Gabriela Scherer; Foto Harald Hoffmann
Klassik-begeistert im Interview mit der Sopranistin Gabriela Scherer
von Patrik Klein
Klassik-begeistert: Liebe Frau Scherer, wir kennen uns seit einigen Jahren über die sozialen Medien und ich konnte bereits Einiges über Ihre vielseitigen Projekte, Rollen und Auftritte dort kennenlernen. Zum ersten Mal hörte ich Sie live im vergangenen Dezember zusammen mit meiner Frau als Senta an der Staatsoper Hamburg, wo Sie uns mit Ihrem lyrischen und an den richtigen Stellen dramatischen Sopran in Ihren Bann gezogen hatten. Das war für mich eine sehr berührende Senta, die trotz der Leichtigkeit in der schwierigen Akustik des Hauses intensiv trug. Wie erging Ihnen das in Hamburg in der, sagen wir mal, sehr speziellen Inszenierung mit den vielen senkrecht aufgespannten Seilen?
Gabriela Scherer: Also zunächst muss ich sagen, dass ich mich sehr auf mein Debüt in Hamburg gefreut habe. Ein tolles Haus, fantastische Kollegen und vor allem: Die erste Zusammenarbeit mit dem wundervollen Dirigenten Ádám Fischer. Bei einer Wiederaufnahme ist es immer ein bisschen schade, dass man den Regisseur nicht fragen kann, wie etwas gemeint war oder was die Idee dahinter ist. Einiges wird natürlich vermittelt durch die Regieassistenten, aber es ist oft sehr wenig Zeit. Und so „organisiert“ man sich erst einmal durch das Stück und das neue Bühnenbild, was in diesem Fall mit den Fäden wirklich die größte Herausforderung war.
Klassik-begeistert: Im Repertoirebetrieb verbleibt ja oft nicht so viel Zeit, sich intensiv auf eine Rolle in einer laufenden Inszenierung vorzubereiten und zu proben. Wie ging Ihnen das in Hamburg?
Gabriela Scherer: Wie gesagt hatten wir auch hier nur sehr wenige Tage Zeit zu proben. Das hatte verschiedene Gründe. Es gab noch Umbesetzungen, Krankheitsfälle, am Ende hatte ich eine Probe mit meinem Mann und zwei Tage allein und mit den anderen Kollegen, dann war, glaube ich, schon die erste und letzte Bühnenprobe, wenn ich mich recht erinnere… Aber das ist sehr häufig so bei Wiederaufnahmen, ich habe fast alle Debüts so gemacht. Für meine erste Agathe hatte ich nicht eine einzige Orchesterprobe und nur einen kurzen Durchlauf auf der Bühne. Dazu braucht man wirklich starke Nerven und man muss sehr gut und sehr sicher vorbereitet sein. Aber gerade in Hamburg war das völlig ok mit so wenig Proben. Die Senta habe ich schon oft gesungen, ich hatte höchst professionelle Kollegen und so einen wunderbaren Partner als Dirigenten im Graben, da kann eigentlich nichts passieren.
Klassik-begeistert: Die nächste Frage hatten Sie sicher erwartet: Sie standen in Hamburg mit Ihrem Ehemann Michael Volle als Holländer zusammen auf der Bühne. Sie sind seit mehr als 10 Jahren ein Paar und wenn ich richtig informiert bin, waren Sie zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne. Stimmt das und wie ist Ihre Zusammenarbeit in so einem Fall?
Gabriela Scherer: Ich stand mit meinem Mann schon ein paar Mal auf der Bühne. Wir haben uns auch auf der Bühne kennengelernt, in Baden-Baden. Aber tatsächlich versuchen wir es zu vermeiden, so oft es nur geht. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil sehr viel geredet wurde. Zum Beispiel, dass ich nur durch ihn eine Karriere mache oder dass er mich versucht, in Projekten unterzubringen. Am Anfang stand mir das sehr im Weg, es hat mir viele Türen verschlossen und mir beispielsweise sogar Vorsingen verhindert. Weil es manchmal hieß: „Ach, das ist die Frau von… . Nein danke, kein Interesse.“ Dabei haben viele vergessen, dass ich auch vor meiner Beziehung gute Jobs hatte, Wettbewerbe gewonnen habe, aber natürlich in einem anderen Fach… Und deswegen habe ich einen sehr langen Atem gebraucht und viel Geduld.
