Sommer in Lesmona 2024 mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen im Knoops Park. Stargast am Freitag Abend war der Akkordeonist Martynas Levickis. Foto: Karsten Klama
Eine lauschig-launige Atmosphäre und mitreißend spannendes musikalisches Cross-over sorgen für jede Menge Begeisterung beim 29. „Sommer in Lesmona“-Festival der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen
Nabil Shebata Dirigent
Kirsten Rademacher Moderation
Martynas Levickis Akkordeon (Bremer Freitagnacht)
Leslie Malton Lesung
und Musiker der Deutschen Kammerphilharmonie Streichquartett/Oboenquintett (Tee in Lesmona)
Roby Lakatos & his Ensemble (Großes Orchesterkonzert)
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Open-Air-Festival in Knoops Park, Bremen-St.Magnus,
vom 9. – 11. August 2024
von Dr. Gerd Klingeberg
Freitagabend, Bremer Freitagnacht:
George Gershwins berühmte Rhapsody in Blue auf einem Akkordeon vorzutragen, das dürfte einigermaßen abwegig erscheinen. Nicht jedoch, wenn dies auf einem Konzertinstrument der Extraklasse erfolgt und der Spieler Martynas Levickis heißt. Was anfangs noch etwas ungewohnt, vielleicht tango-ähnlich anmutet, klingt schon bald so, als sei es eigens fürs Akkordeon komponiert worden. Der litauische Akkordeonist Levickis gilt weltweit als einer der Besten seines Fachs.
In diesem Jahr ist er Stargast beim 29. „Sommer in Lesmona“, dem seit 30 Jahren (einmal ausgefallen durch Corona) von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen ausgerichteten Open-Air-Festival im Bremer Norden, auf einer beschaulichen Lichtung unter und zwischen uralten Bäumen im Knoops Park, dereinst ein zentraler Ort in Marga Bercks gleichnamigem, auf einer wahren Lovestory beruhenden Briefroman und des 1987 entstandenen Kinofilms mit Katja Riemann.
Mehr als dreitausend Zuhörer lagern auf der Wiese, picknickend, plaudernd, entspannt die Unbeschwertheit des Seins genießend. Das ist ein bisschen Berliner Waldbühne in klein, aber mindestens ebenso attraktiv, zumal die Kammerphilharmoniker ihre abwechslungsreichen Konzertprogramme in gewohnter Top-Qualität und mit sichtbarem Enthusiasmus präsentieren.
Die „Bremer Freitagnacht“ startet mit Antonín Dvořáks Karneval-Ouvertüre op. 92; das dynamisch ausgefeilte Spiel der Kammerphilharmoniker wirkt dabei so prickelnd wie ein Glas Sekt zur Begrüßung. Levickis folgt mit der eigens arrangierten Carmen-Suite (G. Bizet), anfangs gefühlvoll, dann, beim Toreador, zackig hart und rasant.
Unter dem inspirierenden Dirigat von Nabil Shebata, der unweit von Bremen in Verden aufgewachsen ist und mittlerweile mit etlichen renommierten Orchestern zusammengearbeitet hat, bilden Orchester und Solist eine perfekte Einheit.
Von wehmutsvoll folkloristisch bis jazzig-fetzig reicht die musikalische Bandbreite der Levickis-Eigenkomposition „Rūta žalioj“, in der er alle Raffinessen seines Instruments – er nennt es liebevoll seine „magische Trickkiste“ – bravourös zum Ausdruck bringt. Die Zuhörer lauschen gebannt; mucksmäuschenstill wird es auf der großen Wiese, wenn Levickis flüsterleise Passagen spielt. Ein toller Effekt, der sogar noch intensiviert wird durch die durchweg sehr subtile Aussteuerung eines genialen Tonmeisters am Mischpult der elektronischen Verstärkung.
Weitere magische Momente folgen, als zu den sanften Klängen von Ennio Morricones „La Califfa“ überall unzählige glitzernde Wunderkerzen geschwenkt werden. Mit Rimski-Korsakows „Capriccio espagnol“ hat das Orchester aber noch einen munteren Rausschmeißer für den Heimweg parat.
Samstagnachmittag, Tee in Lesmona:
Bereits am Samstagnachmittag gehts in etwas kleinerem Rahmen weiter mit dem „Tee in Lesmona“. Schauspielerin Leslie Malton liest gemütvoll heitere Anekdoten und Geschichtchen aus dem literarischen Œuvre von Joseph Roth, Sándor Márai, Friedrich Torberg und Bohumil Hrabal. Ein Streichquartett aus Mitgliedern der Deutschen Kammerphilharmonie umrahmt die Lesung mit den Ecksätzen von Dvóřaks „Amerikanischem Quartett“ und spielt dazwischen kammermusikalische Kleinodien, darunter der anrührende 2. Satz aus Joseph Haydns „Kaiserquartett“ (dessen Thema zur Deutschen Nationalhymne wurde) sowie, erweitert durch eine Oboe, Sätze aus Oboen-Quartetten von Mozart und Fiala.
