Jost: Die arabische Nacht – Ensemble; Foto Werner Kmetitsch
Meine Musiktheater- und Konzertleidenschaft trieb mich auf eine dreitägige Reise an die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Lesen Sie hier in fünf Teilen meine Eindrücke.
Christian Jost: „Die arabische Nacht“ – eine Opernproduktion
von Patrik Klein
Um über den Tellerrand zu schauen, sollte und muss man die Perspektive wechseln. Als erfahrener Musiktheaterliebhaber und Autor schaut man daher auch gerne mal hinter die Kulissen einer Opernproduktion an einer Musikhochschule.
An der KUG bot sich mir die Gelegenheit, bei der Oper „Die arabische Nacht“ von Christian Jost an einer Orchesterhauptprobe teilzunehmen. Mit dem Regisseur Ingo Kerkhof und dem Dirigenten Gerrit Prießnitz ergab sich zudem noch die Möglichkeit, in einem Gespräch ein paar Fragen zu stellen über den Ablauf einer Opernproduktion an der KUG und somit in den Produktionsprozess einzutauchen.
Oper „Die arabische Nacht“ von Christian Jost:
Der Komponist und Dirigent Christian Jost (geb. 1963 in Trier) hat in den letzten 20 Jahren die zeitgenössische Musik entscheidend mitgeprägt. Seine bisher zehn abendfüllenden Opern und eine Vielzahl großer symphonischer Werke wurden u.a. von den Berliner Philharmonikern zur Uraufführung gebracht. Seine Musik folgt dabei klingend der Idee einer strukturellen Improvisation wie im Jazz, die sich prozesshaft aus musikalischen Keimzellen entwickelt. In seinen Werken geht es immer um das organische Fließen und ein lebendiges Atmen, die Transformation der Freiheit und des Grooves vom Jazz und der klaren Struktur der Klassik zu einer eigenständigen Form. Raum und Zeit lösen sich in der Dramaturgie der Werke auf.
Christian Josts zweite Oper wählt eine zeitgenössische Textgrundlage: Das Schauspiel von Roland Schimmelpfennig erzählt die Geschichte fünf einsamer Menschen in einer schwülen Großstadtnacht, die den Bewohnern eines Hochhauses nicht nur den Schweiß auf die Stirn treibt, sondern auch ihre heimlichsten Sehnsüchte zutage fördert. Weil das Wasser auf mysteriöse Weise im 7. Stock abhandenkommt, macht sich der Hausmeister Lomeier auf die Suche nach dem verschwundenen Nass. Dabei trifft er auf zwei Mieterinnen, deren Wohnung zum Zentrum der Geschehnisse wird. Während Franziska, von einem bösartigen Fluch belegt, jede Nacht in lebhafte Träume versinkt und die Realität um sich herum vergisst, steht Fatima mitten im Leben. Die Schlafende scheint eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die Männer des Hauses auszustrahlen. Im Taumel ihrer Leidenschaften gestehen diese ihre tiefsten Wünsche, welche sie schließlich in den Abgrund treiben. So überschlagen sich die Ereignisse. Der Hausmeister ist nicht der Einzige, den es in diese Wohnung zieht, auch Fatimas Freund Kalil und der Nachbar Karpati sind auf dem Weg dorthin. Irritierende Trugbilder, Erotik, Eifersucht, Mord – diese Nacht entführt den Zuschauer in einen orientalisch-sinnlichen Beziehungsreigen. Was ist hier Traum, was Wirklichkeit?
„Roland Schimmelpfennigs Vorlage zu Josts Oper „Die arabische Nacht“ ist für den Komponisten ein somnambules (schlafwandlerisches) Werk. In leichtem, surrealem Gewand erlebt man Träume und Alpträume fünf einsam-verliebter Städter, die, verwoben in einem Apartmentkomplex und durch ständiges Wasserrauschen verwirrt, ihren Sehnsüchten freien Raum lassen.