Mittlerweile ist mein Kalender aber wirklich gut gefüllt mit vorwiegend Engagements ohne meinen Mann und deswegen sehe ich das jetzt entspannter. Ich habe mich an vielen Häusern mittlerweile bewiesen und werde wieder eingeladen, was für mich das größte Kompliment ist. Und neulich rief mein Agent an mit einem tollen Angebot und sagte: „Aber da ist dein Mann dabei… willst Du das?“ Und ich sagte zum ersten Mal: „Ich denke, ich habe mich mittlerweile genug bewiesen, und wer reden will, tut das sowieso. Aber das ist so ein tolles Angebot und das an der Seite eines der besten Sänger in dem Fach. Ich wär blöd, wenn ich es nicht annehmen würde!“
Ich werde also wieder mit meinem Mann auftreten, aber nicht sehr oft… (sie lacht.)
Zu der Frage wie die Zusammenarbeit ist: Eigentlich ganz normal, professionell und sehr einfach, weil er einfach ein großartiger Künstler und Kollege ist.
Klassik-begeistert: Sie haben vor etwa 20 Jahren als Mezzosopranistin begonnen, dann Ihren jetzigen Mann kennengelernt und ein paar Jahre pausiert. Ab etwa 2015 haben Sie dann einen Fachwechsel vollzogen und als Sopranistin den Faden wieder neu aufgenommen. Wie kam das alles zustande? Was waren damals Ihre Ziele? Wie schauen Sie darauf heute zurück?
Gabriela Scherer: Die lange Pause war nicht wirklich geplant, aber für mich die beste und wichtigste Entscheidung. Ich war damals fest angestellt und es standen noch tolle Debüts an in München. Ich dachte, ich würde nach zwei bis drei Monaten wieder voll einsteigen. Was ich auch versucht hatte, aber man weiß nicht, was es bedeutet, Mutter zu sein, bevor man es wirklich ist. Da kann man planen, so viel man will, jeder reagiert anders auf diese neue Situation. Und ich wollte jede Sekunde bei den Kindern sein, sie sind das größte Geschenk in meinem Leben und wir haben wirklich eine sehr enge Verbindung. Und dafür bin ich sehr dankbar.
Als ich wieder den Drang verspürte zu singen, habe ich beschlossen, ganz neu anzufangen. Mir wurde immer wieder als Mezzo gesagt, dass ich eigentlich Sopran bin, aber mein Kalender war voll mit Mezzo-Partien. Wie will man da einen Fachwechsel angehen? Aber die Pause war genau richtig und ich fing neu an, indem ich drei Sopran-Arien lernte und damit vorsingen ging. Das war ganz schön naiv. Ich dachte, ich könnte gleich eine Elsa singen. Aber irgendwie hat es funktioniert und ich bekam relativ schnell ein Angebot als Ariadne und fand eine Agentur… Ich fühle mich in meinem Fach absolut angekommen jetzt.
Klassik-begeistert: Im Jahr 2020 kam dann diese für viele freischaffenden Künstler dramatische Situation während der fast dreijährigen Pandemie dazu. Inwiefern hat das Ihre Pläne durchkreuzt, die Sie damals sicher bereits hatten?
Gabriela Scherer: Ich habe auch ein paar tolle Jobs verloren, wichtige Debüts und schöne Produktionen. Aber wem ging es nicht so? Ich möchte nicht jammern über diese Zeit, denn wir hatten es wunderbar als Familie. Und man fing an über vieles nachzudenken, vieles wurde einem bewusst in dieser Zeit. Was ist wichtig im Leben, und was nicht… Und es hat uns als Familie noch viel mehr zusammengebracht, deswegen möchte ich mich wirklich nicht beklagen. Und es geht für mich Gott sei dank sehr gut weiter jetzt. Für viele Kollegen war es viel schlimmer und sie kämpfen immer noch, das ist grausam… Ich denke, es gibt sehr vieles aufzuarbeiten aus den letzten Jahren, aber über meine persönliche Situation kann ich, trotz einiger Absagen, wirklich nicht klagen.
Klassik-begeistert: Schauen wir doch nun etwas nach vorne, denn da stehen so viele schöne Herausforderungen auf Ihrem Plan. Man hörte Anfang diesen Jahres von einer fulminanten Leonore in „Fidelio“ in Lissabon, einem Rollendebüt als Chrysothemis in „Elektra“ an der Semperoper in Kürze, dann im Mai diesen Jahres die erste Donna Elvira an der Staatsoper Berlin und Höhepunkt sicher die Gutrune in der „Götterdämmerung“ bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen. Wie kam es zu der Auswahl dieses Repertoires und was ist das Reizvolle für Sie an diesen Partien?
