter nach Mexico, wo er Opern von Rossini, Mozarts “Don Giovanni”, sowie seine eigenen Werke aufführte. Politische Unruhen zwangen die Familie 1829 nach Paris zurückzukehren. Garcías Stimme war aber in der Zwischenzeit stark beschädigt, so dass er sich 1830 von der Bühne zurückzog und nur gelegentliche Auftritte gab. Bis zu seinem Tode 1832 betätigte er sich als Gesangslehrer.
Manuel García hat zeitlebens komponiert und viele seiner Opern und Operetten wurden damals an großen Theatern gespielt. Heute sind sie in Vergessenheit geraten. Die letzten Jahren hat das Rossini Festival in Bad Wildbad einige seiner Werke ins Programm aufgenommen: “Le Cinesi”, “I Tre Gobbi” und die Salonoper “L’Isola Disabitata”. Die Aufführungen zeigten, dass García nicht einfach Rossini kopierte. Als führender Sänger seiner Zeit hatte er ein enormes Verständnis für Stimmen. Dazu kam eine immense Musikalität und ein gutes Gefühl für Dramatik und Stil.
Die Arie “Yo que soy contrabandista” aus seiner Operette “El Poeta Calculista” (Der berechnende Dichter) inspirierte nicht nur George Sand zu ihrem Werk “Le contrebandier” (Der Schmuggler), sondern auch Franz Liszt zur Komposition seines “Rondeau Fantastique”. Robert Schumann übernahm den Text in deutscher Übersetzung in seinem Lied “Der Kontrabandiste” in seinem “Spanischen Liederspiel” Opus 74.
Sie kam 1828 nach Paris zurück an das Théâtre-Italien, von wo aus sie ihre triumphale Karriere startete: Paris, London, Neapel, Mailand, Bologna. Sie sang Rollen jeglicher Stimmlage: Sopran, Mezzosopran, Alt. Jacques Fromental Halévy schrieb für sie “Clari” (1828), Giuseppe Persiani “Ines de Castro” (1835). Sie war 1835 die erste Maria Stuarda in der gleichnamigen Oper von Donizetti, von dem sie auch Adina im “Elisir d’amore” sang. Von Rossini sang sie Arsace und die Titelrolle in “Semiramide”, Fiorilla in “Il Turco in Italia”, Rosina im “Barbiere”, Desdemona in “Otello”, Ninetta in “La Gazza Ladra”, die Titelrolle in “Tancredi”. Von Bellini, sang sie Romeo in “I Capuleti e i Montecchi”, die Titelrolle in “Norma”, Amina in “La Sonnambula”. Sie sang Leonora in “Fidelio”, Alma und Felicia in Meyerbeers “Il Crociato in Egitto” und viele andere Rollen diverser Komponisten.
In der Rolle der Amina in “La Sonnambula” erlebte sie einen ihrer größten Triumphe 1835 am Teatro San Giovanni Grisostomo in Venedig. Die gerührte Sängerin übergab daraufhin ihre gesamte Abendgage dem Theater, das sich von da an in Teatro Malibran umbenannte.
Maria Callas: Ah, non credea mirarti… Ah! non giunge (Bellini: La Sonnambula)
Während Malibran vor allem für ihre Opernaufführungen bekannt ist, komponierte sie etwa 50 Lieder auf Französisch, Italienisch und Englisch im Stile der “Pariser Salonmusik”, die sie ausschließlich auf privaten “Soirées” zum Besten gab. Ausnahme bildeten allerdings Arien, die sie auf der Bühne Werken von Mozart, Rossini, Niccolini hinzufügte. Ihre Kompositionen sind meistens strophische Romanzen, melancholische Barkarolen, Soli, Nocturnes für zwei gleiche Stimmen, lustige Liedchen mit Klavierbegleitung, inspiriert von Stilen aus verschiedenen Ländern.
Marietta Brambilla (1807-1875) war eine der größten Alt-Koloratursängerinnen des 19. Jahrhunderts. Sie machte ihr Bühnendebüt 1827 in London in der Rolle des Arsace in “Semiramide” neben Giuditta Pasta. Sie sang danach in weiteren Opern von Rossini (“Ricciardo e Zoraide”, “Zelmira”), sowie Arnoldo in Meyerbeers “Il Crociato in Egitto” und Romeo in Zingarellis “Giulietta e Romeo”.