Christian Jost hat aus der Vorlage ein polyphon-swingendes Ensemblewerk komponiert. Ein Stück, das, einmal begonnen, alles zum Fließen bringt, aufblüht und vergehen lässt, um wieder von Neuem entstehen zu können. Die Figuren sind so miteinander verwoben, dass sie sich im Fluss der musikalischen Ereignisse ihren eigenen Träumen hingeben können. Um das „Verzauberte im Alltäglichen“ auch musikalisch anzudeuten, ist das Orchester, bestehend aus 18 Musikern in zwei Hälften geteilt, so dass eine Art „Klangarena“ entsteht.“ (verkürzt übernommen von der Webseite des Komponisten)
Im Vorfeld war Komponist Christan Jost zu Besuch an der KUG. Er sprach mit dem Dirigenten Gerrit Prießnitz auf YouTube:
Christian Jost im Gespräch mit Gerrit Prießnitz | Kunstuniversität Graz | Arabische Nacht
Vorab führte ich ein Interview mit dem musikalischen Leiter der Produktion Univ.Prof. Mag.art. Mag.art. Gerrit Prießnitz
Klassik-begeistert: Lieber Herr Prießnitz, ich gebe zu, dass ich mit zeitgenössischer Musik trotz häufigen Hörens, gelegentlich immer noch gewisse Probleme habe. Worin liegt für Sie der musikalische Reiz dieses Werkes?
Gerrit Prießnitz: Nun wurde ich ja in einem Radiobeitrag einmal als „ausgewiesener Experte zeitgenössischen Musiktheaters“ bezeichnet, so dass ich naturgemäß da keinerlei Berührungsängste habe; sondern im Gegenteil das in besonderer Weise fördere. Allerdings natürlich immer bezogen auf Kompositionen, an deren handwerkliche Präzision und künstlerische Substanz ich fest glaube. Aber das galt zu allen Zeiten, es ist ja auch kein Zufall, dass Mozart täglich in jedem Winkel der Erde erklingt und Salieri nicht.
Christian Jost gehört zu jenen lebenden Komponisten, die, ganz banal gesagt, „schreiben können“.
Vor allem eben auch für die menschliche Stimme, so dass ich „Die arabische Nacht“ durchaus mit dem Prädikat „dankbar“ versehen würde. Eine ausdrucksstarke, narrative Tonsprache, starke Bühnencharaktere und eine farbige Orchestrierung gehen eine wunderbare Verbindung ein.
Klassik-begeistert: Wie kann man als offener Zuhörer sich am besten auf ein solches Werk vorbereiten?
Gerrit Prießnitz: Es bedarf keiner anderen „Vorbereitung“ als für „Zauberflöte“ oder „Arabella“. Wer mehr weiß, hört auch mehr, das ist immer so. Aber ich kann genauso gut unbefangen an die Sache herangehen und mich der Geschichte und der starken Musik einfach anvertrauen.
Klassik-begeistert: Wie geht das den beteiligten Sängern? Ist das gesangstechnisch nicht besonders herausfordernd?
Gerrit Prießnitz: Herausfordernd ja, aber eben ausdrücklich nicht „undankbar“. Technische Schwierigkeiten und die Kraft des Ausdrucks stehen in kluger Relation zueinander, es wird nichts sinnentleert verkompliziert. Außerdem sind Mozart, Puccini, Verdi oder Britten auch „besonders herausfordernd“, letztlich gibt es da nur Unterschiede zwischen gut und mäßig komponierter Musik. „Die arabische Nacht“ gehört zur ersten Kategorie.
Klassik-begeistert: Wie haben Sie das Orchester aufgebaut, um diese vom Komponisten gewünschte „Klangarena“ zu erzeugen?
Gerrit Prießnitz: Hier folge ich strikt den Vorgaben des Komponisten und der doppelchörigen Aufstellung der beiden Instrumentengruppen mit Tasteninstrumenten und Schlagwerk in der Mitte. So entsteht das Ineinander der Klanggruppen gewissermaßen „von alleine“, es ist bereits komponiert.
Klassik-begeistert: Welches Publikum kommt bei der Premiere am Freitag und welche Reaktionen erwarten Sie?
Gerrit Prießnitz: Erfreulicherweise scheint sich in Graz herumgesprochen zu haben, dass im Musiktheater der KUG hochklassige, unterhaltsame, spannende, gehaltvolle Opernabende zu erleben sind.
Und eben nicht nur „für Uni war das ganz gut“.
Das wäre nicht unser Anspruch und nicht der unserer Studierenden, wir möchten – natürlich mit den Mitteln noch junger Interpret/innen – den Werken wirklich gerecht werden. Insofern erwarten wir ein bunt gemischtes Publikum aus Studienkolleg/innen, aber auch ganz „normalen“ Besuchern.
Mit dem Regisseur Ingo Kerkhof und dem Dirigenten Gerrit Prießnitz traf ich mich dann noch kurz vor der Orchesterhauptprobe, um über den allgemeinen Ablauf einer Musiktheaterproduktion an der KUG zu sprechen, die studienbegleitend 6 bis 8 Wochen in Anspruch nimmt. Die Kernthesen und Aussagen der beiden Theatermacher waren:
Eine Vielzahl an Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und Instituten arbeiten hier Hand in Hand zusammen, um zu lernen.
