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Während „Salome“ den Kopf des Jochanaan fordert, kämpft man mit einer Dunstwolke des Grauens. Reihe 13, Parterre, Opéra Bastille. Irgendjemand hat die Grundregeln der Hygiene missachtet. Konzentration aufs Wesentliche fällt schwer. Lise Davidsen als blutüberströmtes „Entjungferungsopfer“ ist natürlich eine Naturgewalt. Gerhard Siegel als lüsterner Herodes ist ein Ungustl par excellence. Nur das Orchester mindert den künstlerischen Gesamteindruck.
Richard Strauss, Salome
Opéra Bastille, Paris, 25. Mai 2024
von Jürgen Pathy
„Things are direct, nothing is subtle“. Der Herr trifft den Nagel auf den Kopf. Lydia Steier hat sich nicht mit Subtilität bekleckert, sondern legt das Libretto erschreckend blutig offen. „Ein Skandal“, sei die Premiere noch gewesen. Den Tanz der sieben Schleier legt die US-amerikanische Regisseurin neu aus. Salome besteigt Herodes und reitet im Rhythmus der Musik. „Kann man so machen, ist halt eher billige Provokation“, meint jemand. Sex sells, das war schon immer so. Volles Haus in der über 2700 Plätze fassenden Opéra Bastille.
Eine Stimme für die Ewigkeit
Ein Grund dafür sicherlich Lise Davidsen, die durch die Partitur fegt wie ein geschmeidig hinterhältiger Wirbelsturm. Die Stimme der Norwegerin glüht. Die Spitzen verirren sich nie in unangenehm-tönende Seitengassen. Immer behält diese Salome die Oberhand über ihre Stimme. Der Schlussgesang ist gar eine Demonstration dessen, wie man Gefühle der Ekstase in 20-minütige Energieschübe verpackt.
Gerhard Siegel bekommt diese am eigenen Leib zu spüren. Ein Schmierfink, wie er im Buche steht. Herodes, der alternde Lustmolch, liegt beim deutschen Charaktertenor in besten Händen. Vokuhila, Indianerkopfschmuck, damit stellt er die Dekadenz in die Auslage. An seiner Seite keift sich Ekaterina Gubanova fast aristokratisch durch die Partitur. Als Vamp, als dracula-artige Fürstin der Nacht, kurvt diese Herodias in schwarzen Strapsen über die Bühne. Eine Art Betonsilo, in dem Leichen regelmäßig im Säurebad versenkt werden. Narraboth alias Pavol Breslik verkündet dort wortdeutlich sein Leid. Ein freudiges Wiedersehen mit dem slowakischen Tenor, der in Wien lange Zeit fast schon zum Inventar zu zählen war.
Ein blutiger Schocker
Lydia Steiers Inszenierung wäre dort vermutlich auf viel Widerstand gestoßen. In Paris hat man sich an die Direktheit bereits gewöhnt. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass Salome alles andere sein dürfte als ein unschuldiges Missbrauchsopfer. Sie verführt Herodes mit großer Lust, während der seinen Kopf in ihrem Schoß vergräbt. Dass sie den Kopf des Jochanaan fordert, schockiert danach nicht mehr.
Der ruht bei Johan Reuter in einer zurückhaltend geführten Stimme, die Johannes den Täufer eher in den Hintergrund rückt. In Summe ein atemberaubendes Spektakel, das vor allem eines offenbart: Salome ist bei Lydia Steier die Übeltäterin. Darin besteht kein Zweifel. Ihr Leben verliert sie zum Ende zurecht.
Nur das Orchester trübt den Gesamteindruck. Eine „Salome“ ohne die emotionalen Schübe aus dem Graben zu spüren. Damit schiebt man diesem orchestralen Geniestreich einen erheblichen Riegel vor.
Rund 100 Mann im Graben, ein Drittel davon unter einem Deckel. Vielleicht liegt dort die Ursache begraben, warum Dirigent Mark Wigglesworth keine Euphorie entfachen kann. Minimal verstärkte Akustik dürfte nur auf den Rängen einen Einfluss üben. Meint zumindest meine Sitznachbarin. Ein „Local“, die für eine französische Zeitung schreibt. Not sure: Stimmen und Inszenierung versus Graben. Letzterer könnte in der Opéra Bastille generell den Kürzeren ziehen.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 28. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at