© MD Julien Benhamou
Was für ein last Goodbye! 1720, J.S. Bachs erste Frau war gerade verstorben. Mit der Chaconne, BWV 1004, nimmt er Abschied. An der Violine erdrückt einen die Last in d-Moll beinahe. Beim Haydneum Festival in Budapest befreit Thomas Dunford sie von diesem Gewicht. Mit eigener Transkription für Laute, die einen komplett vom Irdischen entkoppelt.
IV. Haydneum Festival
Festetics Palast, Spiegelsaal, Budapest, 9. November 2024
Werke von J.S. Bach
Thomas Dunford, Laute
Cellosuite Nr. 1 in G-Dur, BWV 1007
(Transkription von Thomas Dunford)
Suite für Laute g-Moll, BWV 995
Chaconne, Partita Nr. 2 für Violine d-Moll, BWV 1004
(Transkription von Thomas Dunford)
von Jürgen Pathy
Nein, es ist nicht José Feliciano. Tief in sich versunken, Augen geschlossen. Der junge Mann an der Laute ist Thomas Dunford, 36, Englishman in Paris, der in Budapest einen Stopp einlegt. Um im Festetics Palast, einem Stadtpalais, Bachs Werke zu entschlüsseln. An der Geige ist Bachs Chaconne ein Schwergewicht. Freie Variationen über einer Bassfigur, wo die Trauer im Mittelpunkt steht. Wie die Titanic zieht sie einen in die Tiefe. An der Laute zeigt sie Seiten, die man nie erahnt hätte.
Bachs direkter Draht nach „oben“
Klar, den Farbenreichtum einer Violine kann man aus einer Laute nicht herausquetschen. Dafür ist die Geige eher prädestiniert. Doch den Trost, der irgendwann ab der Mitte einsetzt – plötzlich Dur Variationen, wie aus dem Nichts –, der katapultiert einen in andere Sphären. Jenseits dieser Welt. Luftig, schwebend, wie auf einer Wolke. Der Klang: klar, hell, weiß, himmlisch.
Ein ganzes Lautenkonzert haben bislang wenige erlebt. „Nur einzelne Stücke“, ist aus dem Publikum zu vernehmen. Doch würde man fragen, wären sich alle einig – das zeigen die strahlenden Gesichter, die Atmosphäre, die Ruhe: Wenn Engel musizieren würden, diese Transkriptionen wären ihre erste Wahl. Thomas Dunford hat sie selbst arrangiert.
Cello Suite Nr. 1, in G-Dur. Alles andere als beklemmend, wenn Dunfords Finger virtuos über die Saiten flitzen. Eine Offenbarung die Suite in g-Moll, eine der wenigen, die Bach wirklich für Laute komponiert hat. Flamenco-Rhythmen, ganz gewiss. Ohne Bach wären die nicht vorstellbar. „Bach is like a bible for musicians“, erzählt Dunford. Paco de Lucía, Großmeister der Flamencogitarre, hatte ihn sicher in petto. Mark Knopfler, Mastermind von Dire Straits, der Rockband, die in den 1980er-Jahren die Stadien gefüllt hat, ebenso. Die Grifftechnik verrät es. Doppelter Fingereinsatz, Daumen und Zeigefinger. Meistens drei oder gar vier Finger im Spiel.
Dunfords Laute – ein Klang für die Ewigkeit
Ohne Bach geht halt gar nichts. Es gäbe sicherlich leichtere Programme, meint Dunford. Bedankt sich, legt noch paar Zugaben drauf. „Yesterday“ von den Beatles, „Blackbird“ ebenso von den Pilzköpfen aus Liverpool. Hinter mir singt ein Paar eifrig mit. Dunford hat alle aufgefordert: „G-major, I hope you all know it.“ Ein Singalong zur Auflockerung, um den Abend nicht erdrückend zu schließen.
Selbst zu Bachs Zeiten habe man keine drei Suiten durchgespielt, gilt sein Lob dem Publikum. Pause, Wein und Brötchen gibt’s nämlich keine. Ist auch gar nicht notwendig. Nichts ist erdrückend, im Gegenteil: Stundenlang hätte man noch lauschen können. Diesen himmlischen Klängen, die an der Laute eine komplett eigene Note erhalten.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 23. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Rezension: Idylle, Lea Desandre, Thomas Dunford klassik-begeistert.de, 12. Oktober 2023