Man versucht so weit möglich und mit den vorhandenen Bordmitteln, einem kleinen Budget und mit der Einbindung von Studierenden eine Opernproduktion wie an einem großen Haus nachzubilden und dabei die einzelnen Sparten, die Orchestermusiker, die eigenen Werkstätten, Techniker dieses universitätseigenen Theaterbaus und die Gesangsstudenten einzubinden, damit diese ihre entsprechenden Studiengänge erfolgreich abschließen können und gute Chancen haben auf Engagements im späteren Berufsleben.
Hierbei gilt ganz klar das Prinzip: Der Weg ist das Ziel!
Viele Dinge, die an einem großen Theater von speziellen Abteilungen gemacht werden, müssen hier an der KUG in Eigenregie durchgeführt werden mit viel Improvisation und Engagement.
Es gibt Studenten, die auch dirigieren, die Regieassistenz ist sogar eine Stelle einer studentischen Mitarbeiterin, die jedes Jahr neu vergeben wird und ein Betriebsbüro existiert so leider gar nicht. Das muss alles improvisiert werden. Ist z.B. ein Student aus dem Institut Dirigieren talentiert und erfolgreich in den Bühnen- und Orchesterproben, so kann er sogar später einmal eine ganze Opernproduktion dirigieren.
Vieles ist möglich, was sich als gut darstellt!
Auch die Disposition, die an einem Opernhaus organisiert ist, wird hier individuell mit eigenen Mitteln durchgeführt. Man hat Coachs für schauspielerische Aspekte und auch Coachs für die Gesangsstudierenden, die sie bei stückbezogenen Besonderheiten unterstützen.
Das Institut für Komposition, Musiktheorie, Musikgeschichte und Dirigieren ist neben den Dirigierstudierenden eingebunden, so dass Studierende des Studiengangs Opernkorrepetition in den Proben ebenfalls Praxis sammeln können, indem sie im Wechsel mit den professionellen Korrepetitor:innen unseres Instituts szenische Proben begleiten.
Sogar die Ausstattung von Bühne und Kostüm wird von Studierenden übernommen. Auch hier wird mit den entsprechenden Instituten der KUG zusammengearbeitet. Der Regisseur Ingo Kerkhof versucht hierbei auch viele Freiräume zu lassen, damit sich die Nachwuchskräfte entwickeln und profilieren können.
„Dabei helfen wir so weit möglich: manchmal fällt der Groschen dann erst nach der Vorstellung, aber nur genau so kann man sich verbessern und weiterentwickeln.“
Die Studierenden sollen lernen, auch mit Rückschlägen klar zu kommen.
In der folgenden OHP konnte ich mich dann von den Ergebnissen dieser Arbeit selbst überzeugen, war positiv überrascht über die Qualität von Orchester und Gesang, nahm eine komplexe und dichte musikalische Interpretation wahr mit vielen jungen engagierten Menschen, die ihr Bestes gaben.
Wie ich später hörte, war dann auch die folgende Premiere am 6.12.24 ein voller Erfolg vor ausverkauftem Haus.
Patrik Klein, 13. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lesen Sie im dritten Teil der Reportage, am Samstag, 14. Dezember 2024, über die ersten Begegnungen mit den Gesangsprofessoren im Institut 5.
Christian Jost: DIE ARABISCHE NACHT
Oper nach dem gleichnamigen Schauspiel
von Roland Schimmelpfennig (2007)
Premiere am 6. Dezember 2024, 19:00 Uhr
https://vimeo.com/event/4728713 (Videomitschnitt der Premiere vom 6.12.24)
Musikalische Leitung: Gerrit Prießnitz und Francesco di Giorgio (11.12.)
Inszenierung: Ingo KERKHOF
Bühne & Kostüme: Nora Theresa PEIERL
Hans Lomeier: Hyunsik Ko/Lovro Kotnik
Fatima Mansur: Ursula Roomere/Ana Vidmar
Franziska Dehke: Teodora Ateljevic/Gyurin Bae
Kalil: Hyungjoo Chang/Lucas Pellbäck
Peter Karpati: František SliŽ
Katja Hartinger: Marija-Katarina Jukic
Narbenfrau / Helga: Christina Brunner
Frau Hinrichs: Ana Vidmar
Marion Richter: Anna Maria Górska
Orchester der KUG
Report: KB besucht die KUG Teil 1 – Liedgestaltung klassik-begeistert.de, 12. Dezember 2024