Michal Sedláček: Ich wünschte mir, dass mehr Frauen in den Theatern die Position einer Direktorin, einer Choreographin oder einer Geschäftsführerin bekleiden, aber nicht nur weil sie Frauen sind

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Michal Sedláček, Choreograph und Ballettdirektor in Halle am 16. Oktober 2024, Teil 2

Michal Sedláček beim Videointerview am 16. Oktober 2024 (Foto: Alena Flemming)

Dr. Ralf Wegner im Gespräch mit Michal Sedláček, Choreograph und Ballettdirektor in Halle am 16. Oktober 2024, Teil 2

klassik-begeistert: Kommen wir zu Ihrer jetzigen Tätigkeit als Ballettdirektor: Ihr Ensemble zählt 19 Mitglieder, verglichen mit den Ensembles in den großen deutschen Städten ist das weniger als ein Drittel. Reicht Ihnen das, wenn Sie größere klassische Werke, z.B. die Tschaikowsky-Ballette oder Giselle aufführen wollen? Können Sie ggf. das Ensemble erweitern, zum Beispiel für Nebenrollen?

Michal Sedláček: Für die klassischen Werke braucht man 80 bis 100 Leute, wenn man diese im Original choreografieren will. Die großen Compagnien sollen das machen und pflegen. Ich habe mit 19 Tänzern allerdings nicht diese Möglichkeit. Trotzdem habe ich einen Weg gefunden, Nussknacker zu spielen – was ein super Erfolg ist. Die Leute lieben das. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich 30 – 35 Tänzer hätte, dann wäre alles sehr viel entspannter. Für manche Vorstellungen können wir uns ein oder zwei Gäste leisten, mehr ist aber nicht drin. Man muss sich dementsprechend anpassen.
Bei Ralf Rossa, vor etwa 8 Jahren, waren wir noch 24 Tänzer und Tänzerinnen und hatten 4 Leute in der Leitung. Heute bin nur ich die Leitung. Ich habe einen Weg gefunden, damit wir die Geschichten trotzdem weiter erzählen können. Aber wir können sie nicht im Original spielen, und ich habe auch kein Interesse daran. Bei mir sind die Tänzer alle unterschiedlich. Ich mag es nicht, dass alle Menschen gleich aussehen. Wenn Sie sich das Ballett der Pariser Oper ansehen, sehen alle fast gleich aus. Aber das ist nicht das Leben. Ich mag sehr gern ältere Tänzerinnen und Tänzer, weil die mir mehr auf der Bühne erzählen können. Ich mag auch die Menschen, die von den Älteren etwas lernen können. Die Balance ist wichtig.

klassik-begeistert: Sie selbst hatten in Halle ja die Position eines Ersten Solisten inne. Ihr Ensemble ist entsprechend dem einsehbaren Ensembleverzeichnis aber nicht mehr hierarchisch gegliedert, also in Erste Solisten, Solisten oder Gruppe. Was hat sich geändert?

Michal Sedláček: Das ist wirklich ein existierendes Problem. Wenn ich meine Hauptrollentänzer zu Ersten Solisten machen würde, würden sie weniger Geld verdienen. Ein Gruppentänzer ist besser eingestuft als ein Solist. Das ist falsch, das war aber schon immer so. Ich selbst habe als Erster Solist immer weniger verdient als die Gruppentänzer. Und das war mein Fehler, ich hatte die Position damals aus Liebe zum Ballett mit großer Freude angenommen. Der Vertrag ist zwar verhandelbar, aber es hat niemand verhandelt. Als Solist bekommt man ein festes Gehalt, dieses ist aber geringer als bei Gruppentänzern. Wenn ein Gruppentänzer ein Solo tanzt, wird dieses noch gesondert honoriert.

klassik-begeistert: Damit komme ich zur nächsten Frage. Wie steht es überhaupt mit der sozialen Absicherung der Tänzerinnen und Tänzer bei Ihnen?

Michal Sedláček: Die Tänzer sind bei der Unfallkasse Sachsen-Anhalt gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheit versichert, außerdem sind sie kranken- und rentenversichert, genauso wie alle anderen Angestellten im Opernhaus. Herausfordernd wird es zum Ende der Karriere. Nicht jeder kann Ballettdirektor werden. Meine Freundin hat bis 40 getanzt, ohne sich zu verletzen, und dann eine dreijährige Ausbildung zur Physiotherapeutin absolviert. Ein anderer Tänzer ist Arzt an der Charité in Berlin geworden, und Yann Revazov, mit dem ich getanzt habe, ist Fotograf in Berlin. Eine Kollegin arbeitet jetzt als Steuerberaterin, manche Leute eröffnen ein Café und andere schaffen es einfach nicht, wieder beruflich Fuß zu fassen. Die Einkünfte bis zum 40. Lebensjahr reichen für das weitere Leben nicht aus, anders als zum Beispiel im Profifußball.

klassik-begeistert: Folgen Sie bei Ihren Choreographien bestimmten Vorbildern? Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Werke?

