Tonhalle Düsseldorf: Wenn Tempo begeistert

Düsseldorfer Symphoniker Kahchun Wong, Dirigent, Alena Baeva, Violine  Tonhalle Düsseldorf, 11. Oktober 2024

Tonhalle Düsseldorf, Alena Baeva © Susanne Diesner

Dmitri Schostakowitsch – Festliche Ouvertüre A-Dur, op. 96 (1954)
Richard Strauss –
Konzert für Violine und Orchester D-moll op. 8 (1882)
Modest Mussorgsky –
„Kartinki s vystavki“ (Bilder einer Ausstellung) (1874) – Bearbeitung für Orchester (1922) nach Maurice Ravel

Zugabe:
Gażyna Bacewicz – Polnische Caprice

Düsseldorfer Symphoniker
Kahchun Wong, Dirigent
Alena Baeva, Violine

Tonhalle Düsseldorf, 11. Oktober 2024

von Daniel Janz

Es ist doch eine Krux mit der Tempowahl in der Musik. Ist man zu schnell, riskiert man die Klarheit des Ausdrucks, bleibt man aber zu langsam droht Langeweile. Zwischen beiden Extremen die richtige Mischung zu finden, ist alles andere als selbstverständlich. So ist es auch immer wieder eine spannende Beobachtung, wenn unterschiedliche Werke unter diesem Aspekt miteinander verglichen werden.
Zu solch einem Vergleich laden an diesem Freitagabend die Tonhalle Düsseldorf mit den Düsseldorfer Symphonikern und Gastdirigent Kahchun Wong (38) aus Singapur ein. Schnell fällt auf: Man gibt sich stolz, ja regelrecht begeistert, dass man mit ihm den ersten asiatischen Gewinner der „Mahler Competition“ gewinnen konnte. Wongs Engagements u.a. als Chefdirigent des Japan Philharmonic Orchestra und Hauptgastdirigent der Dresdner Philharmonie verschweigt man da natürlich nicht.

Tonhalle Düsseldorf, Kahchun Wong © Susanne Diesner

Dass Wong aber nicht nur mit Titeln beeindrucken kann, zeigt er im ersten Werk des Abends, das er komplett auswendig dirigiert. Diese festliche Ouvertüre, die Dmitri Schostakowitsch nur ein Jahr nach Stalins Tod innerhalb von drei Tagen komponiert haben soll, steigt feierlich in ein rasantes Treiben voller Leidenschaft ein. Rasende Soli von Klarinette und Flöte leiten von einem stürmischen Ausbruch zum nächsten. Auch wenn Wongs Dirigierstil zuweil etwas bieder anmutet, kann er dem Orchester doch einen imposanten Freudentanz entlocken. Das Ergebnis ist ein Furiosum in A-Dur, das zu begeistern weiß und sicher auch zu dem Fröhlichsten gehört, was der in der Sowjetunion lange unterdrückte Komponist Schostakowitsch hinterlassen hat.

Das danach folgende Violinkonzert von Richard Strauss ist ein selten aufgeführtes Kleinod, das die spätere Genialität des Komponisten bereits erahnen, in Teilen aber noch vermissen lässt. Es gilt auch unter Kennern als Komposition, die für ihren Effekt doch recht schwer zu spielen ist. Daher braucht es Talente, wie die junge Solistin Alena Baeva (39) aus Kirgisistan, die sich auf dieses Werk spezialisiert hat.

Tonhalle Düsseldorf, Baeva Wong © Susanne Diesner

Tatsächlich ist ihr Part der mit Abstand schwerste. Seien es die Doppelgriffe zum Beginn des ersten Satzes, das liebliche Zusammenspiel mit dem Fagott, der balladenartige zweite Satz oder der dritte Satz, in dem sie bis ins höchste Register vordringen muss; die junge Violinistin brennt richtig für dieses Stück. Das kommt der Aufführung auch zugute, die Wong zwar etwas schnell, aber doch spannungsarm dirigiert. Stellenweise entsteht der Eindruck, er würde hier einfach vom Blatt runterspielen lassen, ohne dem Werk einen eigenen Anstrich verpassen zu wollen.