Gabriela Scherer: Das sind alles sehr unterschiedliche Rollen. Die Beethoven Leonore ist für mich unheimlich wichtig geworden. Am Anfang brauchte ich etwas Zeit den Zugang zu der Musik zu finden. Aber ich liebe diese Rolle mittlerweile und das Debüt in Lissabon, eine meiner absoluten Lieblingsstädte dieser Welt, war einfach nur ein Traum. Ein tolles Team, ein tolles Stück und viel Sonne im Januar. Die Chrysothemis war ebenfalls eine große, wenn nicht sogar die größte Herausforderung für mich. Man hat keine Chance mit so einem Debüt, wenn man die Rolle nicht absolut hundertprozentig sicher studiert hat und auch weiß, dass man sie stimmlich durchhält. Und wenn dann das Orchester und die Bühne dazu kommen, kommt nochmal eine Herausforderung dazu. Gott sei dank hatte ich auch hier die wunderbarsten Partner und Kollegen und die Vorstellungen sind bisher ein großer Erfolg gewesen. Über dieses Debüt bin ich wirklich ganz besonderes glücklich.
Und einen Monat danach mein Debüt als Donna Elvira. Da muss ich immer etwas schmunzeln, weil es so etwas anderes ist. Und eigentlich der perfekte Ausgleich, von diesem wahnsinnigen geballten Sound in „Elektra“ überzugehen zu weicher Stimmhygiene und Mozart’scher Beweglichkeit in der Stimme.
Klassik-begeistert: Bayreuth ist ja etwas ganz Besonderes. Der Klang der Stimmen und des Orchesters, die Atmosphäre auf dem Grünen Hügel und die absolute Fokussierung Aller auf das Werk Richard Wagners. Wie sehr freuen Sie sich auf die Stadt in Oberfranken und was ist das Besondere für Sie dort?
Gabriela Scherer: In Bayreuth zu singen ist grundsätzlich die Erfüllung eines Traums. Allein mit diesem Orchester, den Kollegen auf dieser besonderen Bühne zu stehen, das ist einfach einmalig und ich freue mich riesig darauf. Da es die Wiederaufnahme des Rings von 2022 und 2023 ist, wird nicht viel geprobt, und zusätzlich singe ich bis Anfang Juli Senta in Düsseldorf und pendele hin und her. Deshalb werde ich leider gar nicht so viel Zeit in Bayreuth verbringen. Aber ich bin sicher, dass ich jeden Moment in Bayreuth aufsaugen werde.
Klassik-begeistert: Wie sehen denn die weiteren Pläne für Sie in der Zukunft aus? Können Sie da schon etwas verraten?
Gabriela Scherer: Meine nächste Spielzeit wird vor allem dominiert von meiner geliebten Senta, an diversen Orten. Und dann kommt ein Rollendebüt, über das ich mich so unfassbar gefreut habe, wie ein Kind. Und zwar werde ich meine erste Pamina singen. Ich hätte nicht gedacht, dass man mir diese Rolle anbieten wird und es wird vielleicht auch verwunderte Reaktionen hervorrufen. Aber es ist etwas vom Besten, was mir passieren konnte. Ich habe lange mit meinem wunderbaren Agenten darüber gesprochen. Ich sagte ihm, „ich will diese Rolle so gern singen“, hatte Gänsehaut, als man es mir angeboten hat. Aber ich weiß auch, dass es sicher Stimmen gibt, die sagen: „Die kann sich wohl nicht entscheiden, welches Fach sie singen will“. Aber wir waren uns beide sofort einig, dass es absolut gesund ist für die Stimme, sie schlank und auch lyrisch zu halten. Und ich freue mich täglich wie ein kleines Kind über diese Rolle. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit meinem Agenten so gut darüber kommunizieren kann, was jetzt wichtig ist für mich und meine stimmliche Entwicklung. Es ist viel mehr als einfach nur eine „Arbeitsvermittlung“. Er ist einer meiner besten Berater. Und deswegen kommen wirklich ausschließlich tolle und wichtige Partien in den nächsten Jahren, wie zum Beispiel Alice Ford oder in späterer Zukunft die Elisabeth in „Tannhäuser“ und zum Glück auch wieder die „Fidelio“-Leonore.
Klassik-begeistert: Was machen Sie denn privat als Ausgleich zu den vielen Herausforderungen auf der Bühne am liebsten?