Von Beginn an galten Travesti-Rollen als ihre Spezialität. So sang sie 1833 an der Mailänder Scala den Orsini in der Uraufführung der Oper “Lucrezia Borgia” von Donizetti. Den Pierotto in dessen “Linda di Chamounix” kreierte sie 1842 in Wien am Kärntnertortheater. Weiterhin schrieb Donizetti die Tenorrolle des Armando di Gonda aus seiner “Maria di Rohan” auf ihre Stimme um und erweiterte sie für die Premiere 1843 in Paris.
Ewa Podleś : Brindisi – Il segreto per esser felici (Donizetti: Lucrezia Borgia)
Viele weitere Werke wurden für ihre Stimme komponiert von Ricci, Mercadante, Nini, Coccia und anderen. Sie sang vorrangig in Mailand, Wien, Paris und London und begeisterte, neben den schon genannten, in Opern von Rossini, Meyerbeer, Bellini und Pacini. 1847 sang sie in der ersten Aufführung am Teatro San Carlo die Elvira in der Oper “Il Corsaro di Venezia” von Giuseppe Verdi. Diese Oper wurde später unter dem Titel “Ernani” bekannt.
Nach dem Tode ihres Ehemannes zog sie sich von der Bühne zurück und widmete sich dem Unterricht und der Komposition. Eine ihrer Schülerinnen war ihre Nichte Teresina Brambilla Ponchielli, Ehefrau des Komponisten Amilcare Ponchielli und erste Titelinterpretin dessen Oper “La Gioconda”. Auch ihre eigene Schwester Teresa Brambilla, die erste Gilda in Verdis “Rigoletto”, lehrte sie.
Neben Übungen und Vokalisen für Sopranstimme mit Klavierbegleitung, publizierte Marietta Brambilla verschiedene Alben mit Kammermusik für Sopran, Alt, Tenor und Bass, sowie eine Serie von Duetten. Es handelt sich hier um Salonstücke, die an jene der großen Komponisten dieser Zeit, von Donizetti, Mercadante bis Verdi, erinnern und die von dem Verständnis und dem Wissen der Komponistin um den italienischen Bel Canto Stil zeugen.
Pauline Viardot García (1821-1910) war die jüngere Schwester von María Malibran. Nach dem Tode ihres Vaters nahm ihr Bruder Manuel García jr ihre musikalische Ausbildung in die Hand. Sie nahm Klavierunterricht bei Meysenberg und Franz Liszt und studierte Komposition, Kontrapunkt und Harmonielehre bei Anton Reicha.
Hatte ihre Schwester María Malibran mehr Erfolg beim Publikum wegen ihrer faszinierenden Bühnenpräsenz, so kam Pauline, die sechs Sprache beherrschte, besser bei der musikalischen und literarischen Elite. So war sie für Clara Wick Schumann die talentierteste Frau, der sie je begegnet ist.
Sie heiratete 1840 Louis Viardot, den Direktor des Théâtre-Italien, der aber bald nach der Hochzeit seinen Posten aufgab, um sich ganz der Karriere seiner Frau zu widmen. Pauline hatte 1839 ihr Bühnendebüt in der Rolle der Desdemona in Rossinis “Otello” in London gegeben. Einige Jahre genügten ihr, um sich als Sängerin zu etablieren. Meyerbeer schrieb für sie die Fidès in seiner Oper “Le Prophète” (1849), Gounod die Titelrolle seiner “Sapho” (1851), Berlioz eine revidierte französische Version von Glucks “Orphée” (1859), Brahms seine “Alt Rhapsodie” (1870), Massenet sein Oratorium “Marie Magdeleine” (1873).
Sie brillierte aber auch als Bellinis Norma, als Isabelle und Alice in Meyerbeers “Robert le Diable” und als Rachel in Halévys “La Juive”, Rollen in denen man allesamt eine Sopranistin erwarten würde. Sie sang den zweiten Akt von Tristan und Isolde in einer privaten Anhörung mit Wagner selbst als Tenor.
Bei ihrer Freundin George Sand lernte sie Frédéric Chopin kennen. Beide spielten oft stundenlang zusammen Klavier und Pauline schrieb mehrere seiner Mazurkas zu Chansons um (1848). Sie komponierte mehrere Salonopern und Operetten, vier davon auf Texte des russischen Schriftstellers Iwan Turgenew, der in sie verliebt war. Aus ihrer Feder stammen weiterhin über 100 Lieder, von typisch spanischen Stücken bis hin zu Vertonungen russischer Dichter, Klavierstücke, kammermusikalische Werke und Liedbearbeitungen anderer Komponisten.