Auch deshalb sticht Alena Baevas Leistung so heraus. Sie ist es, die der Strauss’schen Frühkomposition das Leben einhaucht und diesem recht mozartesken Werk dadurch Spannung verleiht. So spielt sie sich im zweiten Satz in die Herzen der Zuhörer, bevor sie sich im dritten von einem Höhepunkt zum nächsten steigert. Hier passen auch das hastige Tempo und der Ausdruck! Und als sie nach anhaltendem Applaus in ihrer Zugabe gefühlt einen Geschwindigkeitsrekord nach dem nächsten bricht, tost das Publikum. Bei Strauss konnte sie überzeugen. Aber hier kann sie begeistern.

Begeistertes Publikum erzeugt auch häufig das letzte Werk des Abends. Die „Bilder einer Ausstellung“ sind als Orchesterversion einer jener oft gespielten Klassiker. Hier ist der Titel Programm: Modest Mussorgsky vertonte seine Impressionen von 10 Bildern aus einer realen Ausstellung und fasste sie zu einem musikalischen Museumsbesuch auf dem Klavier zusammen. Dieser in sich selbst etwas schwierige Klavierzyklus hinterließ nach Mussorgskys Tod genug Eindruck, dass sich ihm knapp 50 Jahre später mit Maurice Ravel ein Gigant der Orchestrierungskunst erbarmte.

Tonhalle Düsseldorf, Kahchun Wong © Susanne Diesner

Gigantisch ist damit die Aufgabe, der sich die Düsseldorfer Symphoniker heute stellen. In feierlichen Einwürfen (der Promenade) schreitet man hier von einem Ausstellungsstück zum anderen und genießt die Impressionen. Wobei schreiten untertrieben ist: So, wie Dirigent Wong das Orchester antreibt, ist es stellenweise doch eher ein sehr schnelles Hasten. Ein Quäntchen Gemach hätte dem Rezensenten hier besser gefallen, so ist es für ihn gerade noch an der Schwelle zur Anmut.

Dadurch entsteht es eine Abwägung von Nuancen, die man sich ab und an anders gewünscht hätte. Beim Gnom beispielsweise entsteht der Eindruck, dass Wong die Akzente zwar effektvoll setzt, die melodische Klarheit aber darunter leidet. Oder liegt das wieder an der Akustik der Tonhalle? Ähnliche Fragen kommen auch bei „Samuel Goldberg und Schmuyle“ auf, wo die Trompeten weniger souverän wirken, als bei den anderen Bildern. Auch die Katakomben erscheinen klanglich matt, fast zerstückelt.

Demgegenüber stehen die Bilder, die fabelhafte Wirkung entfalten. Wongs Hang zum hastigen Tempo kommt den Tuilerien, dem Ballett der unausgeschlüpften Küken oder auch dem Marktplatz sehr zugute. Überzeugen können auch immer wieder die von ihm hervorgehobenen Akzente. Erwähnenswert sind das präsente Schlagzeug, die klar herausgearbeiteten Klangfarben beim alten Schloss mit einem bewegenden, wenn auch etwas schnellen Saxophon-Solo, die selbst im Pianissimo durchweg schillernden Streicher und die kräftigen Hörner. Und Baba-Jagas Hütte ist ein wahres Feuerwerk, bevor alle zum großen Tor von Kiew in ein tolles Finale einleiten.

Tatsächlich zeigt sich das Publikum ergriffen von dieser Leistung und spendiert den Künstlern auf der Bühne fast geschlossen stehend einen tosenden Applaus mit diversen Sonderapplausen für Hörner, Holbläser, Posaunen, Harfen und Schlagzeug. Zugegeben, zur absoluten Weltklasse mag hier vielleicht noch der ein oder andere Aspekt gefehlt haben. Aber man darf den Düsseldorfer Symphonikern nach dieser Leistung doch attestieren: Das war heute in Summe eine sehr gelungene Aufführung.

Daniel Janz, 13. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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