La clemenza di Tito @ 2024 Hans Jörg Michel
In der letzten Folge meiner Kolumne habe ich zur Wiederaufnahme von Mozarts La clemenza di Tito an der Staatsoper Hamburg geschrieben. Mir hat es gefallen, das können Sie hier bei klassik-begeistert nachlesen. Einen Aspekt möchte ich heute nachtragen. Nach der Pause [sic!], auf dem Weg zurück von der Bar in den Saal, wurde ich aufgefordert, meine Konzertkarte vorzuzeigen. Wenn Sie jetzt denken, na prima, das ist wieder einer meiner Späße. Dann kann ich anwaltlich versichern, dass dies die Wahrheit ist und nichts als die Wahrheit.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) / La clemenza di Tito
Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg
Ben Glassberg / Musikalische Leitung
Jetske Mijnssen / Inszenierung
Staatsoper Hamburg, 22. Oktober 2024
von Jörn Schmidt
Auf meinen freundlichen Hinweis hin, dass ich mich bereits vor Beginn der Oper legitimiert hätte, wähnte ich die Angelegenheit erledigt. Ich wurde indes recht streng aufgefordert, nun bitte die Karte vorzulegen. Mir stellte sich die Situation als Generalprobe für den 1. April 2025 dar, eine Pausen-Einlasskontrolle hatte ich bislang nicht erlebt. Und das war nicht mein erster Opernbesuch.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Staatsoper Hamburg hat Pausen-Einlasskontrolle eingeführt als Reaktion auf eine eher geringe Auslastung. Jetzt mache ich aber wirklich Spaß, meinen Sie? Mitnichten! Aber der Reihe nach.
Die junge Dame an der Einlasskontrolle war möglicherweise nicht geschult, wie man mit begriffsstutzigen, aber ziemlich treuen Operngängern umgeht. Erst ein Gespräch mit einer weiteren Saalordnerin brachte Klärung. Momentan nähme bei schlecht verkauften Aufführungen die Unsitte Überhand, dass Inhaber von Karten niederer Preiskategorie nach der Pause ins teure Parkett strömen. Das sei zu unterbinden, daher die strenge Kontrolle.
Das ist legitim, als Anwalt kann ich zu keiner anderen Einschätzung kommen. Aber auch aus anderer Perspektive leuchtet mir ein, dass man dem Preiskategorie-Hopping Einhalt gebietet. Der Opern- und Konzertbetreib ist ohnehin schon hochsubventioniert. Sich günstige Karten zu kaufen in der Absicht und auch in dem Wissen, sich eigenmächtig in Preiskategorie 1 umzuplatzieren zu können, ist ein Stück weit unverschämt.
Oder, wie ich präzisieren möchte: Es ist unverschämt, wenn man grundsätzlich die Mittel hätte, Karten einer höheren Preiskategorie zu kaufen. Sonst ist neben dem Steuerzahler der Ehrliche mal wieder der Dumme. Denn Ehrlich und Nicht-ganz-so-ehrlich sitzen dann eben beide Preiskategorie 1 mit dem Unterschied, dass Nicht-ganz-so-ehrlich noch Geld für den Pausenwein übrig hat.
Und sagen Sie jetzt bitte nicht, meine Einschätzung sei kleingeistig und viel zu preußisch. Dann fahren Sie doch mal den ganzen Tag mit der U-Bahn, quer durch alle Stadtteile. In der Tasche ein Einzelfahrschein „Kurzstecke“. Denn als Sparfuchs wissen Sie, dass ein Einzelfahrschein deutlich günstiger ist als eine Tageskarte.
Wenn das einem Kontrolleur auffällt, und Sie nicht einsehen, eine Buße zu zahlen, dann landen Sie früher oder später in einem deutschen Gerichtssaal. Wegen Beförderungserschleichung, was nach aktueller Rechtslage immer noch eine Straftat ist gem. § 265a StGB. Dann erklären Sie mal dem Richter, er sei ein kleingeistiger Preuße. Ich säße da gerne im Publikum, das wird ein Spaß.
An dieser Stelle wähnte ich mich am Ende meiner Kolumne, wenn da nicht Andreas Schmidt wäre. Mit dem Herausgeber von klassik-begeistert hatte ich vorab zum Thema gesprochen, auch aufgrund eines Leser-Kommentars. Und Andreas stellte mir eine kluge Frage: Statt auf die leeren Ränge mit Kontrollen zu reagieren, wäre es da nicht klüger, wenn die Staatsoper Hamburg mit Herzblut für eine bessere Auslastung sorgt?