Sie hatte schon in ihrer Jugendzeit mit dem Komponieren angefangen, aber es war nie ihre Absicht Komponist zu werden. Dank ihrer musikalischer Erziehung waren ihre Werke von professioneller Qualität, was von Franz Liszt mit der Bemerkung bezeugt wurde, die Welt hätte mit Pauline Viardot endlich eine geniale Komponistin gefunden.
Cecilia Bartoli: Hai luli
Die letzte Sängerin dieses Kapitels ist auch die erste von der es musikalische Zeugnisse ihrer Stimme gibt. Die Rede ist von Adelina Patti (1843-1919). Sie war musikalisch “vorbelastet”, da ihre Eltern beide Sänger waren: Salvatore Patti, Tenor und Caterina Barilli, Sopran. In ihrer Jugendzeit zog die Familie nach Amerika um. Sie bekam Gesangsunterricht von ihrem Schwager, dem Musiker und Impresario Maurice Strakosch.
Ihr Bühnendebüt gab sie, sechzehnjährig, am 24. November 1859 an der Academy of Music in New York ihr Bühnendebüt in der Titelrolle von Donizettis “Lucia di Lammermoor”.
1861 sang sie mit riesigem Erfolg am Covent Garden in London die Amina in “La Sonnambula”. Mit Bellinis Oper triumphierte sie in den nächsten Jahren auch in Paris und Wien.
Pattis reihte ab jetzt einem Erfolg auf den anderen. Sie sang überall in Europe, aber auch in Südamerika und den Vereinigten Staaten, wo sie im Weißen Haus für den amerikanischen Präsidenten sang. Sie war unbestritten der „Superstar“ der italienischen Oper in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bekam die höchsten Gagen. Als ihr jemand einmal vorhielt sie würde mehr verdienen als der US-Präsident, antwortete sie nur: “So let him sing!” (Dann lasst ihn singen!).
In den 1860er Jahren besaß Patti eine süße, klare Stimme von großer Reinheit und bemerkenswerter Flexibilität, die ideal für Rollen wie Zerlina, Lucia und Amina war. In ihrer Glanzzeit in den 1870er und 1880er Jahren sang sie in lyrischen Rollen, die mehr gesangliche und schauspielerische Emotionen erforderten, wie Gilda in “Rigoletto”, Leonora in “Il Trovatore”, die Titelpartie in “Semiramide” und Violetta in “La traviata”. Sie wagte sich sogar an “Carmen” heran, hatte aber, gemäß Kritiken jener Zeit, nicht das nötige Feuer für Bizets berühmte Zigeunerin.
Von Beginn ihrer Karriere an flochte Patti Lieder, Arien und sogar eigene Kompositionen in jede Oper, die sie sang. Manchmal gingen diese Zwischenspiele so weit, dass zum Beispiel die amerikanische Presse diese als “Adelina Patti’s Happy Hours” bezeichneten.
Zum Ende ihrer Karriere gab sie unzählige Abschiedskonzerte, in denen sie auch zwei ihrer Kompositionen sang: “The Farewell Kiss-Il bacio d’addio” und “Speme arcana”. Letzteres sang sie üblicherweise in der Unterrichtsszene von Rossinis “Barbiere”. Auch wenn sie in ihrer Karriere eher weniger Opern von Rossini sang, war dieser dennoch komplett von ihr eingenommen, trotz der folgenden Anekdote:
Auf einer Soirée in den 1860ziger Jahren sang sie, in Präsenz von Rossini, die Arie der Rosina “Una voce poco fa” aus dessen “Barbiere di Siviglia” mit Verschönerungen und Kadenzen von Maurice Strakosch, die ihre gesangliche Agilität zeigen sollten, worauf der Maestro ausrief: “Eine himmlische Stimme, Triller wie von einer Nachtigall! Die Musik ist auch nicht schlecht… wer schrieb sie?” Als Strakosch antwortet, sie sei doch vom Maestro selbst, antwortete dieser: ”Oh nein, das ist nicht meine Komposition, das ist Strakoschonnerie!“ (“Cochonnerie“ ist das französische Wort für “Schweinerei”).
(PS: Beim Verfassen dieses Kapitels habe ich mich vom Notenbuch “Une voce poco fa… ovvero le musiche delle primedonne rossiniane” von Patricia Adkins Chiti, die auch musikalisch hier vertreten ist, leiten lassen).
Jean-Nico Schambourg, 11. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil 6 können Sie hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at am Sonntag, 18. Februar 2024, lesen.
Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.
Jean-Nico Schambourg, Jahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.