Michal Sedláček: Für die Bewegungen nicht. Ich habe aber bei Ralf Rossa gelernt, wie man einen Abend bauen kann. Ich habe ihm dabei lange Zeit assistiert, auch bereits als Tänzer. Für das Technische nutze ich die jeweiligen Fähigkeiten der Tänzerinnen und Tänzer, je nachdem, was sie mitbringen. Es wäre bei meiner Compagnie aber nicht ratsam, etwas von Bournonville (Anmerkung: dänischer Choreograph und Ballettmeister, 1805-1878) auf die Bühne zu bringen. Das kann bei mir niemand. Wenn wir zwei Besetzungen haben, entwickle ich die Choreografie für die eine so und die andere anders, je nach deren Fähigkeiten. Die Tänzer sollen sich dabei gut fühlen, und sie sollen das erzählen, was ich erzählen möchte.

klassik-begeistert: Ich gehe davon aus, dass Sie sich in Ihrem choreographischen Wirken mehr dem klassischen Ballett als dem modernen Tanztheater verbunden fühlen, ist das so?

Michal Sedláček: Ich weiß nicht, was gemeint ist mit modernem Tanztheater. Ich mag es nicht wenn jemand irgendeine Musik oder ein Kostüm benutzt nur um zu schockieren, nein, das mache ich nicht. Ich möchte das Publikum nicht provozieren. Ich mag das nicht, wir haben das alle schon hunderttausend Mal gesehen. Es ist kaum was Neues dazugekommen. Ich habe kein Problem damit, wenn das jemand macht, für mich ist das aber nichts. Ich möchte Geschichten erzählen. Und ich bin fern von einer bestimmten Ästhetik, die ich auf der Bühne nicht sehen möchte.

Wissen Sie, ich bin kein großer Fan von Einführungen, ich gehe da nicht hin. Ich gehe gern zu Nachgesprächen. Ich möchte den Leuten auch nicht vorher erklären, was sie zu sehen haben. Theater ist für mich Phantasie. Gelegentlich haben Zuschauer, wie sie mir bei Nachgesprächen berichteten, auch ganz andere Bilder im Kopf.  Manchmal waren die stärker als ich sie gedacht habe. Aber ich versuche nicht, mein Stück zu erklären.

klassik-begeistert: Wie sehen Sie überhaupt die Entwicklung des Balletts bzw. des Bühnentanzes in Deutschland?

Michal Sedláček: Es werden weniger Geschichten erzählt. Ich finde das schade. Zumindest hier in Halle ist es so, dass die Menschen Geschichten sehen wollen. Man sieht das an der Auslastung an anderen Theatern bei Dreiteilern. Wenn das nicht gerade eine Staatsoper ist, oder wie in Dresden, wo man sich das Haus selbst anschauen möchte, ist das Interesse nicht so groß. Ich will nicht sagen, dass das falsch ist, sie sollen das machen. Es ist nur nicht meine Überzeugung für mein Leben als Ballettdirektor und Choreograph.

Unsere Gesellschaft hat sich grundsätzlich verändert. Die Führung am Theater verändert sich. Es wird von Doppel-, von Dreifachspitzen gesprochen. Ich glaube, nur einer muss die Verantwortung tragen. Wenn es ein Erfolg ist, fühlen sich sonst alle drei zu je 33,3% dafür verantwortlich, darauf können sie sich noch einigen. Bei einem Misserfolg wird es schwierig, wer von den drei war schuldig? Egal ob man mit jemandem befreundet ist, wenn es zu negativen Entscheidungen kommen muss, gibt es immer ein Problem. Und es ist Aufgabe des Chefs, das zu sagen, aber von einem, nicht von dreien. Schon zwei werden sich nicht einigen.

Ich wünschte mir, dass mehr Frauen in den Theatern die Position einer Direktorin, einer Choreografin oder einer Geschäftsführerin bekleiden, aber nicht nur weil sie Frauen sind. Es muss so sein: Der oder die kann das gut, das ist super. Aber die Auswahl rein nach Quoten unabhängig von anderen Aspekten zu treffen, damit habe ich ein Problem.

Heute werden Menschen Direktoren, die vorher Regie machen wollten und damit versagt haben. Dann wollten sie Dramaturgen sein, darin waren sie auch nicht gut genug, aber sie konnten gut reden und übernahmen deswegen die künstlerische Leitung. Wie suchen die sich die Tänzer aus? Das frage ich mich.

Dr. Ralf Wegner, 20. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil 3 unseres Interviews mit Michal Sedláček lesen Sie Dienstag, 22. Oktober 2024, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Michal Sedláček, Choreograph und Ballettdirektor in Halle, Teil 1 klassik-begeistert.de, 16. Oktober 2024

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