Chor und Solisten während des Schlussapplauses, von links: Jakub Hliněnský, Vero Miller, Francesca Lombardi Mazzulli, Khanyiso Gwenxane, Akiho Tsujii und Barbora Polášková de Nunes-Cambraia © Beth Chalmers
Die Aufführung von „La clemenza di Tito“ von W. A. Mozart krönt die Gluck-Festspiele in Bayreuth am 11. Mai 2024
von Jolanta Łada-Zielke
Ich hatte Bedenken, ob die Gluck-Festspiele nicht eine Art Kopie von Bayreuth Barock sein könnten, vor allem, was die Besetzung angeht. An beiden nehmen doch zwei herausragenden Countertenöre – Bruno de Sá und Valer Sabadus – teil. Die Christoph Willibald Gluck gewidmete Veranstaltung hat jedoch ein abwechslungsreicheres Programm, und nicht nur Countertenöre, sondern auch Frauen singen hier die Männerrollen.
So ist es bei der Besetzung von Mozarts „La clemenza di Tito“, wobei zwei herausragenden Sängerinnen junge Männer darstellen. Vero Miller vom Mainfranken Theater Würzburg singt Sesto, und die tschechische Mezzosopranistin Barbora Polášková de Nunes-Cambraia spielt die Rolle des Annio. Der südafrikanische Tenor Khanyiso Gwenxane verzaubert das Publikum als der großzugige Titelheld Tito, und die Italienerin Francesca Lombardi Mazzulli begeistert als Vitellia. Die japanische Sopranistin Akiho Tsujii springt für die erkrankte Zuzana Kos-Koprivová in der Partie der Servilia ein und verleiht dieser Figur Sanftheit, aber auch Entschlossenheit. Ihre Stimme zeigt viele Schattierungen des Ausdrucks, von milder Tiefe bis zur glänzenden Höhe. Überzeugend ist Jakub Hliněnský als Publio, der ganz und gar nicht wie ein Militärdiener aussieht. Mit seinem voluminösen und warmen Bariton zeigt er innere Zerrissenheit seines Helden bei der Erfüllung unangenehmer Aufgaben, wie Vorbereitungen der Hinrichtung eines Verräters.
Im Gegensatz zu Glucks Version gibt es bei Mozart mehr Ensembleszenen, Duette, Terzette und am Ende singt der Chor zusammen mit dem Solisten-Sextett. Der Opern- und Musiktheaterregisseur ROCC schlägt ein bescheidenes, aber symbolträchtiges Bühnenbild vor.
Zu Beginn sehen wir einen langen Tisch, um den herum kegelförmige Metallsäulen, gefüllt mit weißem Stoff, aufgestellt sind. Beim Ausbruch des Aufstandes, als das Kapitol in Brand gesetzt wird, beginnen sie rot zu leuchten. Im zweiten Teil bleiben nur ihre Metallskelette auf der Bühne, und die Kostüme der Protagonisten weisen Brandspuren auf. Der Chor tritt in langen Wendekleider auf, die im ersten Teil von der schwarzen und in der Schlussszene von der weißen Seite zu sehen sind. Ein Kranz aus goldenen Lorbeerblättern, der von der Decke hängt, ähnelt dem Heiligenschein – die Fähigkeit zu verzeihen ist nicht nur eine römische Tugend, sondern auch eine der christlichen Werte. Am Ende rutscht ein roter Wimpel mit der Aufschrift „AMOR“ von oben herab, als ein Zeichen dafür, dass die Liebe siegt.
Francesca Lombardi Mazzulli ist souveräner als die anderen, was übrigens zu der rachsüchtige Vitellia passt. Schon ihr erstes Erscheinen auf der Bühne ist beeindruckend. Diese Pavarotti-Schülerin hat eine kräftige Stimme mit großem Volumen und interpretiert ihre Figur sehr suggestiv. Ihre Artikulation in der Brustlage ist stellenweise zischend und knirschend. Die Sopranistin nimmt etwas aggressiv hohe Töne an. Erst am Ende, wenn Vitellia milder und demütiger wird, spiegelt Mazzulli diese Verwandlung gesanglich wider, zeigt die Tiefe ihrer Stimme und malt schöne melodische Linien.
Zwischen Vitellia und Sesto findet ein leidenschaftliches Spiel statt, bei dem die Frau seinen männlichen Stolz verletzt und mit seinen Gefühlen spielt, indem sie vor seinen Augen mit Annio flirtet. Der erotische Hintergedanke ist hier jedoch subtil und unaufdringlich. Die Szene zwischen Tito und Sesto, in der der Kaiser den Verrat seines Freundes nicht begreifen kann und dieser sich selbst beschuldigt, um seine Geliebte zu retten, ist sehr dramatisch und ergreifend, sowohl auf der schauspielerischen als auch auf der gesanglichen Ebene. Khanyiso Gwenxaneund Vero Miller zeigen hier die ganze Bandbreite an Emotionen: Schmerz, Leid, das Bewusstsein der Unumkehrbarkeit der Ereignisse und schließlich verzweifelte Resignation.
Die Charaktere reichen ein Messer, das Werkzeug eines gescheiterten Verbrechens, ein wenig zu oft von Hand zu Hand. Mit einem Revolver manövrieren sie auch etwas zu viel. Davon abgesehen ist jede Geste und jede Bewegung wohlüberlegt. Der Chor und das Orchester J.K. Tyl Pilsener vervollständigen das künstlerische Erscheinungsbild dieser Produktion.
Die Sängerinnen und Sänger, die an den Gluck-Festspielen teilnehmen, haben das große Glück, in Michael Hofstetter einen Dirigenten und Mentor gefunden zu haben. Er gibt sein umfangreiches musikalisches Wissen an sie weiter und zeigt ihnen, wie sie es in der Praxis bei der Interpretation der Stücke anwenden können. Man sieht, dass sie sich unter seinem Taktstock wohl fühlen. Der Maestro dirigiert das Orchester mit Engagement, Verve, aber auch mit großer Sensibilität, indem er Mozartsche Leichtigkeit mit Präzision verbindet.
Die Gluck-Festspiele sind ein Festival der hervorragenden Stimmen. Dieses Event zeichnet sich nicht nur durch sein hohes künstlerisches Niveau, sondern auch durch eine freundliche, fast familiäre Atmosphäre, aus. Hoffen wir, dass sie auch bei künftigen Auflagen erhalten bleibt.
Jeder mächtige Politiker sollte sich „La clemenza di Tito“ ansehen, und die Frage beantworten: Ist die Entscheidung des Kaisers, seinen Feinden zu verzeihen, ein Zeichen seiner Schwäche oder im Gegenteil, seiner Stärke?
Sicherlich ist es ein Ausdruck seiner Menschlichkeit. In diesem Sinne ist Vergebung sinnvoller als Vergeltung, die nur zu einer Eskalation der Gewalt führt.
Jolanta Łada-Zielke, 16. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gluck Festspiele, Händel & Gluck Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, 10. Mai 2024