G-Saitenriss bei Daniil Trifonov mit dem Elbphilharmonie Orchester Hamburg; Foto Patrik Klein
Daniil Trifonov gilt als der höchstgehandelte Pianist unserer Zeit. Norman Lebrecht, britischer Kritikerguru, nennt ihn den „Pianisten für den Rest des Lebens“. Der 33jährige Ausnahmemusiker hat aber auch einmal Pech, denn ihm reißt beim Sonderkonzert mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg die G Saite seines Steinways. Das passierte nach meinen Beobachtungen schon nach wenigen Takten, als Trifonov mehrfach in den Korpus griff und die Lage peilte. Professionell versuchte er mit der neuen Situation klar zu kommen. Doch nach dem zweiten Satz brach er ab und ein neues Instrument wurde in den Saal geschoben. Von Vorne ging es erneut los – und wie!
von Patrik Klein
Ausgeruht von einem ergreifend schönen Urlaub auf Sardinien freute sich der Autor wie ein kleiner Bub auf drei aufeinanderfolgende musikalische Ereignisse in der schönen Hansestadt. Nach zwei musikalisch und szenisch wenig erbaulichen Opernaufführungen an der Staatsoper Hamburg nun endlich wieder im wohlklingendsten Konzertsaal weit und breit.
Und irgendwie hat sich das NDR Elbphilharmonie Orchester neben den vielen Spitzenorchestern, die ich hier zu hören bekomme, als eines der solidesten und manchmal auch besten herausgestellt. Ganz besonders, wenn man mit Alan Gilbert den Chef am Pult stehen hat, mit dem die Musiker bekanntermaßen sehr viel gemeinsamen Probenspaß haben. „Impressionistisches“ stand dann für den Abend auf dem Programmzettel.
Und dann kam da auch noch der Weltstar am Klavier Daniil Trifonov, der in dem vom Jazz beeinflussten Konzert für Klavier und Orchester G-Dur mit technischer Brillanz und einfühlsamen Zusammenspiel mit dem Orchester aufwartete. Mit etwa 20 Minuten Länge ist das Klavierkonzert von Ravel kein bombastisches Stück, mit dem ein Pianist brillieren kann. Es muss leicht klingen, heiter und unterhaltsam im besten Sinne des Wortes. Leicht zu spielen war es deshalb noch lange nicht. Weder für den bestens aufgelegten Pianisten, noch für das schlank besetzte Orchester, das vor allem für die Bläser einiges an Herausforderung bot. Es begann mit einem Peitschenknall, der die Zuhörer wie in eine Zirkusarena versetzte. Nach einem seltsam anmutenden Geflirre von Tönen spielte die Piccoloflöte einsam das erste Thema. Der langsame zweite Satz des Klavierkonzerts hat als eines der schönsten „Lieder ohne Worte“ Musikgeschichte geschrieben. Zirkusambiente wie aus dem vorhergehenden Satz mit Anspielungen an die baskische Heimat Ravels machte sich nun breit, gespickt mit Blues- und Jazz-Souvenirs von seiner letzten Amerika-Reise. Zum Finale dann der rasanten dritte Satz in der Art eines „Perpetuum mobile“, der eine Jagd durch die Instrumente mit ebenso abruptem Ende wie Anfang darstellte. Kaleidoskopartig fuhr man musikalisch durch das Leben Ravels.
Daniil Trifonov ließ seine aberwitzig flinken Hände über die Tasten gleiten voller Zartheit und Empathie. Dann schraubte er sich kraftvoll in virtuosen Läufen in perfekt abgestimmte Kommunikation mit dem Orchester.
Als Zugabe gab es von Tschaikowsky eine Phrase aus „The sleeping beauty„, bevor das rasende Publikum zur Pause durfte. Wer kann schon von sich sagen, dass man ein Klavierkonzert beinahe zweimal hintereinander von einem Weltstar gespielt hören durfte.
Präzision, emotionale Tiefe und Lebendigkeit sind Bezeichnungen, die Alan Gilbert dem Orchester im zweiten Teil wie einen Stempel aufdruckte. Erwartungsgemäß spannungsreich, ausdrucksstark, präzise und äußerst dynamisch gerieten dann auch nach der Pause die beiden Werke Claude Debussys „La mer“ und Maurice Ravels „Daphnis et Chloé“. Tupfer und Striche der Malerei aus impressionistischer Zeit gerieten zu flüchtigen Klangfarben mit verschwommenen Konturen eines wechselhaften von Wogen durchzogenen Ozean. Der Tagesanbruch im antiken Griechenland zeichnete die Geschichte des Hirtenpaares mit dem furiosen Schlusstanz, der Stile aus der Scheherazade aufgriff und individuell verarbeitete.
Das Publikum am Ende würdigte das hervorragend auftrumpfende Orchester unter seinem Chefdirigenten Alan Gilbert mit großem Jubel.
NDR Elbphilharmonie Orchester
Daniil Trifonov, Klavier
Dirigent: Alan Gilbert
Maurice Ravel
Konzert für Klavier und Orchester G-Dur
Zugabe: Tschaikowsky – The sleeping beauty
Claude Debussy
La mer / Drei sinfonische Skizzen
Maurice Ravel
Daphnis et Chloé / Fragments symphoniques, deuxième série
Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!