Samstagabend, Großes Orchesterkonzert:
Zum Großen Orchesterkonzert am Samstagabend haben sich noch deutlich mehr Zuhörer als am Vorabend auf der Wiese platziert. Erneut ist das komplette Orchester im Einsatz, auch Nabil Shebata steht wieder auf dem Dirigentenpult. Dem von ihm selbst geäußerten Anspruch, dass er „die Partitur auf das Ohr der Hörer übersetzen möchte“, wird er gleich mit der eingangs mit Schmackes und Schmiss angegangenen Ouvertüre aus „Ruslan und Ljudmila“ (Michail Glinka) gerecht.
Und er hat ein Orchester, das gewillt und auch in der Lage ist, dies adäquat umzusetzen. So bleiben auch bei straff angezogenen Tempi die Akkuratesse und Transparenz der orchestralen Ausführung optimal gewahrt. Zum Traditional „Deux Guitares“ gesellen sich „Roby Lakatos & his Ensemble“ dazu, herausragende Gipsy Jazzer, die das Auditorium von Beginn an mit gehörigem Drive und rasanter Performance mitreißen. Da sind die schluchzenden oder mit wirbelnden Bögen aufspielenden Geigen des Ensembles, das furios klimpernde Zymbal, die fetzigen Gitarrenakkorde, der dumpf grummelnde Bass und die quirligen Läufe des Klavier.
Dazu ein klassisches Orchester, das für ein harmonisches Fundament sorgt oder aber im Miteinander mit dem Lakatos-Ensemble Brücken zwischen zwei so gegensätzlichen Herangehensweisen und Musikstilen baut. Sich gegenseitig aufputschend, werden derart berauschende, vom markanten Rhythmus vorangetriebene Klangeindrücke generiert, dass bei Stücken wie „Nina“ oder „Tic Tac“ (von Darius Blasband) sogar sprichwörtlich sture Hanseaten ein Mitwippen der Beine schwerlich unterdrücken können. Und als Zymbalist Jeno Lisztes sich sogar aufmacht, den „Hummelflug“ von Rimsky-Korsakow in einer Prestissimo-Sturzflug-Spezialversion vorzutragen, da scheint es selbst der Radio- und TV-erfahrenen Moderatorin Kirsten Rademacher, die in angenehm lockerem Plauderton durchs Programm führt, vor lauter Erstaunen für einen Moment die Sprache verschlagen zu haben.
In prallen, teils wie mit schwüler Erotik aufgeladenen Klangbildern gestaltet das agil agierende Orchester die „Bacchanale“ (aus „Samson et Dalila“ von C. Saint-Saëns). Selbst sprühend vor Energie, gestaltet Shebata mit seinen dirigentischen Vorgaben jedes vorgetragene Werk lebhaft und mit größtmöglicher Facettenvielfalt. Zur sanften Untermalung unzähliger Wunderkerzen ringsum dient diesmal Astor Piazzollas sehnsuchtsmelodiöses „Chiquilín de Bachín“.
Aber auch der Samstagabend endet nicht etwa in Wehmut und Melancholie, sondern mit der mitreißenden heiteren Filmmusik zu „Le Grand Blond“ (V. Cosma) und dem packenden Finale aus Tschaikowskys 4. Sinfonie.
Das ist beste Unterhaltung, selbstverständlich auf höchstem Niveau dargeboten von engagierten Musikern für ein dankbares Publikum, das auch zu fast mitternächtlicher Stunde immer wieder begeisterten Beifall spendet.
Und sich am Sonntag – zumindest halbwegs ausgeruht – auch gleich wieder zu diversen Workshops, Aktionen, einem Picknick-Wettbewerb und einem Familienkonzert in Scharen in Knoops Park einfindet.
Erneut hat der „Sommer in Lesmona“ mit lauschig-launiger Atmosphäre und spannendem musikalischen Cross-over für Begeisterung bei Zuhörern aus nah bis sehr fern gesorgt, darunter auch vielen, die sich nicht unbedingt als klassik-affin bezeichnen würden. Ob das beliebte Event mit seiner nächstjährigen, dann 30. Auflage, wohl noch zu toppen sein wird? Man darf gespannt sein…
Dr. Gerd Klingeberg, 11. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Carte blanche Nr. 1, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Sendesaal Bremen, 15. März 2024