Die Antwort fällt eindeutig aus, es ist besser, leere Plätze zu verkaufen, als leere Plätze zu verwalten. Allein, was tun? Wir bei klassik-begeistert sind nicht nur selber klassik-begeistert, wir wollen auch andere für Klassik begeistern. Nicht zuletzt deshalb hatte ich über die Wiederaufnahme von La clemenza di Tito berichtet.
Nun bin ich nicht so vermessen zu denken, dass ich mit meiner Schreibe die Säle fülle. Aber fragen Sie sich selber. Sie lesen offensichtlich unseren Blog, warum gehen Sie dann am 26. Oktober nicht in die Staatsoper Hamburg, da wird La clemenza di Tito wiederholt. Ich würde meinen, Ihr Abend gestaltet sich dann inspirierter, als vor dem Fernseher einzuschlafen. Plätze genug gibt es noch, nachstehend ein Screenshot aus dem Webshop der Staatsoper Hamburg (Parkett, Stand 24. Oktober 2024, 10:06 Uhr).
Zum Vergleich weiter unten ein Screenshot (ebenfalls Parkett, Stand 24. Oktober 2024, 10:06 Uhr) aus dem Webshop des Grand Théâtre de Genève. Dort wird am 25. Oktober 2024 ebenfalls La clemenza di Tito gegeben, mit Bernard Richter als Titus, der mit dieser Rolle anlässlich der Hamburger Premiere glänzen konnte. Es dirigiert Tomáš Netopil, von seinem Hamburger Jenůfa-Dirigat war ich seinerzeit begeistert. Milo Rau verantwortet die Inszenierung.
Größere Namen als in Hamburg, auf den ersten Blick jedenfalls. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, Plätze zu zählen. Sonst heißt es noch, ich sei ein Erbsenzähler. Aber gut verkauft ist das Genfer Haus ebensowenig, wenn auch besser als in Hamburg. Von Ausverkauft sind beide Häuser aber weit entfernt.
Ich würde das so werten, dass die geringe Begeisterung für La clemenza im Grunde kein Problem der Inszenierung und ihrer Besetzung ist. Sondern es fehlt vielerorts an AIDA. Ich beziehe mich dabei nicht auf Verdis großartige Oper, sondern auf die AIDA-Formel, die beschreibt, wie man Kaufentscheidungen beeinflusst. AIDA ist ein Akronym und steht für die Begriffe Attention, Interest, Desire und Action.
Das AIDA-Wirkungsprinzip beruht darauf, erst mal Aufmerksamkeit zu erregen, die im zweiten Schritt dann in Interesse an dem Produkt, hier der Oper, übergeht. Aufmerksamkeit und Interesse müssen so im Unterbewusstsein verankert werden, dass der unwiderstehliche Wunsch in Ihnen wächst, in die Oper zu gehen (Phase 3). Hat man so weit alles richtig gemacht, ist man beim vierten Buchstaben angelangt. Sie werden aktiv und kaufen im Webshop Opernkarten. Preiskategorie 1 natürlich…
Wie man AIDA richtig gut macht, das zu diskutieren würde den Rahmen dieser Folge sprengen. Aber kommentieren Sie doch bitte, welche AIDA-Ideen Sie haben. Oder schreiben Sie uns, ob Sie schon mal durch einen der klassik-begeistert-Artikel inspiriert wurden, in die Staatsoper Hamburg zu gehen. Das würde uns glücklich machen.
Jörn Schmidt, 24. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Auf den Punkt 28: La clemenza di Tito klassik-begeistert.de, 23. Oktober 2024
Auf den Punkt 27: Schrankwand-Vibes in der Laeiszhalle klassik-begeistert.de, 14. Oktober 2024
Auf den Punkt 26: Wie alt ist Tarmo Peltokoski wirklich? klassik-begeistert.de, 10. Oktober 2024
Das ist einfach nur dumm!
Wenn die Plätze doch eh frei sind, warum die Leute dann nicht aufrücken lassen? Quasi als Werbung dafür, dass sie sich demnächst direkt von Anfang an die teurere Karte kaufen? Stattdessen wird hier das Publikum unter einen General-Betrugsverdacht gestellt und durch zusätzliche Kontrollen gegängelt, wobei mehr Mühe und Ungemach erzeugt wird. Mich würde das ärgern. Und wo Menschen sich ärgern, ärgern sich auch immer welche genug, um dann ganz weg zu bleiben. Das ist jedenfalls das genaue Gegenteil von gutem Marketing. Der Saal muss voll werden. Nicht leerer!