Gabriela Scherer: Ich bin in erster Linie einfach Mama. Es gibt immer so viel zu tun, wenn ich wieder zuhause bin. Ich koche sehr gerne, das liebe ich wirklich sehr, helfe den Kindern bei allem, was ansteht, gehe sehr viel mit dem Hund raus. Und ich genieße unser wunderschönes Zuhause. Also das ist nicht nur Arbeit, sondern ich liebe es einfach mal mit den Kindern über alles zu reden was so passiert in der Schule, verbringe viel Zeit mit ihnen… Aber tatsächlich bleibt oft gar nicht so viel Zeit, es gibt viele Rollen zu studieren und ich arbeite sehr intensiv mit meinem Coach. Für mich ist der perfekte Ausgleich dann wirklich, in die Natur zu gehen. Ich meditiere sehr viel im Wald, kann so in kürzester Zeit wahnsinnig viel Kraft tanken. Und die brauche ich auch mit einem Haushalt und einem großen Garten, zwei Kindern und einem Job.
Klassik-begeistert: Liebe Frau Scherer, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Patrik Klein, 6. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Biografie Gabriela Scherer – Sopran
Gabriela Scherer stammt aus Zürich und studierte bei Prof. Horiana Branisteanu und bei Prof. Elisabeth Wilke am Mozarteum in Salzburg. Sie vervollständigte ihre Ausbildung im Opernstudio der Oper Zürich und in Meisterkursen bei Angelika Kirchschlager, Francisco Araiza und Bernarda Fink. Zu Beginn ihrer Karriere gehörte sie dem Ensemble der Oper Leipzig an, anschließend dem Ensemble der Bayerischen Staatsoper in München.
Seit ihrem Fachwechsel hat Gabriela Scherer mit großem Erfolg zahlreiche Partien des jugendlich-dramatischen Fachs gesungen. So zählten etwa die Titelrolle in Arabella an der Deutschen Oper Berlin und die Rolle der Senta in Der fliegende Holländer in gleich zwei Neuproduktionen, zum einen an der Deutschen Oper am Rhein, zum anderen am Teatro Nacional de São Carlos in Lissabon, zu den Höhepunkten der Spielzeit 2022/2023.
In dieser aktuellen Spielzeit übernimmt die Künstlerin eine Vielzahl an Rollen. Sie ist sowohl an der Hamburgischen Staatsoper als auch an der Deutschen Oper am Rhein als Senta zu sehen. Des Weiteren gibt sie als Gutrune in Götterdämmerung ihr Debüt bei den Bayreuther Festspielen und singt ihre erste Chrysothemis in Elektra an der Semperoper in Dresden. An der Staatsoper Unter den Linden in Berlin singt sie die Partie der Donna Elvira in Don Giovanni. Zusätzlich verkörpert sie in Lissabon die Rolle der Leonore in Fidelio.
Am Theater Dortmund brillierte Gabriela Scherer 2021 als Tosca in der gleichnamigen Oper von Puccini. In der gleichen Saison gab sie ihr lang erwartetes Rollendebüt an der Oper Leipzig als Elsa in einer Neuproduktion von Lohengrin, an der Seite von Klaus Florian Vogt in der Titelrolle. Ebenfalls an der Oper Leipzig sang sie die Freia (Das Rheingold) bei den Wagner Festtagen 2022. An der Staatsoper Unter den Linden gab sie 2022 kurzfristig mit der Titelrolle von Ariadne auf Naxos ihr Hausdebüt.
Zu den Höhepunkten der vergangenen Spielzeiten zählen die Contessa (Le nozze di Figaro) und die Titelrolle in Glucks Iphigenie au Tauride an der Semperoper Dresden, Arabella an der Deutschen Oper am Rhein, Ariadne auf Naxos am Theater Lübeck, Elisabetta (Don Carlos), Agathe (Der Freischütz) an der Oper Leipzig und ihr Debüt als Senta am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Darüber hinaus gastierte sie bereits erfolgreich an der Opéra national de Paris, dem Festspielhaus Baden-Baden, dem Theater Luzern, dem Stadttheater Klagenfurt und den Opernfestspielen Heidenheim, um nur einige wichtige Stationen ihrer bisherigen künstlerischen Laufbahn zu nennen.
Gabriela Scherer arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie Markus Bosch, Simone Young, Thomas Hengelbrock, Kent Nagano, Riccardo Chailly, Asher Fisch, Ulf Schirmer, John Eliot Gardiner, Lawrence Foster, Christopher Hogwood und Marek Janowski zusammen.