Dieses Konzert in Grafenegg hat bewusst gemacht, wie sehr der Weltklassedirigent in Wien fehlt. Riccardo Chailly hat das philharmonische Orchester der Scala, deren Chefdirigent er ist, auf ein Spitzenniveau gebracht. Gemeinsam mit dem Intendanten Rudolf Buchbinder machten sie ein Fest der Romantik.
Konzert am 1. September 2024 im Wolkenturm, Grafenegg
Leoš Janáček: Žárlivost (Eifersucht). Vorspiel zu Její pastorkyňa (1894)
Edvard Grieg: Konzert für Klavier und Orchester in a-moll op. 16
Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Symphonie Nr. 5 in e-moll op. 64
Rudolf Buchbinder, Klavier
Filarmonica della Scala
Dirigent: Riccardo Chailly, Foto © Peter Fischli
von Herbert Hiess
Der 71-jährige Stardirigent Riccardo Chailly wurde am Anfang seiner Karriere auch von den Wiener Philharmonikern hofiert; machte als erste Schallplattenaufnahme gerade diese fünfte Symphonie von Tschaikowski, die auch an diesem Abend zu hören war. Später folgten Aufnahmen für den legendären „Rigoletto“-Film mit Gruberova und Pavarotti in den Rosenhügel-Studios. Später einige Konzerte in Salzburg und Wien; dort auch eine phantastische „Glagolitische Messe“ von Leoš Janáček. Aber seit 2014 ist komplette Funkstille bezüglich Wien/Salzburg und Chailly.
Das Konzert in Grafenegg hat erst bewusst gemacht, wie sehr der Dirigent hier fehlt. Da muss man dem Intendanten Buchbinder dankbar sein, dass er es wenigstens schaffte, den Maestro nach Grafenegg einzuladen.
Zu Beginn gab es als Überraschung das Vorspiel zur Urfassung der Oper „Jenůfa“. Žárlivost heißt so viel wie „Eifersucht“; um die geht es letztlich bei dieser grandiosen Janáček-Oper. Chailly und die Mailänder ließen die Wirrnisse um die Beziehungskatastrophe deutlich erklingen. Mit scharfen Akzenten einerseits und flirrenden Klängen andererseits überraschten die Mailänder damit, wie gut sie die mährischen Klänge hören ließen.
Danach kam Rudolf Buchbinder und war mit dem romantischen Klavierkonzert von Edvard Grieg voll in seinem Element; das Werk des norwegischen Komponisten ist eines der schönsten Klavierkonzerte der Literatur. Buchbinder war sowohl bei den Attacken als auch bei den lyrischen Passagen ein Trauminterpret. Einprägsam der zweite Satz (Adagio), wo der Pianist und das Orchester unvergessliche Dialoge spannten. Und letztlich führte der dritte Satz zu einem fulminanten Finale.
Chailly war hier nicht bloß ein Begleiter; er schuf hier einen Klangteppich der Sonderklasse. Auch die einzelnen solistisch erklingenden Instrumente waren exzellent; so das Horn und Cello eben in diesem Adagio.
Danach kam als Hauptwerk die fünfte von Tschaikowski; ein Werk, von dem man glaubt, dass man es gut kennt. Aber dann kamen die Mailänder und Chailly und bewiesen, dass viele sogenannte „Nebenstimmen“ ihre Bedeutung haben und ihren speziellen Sinn haben.
Der Maestro ließ dramatische Passagen einprägsam hören; Fortissimi waren trotz der Orchesterdichte immer transparent; der lyrische zweite Satz mit dem Hornsolo war unvergesslich. So das traumhafte Solohorn und später die Dialoge mit den einzelnen Holzbläsern – so was hört man selten. Und das große Atout ist der junge Paukist, der wieder einmal souverän bewies, dass die Pauke der Motor des Orchesters ist. Mit vollem körperlichen Einsatz hörte man hier eine Klangorgie der Sonderklasse.
Liebe Wiener Philharmoniker, liebe Wiener Konzertveranstalter und lieber Maestro Chailly – es wäre an der Zeit, irgendwelche Zerwürfnisse (so es welche gab) zu bereinigen und wieder in Wien aufzutreten!
Herbert Hiess, 3. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at