Auch der Vergleich mit der Bahn hinkt gewaltig, denn mit einem Kurzstrecken-Ticket erwirbt man die Beförderungserlaubnis für eine kurze Strecke und damit auch eine kurze Zeit. Das Äquivalent wäre, wenn es in der Oper Kurzzeitkarten gäbe, die nur zum Besuchen eines Akts und nicht der ganzen Oper berechtigen würden. Da und NUR da wäre eine Pauseneinlasskontrolle auch sinnvoll.
Was stattdessen ein funktionierender Vergleich wäre, ist der zwischen Fahrtkarten der ersten und der zweiten Klasse. Und hier ist es (zumindest bei uns) so, dass man auch mit Fahrschein für die 2. Klasse in die erste einsteigen darf, wenn der Zug sonst überfüllt ist. Wenn also sogar die Bahn, eines der national am desaströsten funktionierenden und gemanagten Unternehmen, das hinkriegt, wieso die Staatsoper Hamburg nicht?
Lächerlich!
Daniel Janz
Ich bin da zwiegespalten. Ganz früher, als das Haus noch voll war, hatten wir uns als Schüler etc., wenn auch mit schlechtem Gewissen, auch von ganz oben nach ganz unten auf freie Plätze gesetzt. Die waren damals für uns unerschwinglich. Wenn man später Geld verdient, unterbleibt es. Man würde sich wohl schämen, sich bei dem erspähten Platz geirrt zu haben.
Bei einer kürzlichen Ballettaufführung in einem auswärtigen Theater, wir hatten Plätze in der letzten Reihe, wurden wir sogar vom Personal aufgefordert, uns, falls wir wollten, weiter nach vorn zu setzen, denn da sei ja noch viel frei. Vermutlich ist es für die Auftretenden schöner, in ein einigermaßen gefülltes Parkett zu schauen als auf die vielen leeren Plätze. Deshalb gelangen in der Hamburgischen Staatsoper bei Soloveranstaltungen oder auch zuletzt bei dem Jubiläum des Opernstudios die Ränge in der Regel nicht mehr in den Verkauf.
Andererseits ärgert sich der eine oder die andere auf den teuer bezahlten vorderen Parkettplätzen, wenn nach der Pause die schöne Freisicht auf die Bühne eingeschränkt wird, und zwar von Leuten, die „dafür noch nicht einmal bezahlt haben“. Man hofft im Stillen doch eigentlich immer, dass der freie Platz vor einem auch nach der Pause frei bleibt.
Aber wer wechselt schon andauernd von oben nach unten?. Es sind vermutlich Zuschauer, denen die Oper noch etwas bedeutet und die dafür vielleicht häufiger ins Haus kommen. Vergrault man die nicht?
Unter den zahlreichen Gründen für einen geringen Besuch der Opernaufführungen (Abfluss des Klassik-Tourismus in die Elbphilharmonie; Konkurrenz durch zahlreiche Musicaltheater, mit einem viel jüngeren Altersquerschnitt trotz höherer Preise; fehlende baulich-historische Schönheit des Hauses im Vergleich mit München oder Dresden) mag auch die fehlende öffentliche Berichterstattung durch analoge Medien eine nicht untergeordnete Rolle spielen. Die hier im klassik-begeistert-Blog überwiegend einladende Berichterstattung kann das wohl in der Masse nicht ausgleichen.
Vor allem spielt die Mund zu Mund-Propaganda für die Oper wohl kaum noch eine Rolle. Ganz im Gegensatz zum Ballett. In Gesellschaft wird über das Hamburger Ballett, über John Neumeier, über den Neuen (Demis Volpi) gesprochen, auch von jüngeren Leuten; über Opernaufführungen aber eigentlich überhaupt nicht. Beim Ballett will man sehen, wie es ist und wie es wird. Deshalb ist selbst der jüngst premierte Vierteiler „The Times Are Racing“, allabendlich nahezu ausverkauft, allein am Sonntag, den 27.10.2024 gehen deutlich mehr als 3.000 Zuschauer in die Nachmittags- und Abendvorstellung.
Hoffen wir, dass der Reiz des Neuen unter Tobias Kratzer ab der nächsten Saison seine Wirkung entfalten wird.
Dr. Ralf Wegner
Danke für die Vorwarnung. Der Witz ist, ich habe eine Karte für den Idomeneo am 26.10., und natürlich habe ich eine billige Karte und natürlich hätte ich mich bei dieser Auslastung ins Parkett gesetzt. Was werde ich jetzt tun, nachdem ich von Ihnen erfahren habe, dass an den Türen kontrolliert wird? Ich spare mir die Anreise nach Hamburg und werde die Aufführung überhaupt nicht besuchen. Und es wird sicherlich die letzte Karte gewesen sein, die ich mir für das Hamburger Opernhaus gekauft habe.
Das Opernhaus hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Hätten die anständige, interessante Produktionen, würden anständige Sänger singen – die Aufführungen wären besser besucht, wenn nicht gar ausverkauft. In Berlin z.B. waren jetzt alle (!) 8 Nabucco-Aufführungen ausverkauft – und nicht nur die mit Netrebko (ich war 4 x im Nabucco).
Und obwohl Idomeneo offensichtlich eine schwache Produktion ist (kann ich an den freien Plätzen ablesen), gehe ich trotzdem hin. Warum gehe ich hin? Weil ich Opernfan bin, weil ich mich dafür interessiere. Ich besuche pro Saison 80 bis 100 Opern- oder Konzertaufführungen in ganz Deutschland und hin und wieder auch im Ausland. Da kann ich mir nicht immer teure Karten leisten. Aber ich gehe hin, ich bin da. Wie andere Opernfans auch. Andere gehen nicht hin, sind nicht da. Dass man nun die gängelt und anpöbelt (und so würde ich es empfinden, wenn man mich am Abend 3 x nach der Karte fragt), die kommen, die da sind, die sich wohlgemerkt eine Karte gekauft haben – und nicht auf Freikarte oder Steuerkarte reinkommen (in München saß ich letztens ausnahmsweise und dankenswerterweise in einem Parsifal auf Steuerkarte, die mir der Sänger der Titelpartie besorgte für 7 Euro auf einem Platz, der weit über 100 Euro kostete) – , dass man die anpöbelt, weil sie sich in einem halb leeren Saal einen besseren Platz suchen: kann man so machen, ist aber einfach nur dumm.
Ich brauche nicht nach Hamburg zu fahren, es gibt in Deutschland genügend andere Opernhäuser. Ich fahre dann woanders hin. In Regensburg kommt am 26.10. der Tristan, und ich sehe gerade: da gibt es auch noch billige Karten und die freuen sich, wenn ich komme. Und in Regensburg wird man weder angepöbelt noch gegängelt.
Ulrich Harbott
Hab ich in der Wiener Staatsoper auch schon gesehen. Zumindest im Parkett. Balkon und Galerie hingegen nicht. Dort ist es gang und gäbe, von Platz zu Platz zu wandern. Wird vom Haus toleriert. So soll das sein!
Das Räuber und Gendarm Spiel im Parkett ist definitiv überzogen. Obwohl Informationen fehlen, weswegen das stattfindet. Vielleicht hat das zu Verzögerungen und Unruhe geführt, weil Gäste wieder erscheinen, die nur vermeintlich das Weite gesucht haben.
Könnte aber Schnee von gestern sein. Dass ich das bewusst wahrgenommen habe, ist ne zeitlang her. Werde das wieder aktiv beobachten.
Jürgen Pathy
Ich bin etwas ambivalent, nein, eigentlich etwas ärgerlich. Ihr Blick ist mir zu juristisch, mir fehlt der gesunde Menschenverstand und die Kulanz an das Publikum. Außerdem fühlt es sich irgendwie so an, als würden die Menschen, die günstigere Karten kaufen, unter Generalverdacht gestellt, betrügerisch bessere Plätze erschleichen zu wollen. Möglicherweise bilde ich hier eher eine Minderheit, aber in meinem Beruf, der durchaus anspruchsvoll ist, werde ich nicht reich. Eine teure Opernkarte reißt durchaus ein Loch ins monatliche Budget. Warum gönnen Sie es mir nicht, das Glück der Stunde zu nutzen, für eine günstigere Karte einen besseren Platz zu bekommen? Ich nehme doch niemandem den Platz vorsätzlich weg. Die meisten Menschen setzen diese Möglichkeit sicher beim Kauf der Karten nicht voraus, sondern kaufen entspechend ihres Budgets.
Außerdem finde ich, dass Ihre Vergleiche hinken.
Ich wünsche dem Opernhaus Hamburg, dass die Besucherzahlen steigen.
Aus verschiedenen Gründen!
Kathrin Beyer
Ich hab vor langer Zeit in der Musikhalle bei einem Konzert mit Edita Gruberova erlebt – da der Saal nur mäßig besetzt war -, dass aufgefordert wurde, die freien teuereren Plätze zu besetzen. Ihren Blog in aller Ehren, aber den lesen doch sowieso nur die eh schon Interessierten. Ändern in der Auslastung würde sich nur etwas, wenn die Hamburger Medien entsprechend berichten würden, wie das früher auch üblich war.
Hartmut Funke