Parsifal Archiv © Ruth Walz
Ein großes Sängerfest galt es also zu erleben, das in der Exzellenz keineswegs selbstverständlich ist. Das größte Glanzlicht dieser Produktion ist und bleibt René Pape als Gurnemanz. Mittlerweile 60 Jahre alt ist er und singt diese hoch anspruchsvolle Partie, die er im ersten Akt in weiten Teilen fast allein bestreitet, seit der Premiere vor zehn Jahren mit unverändert mächtiger Stimmgewalt, noch dazu so textverständlich, dass man jedes Wort versteht.
Richard Wagner
Parsifal
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Berliner Staatskapelle
Inszenierung und Bühne: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zayetseva
Staatsoper Unter den Linden, 12. April 2025
von Kirsten Liese
Draußen stehen Leute, die keine Karte mehr suchen wie in früheren Jahren, sondern eine verkaufen wollen. Das hatte ich so in Barenboims Zeiten nicht erlebt.
Ein starbesetzter Parsifal, der an den österlichen Berliner Festtagen nicht ausverkauft ist – wie kann das sein?!
Zwei Gründe drängen sich aus meiner Sicht auf: Die Karten sind zu teuer. Mittlerweile kostet ein halbwegs guter Platz im zweiten Rang bereits 172 Euro. Das können sich angesichts von Mietwucher und drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten nur wenige Berliner leisten, eher noch wohlhabende Kulturtouristen, die nach wie vor einen großen Teil des Publikums stellen. Und wer will schon für einen Platz mit eingeschränkter Sicht 82 (!) Euro ausgeben?
Einspringerin für Elīna Garanča
Hinzu kommt, dass der Staatsoper mit Elīna Garanča, die aus gesundheitlichen Gründen abgesagt hatte, ein starkes Zugpferd abhandengekommen ist.
Dass sich Einspringerin Tanja Ariane Baumgartner als eine phänomenale Kundry empfehlen würde, hatte wohl nicht jeder zu hoffen gewagt, ich muss ehrlich bekennen: ich auch nicht. Das war jedenfalls aus meiner Sicht die große Überraschung dieser Festtags-Eröffnungsvorstellung.

Baumgartner meistert souverän die gefürchteten, für die Stimme nicht ganz ungefährlichen Schreie und singt ihren Part, allen voran ihre große Szene „Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust“, mit großer Leuchtkraft und warmer, runder Tongebung. Und dank der Größe ihrer Stimme harmoniert sie ideal mit dem Parsifal von Andreas Schager, der seine tenorale Stimmgewalt in dieser Partie besonders gut einbringen kann. Wenn er im ersten Rausch der Erkenntnis, ausgelöst durch Kundrys Kuss, Amfortas gefühlte zwei Minuten lang mit Stentorstimme beim Namen ruft, geht ein Beben über die Bühne.

Auch als Sängerdarstellerin verfügt Baumgartner über Potenzial, was sich im gereizten Dialog mit Klingsor zeigt, dessen Forderung, Parsifal zu verführen, sie höchst ungern- und gegen ihren Willen nachkommt. Ansonsten bleibt die Figur unterbelichtet, und das verschuldet Tcherniakovs Regie, die sich für die vielen Facetten Kundrys, die treffend schon einmal als eine Summe alles Weiblichen gedeutet wurde, ignoriert. Allen voran die Verführerin Kundry bleibt in ihrem grauen Trenchcoat eine blasse Gestalt ohne geringste Anflüge von Erotik.
Den Klingsor gibt – um das noch nachzuliefern – Tómas Tómasson, stimmlich profund, und glaubwürdig in der ihm auferlegten Darstellung eines undurchsichtigen, tyrannischen Neurotikers mit latenten Zügen eines Zuhälters.

René Pape ein Parade-Gurnemanz
Das größte Glanzlicht dieser Produktion ist und bleibt aber René Pape als Gurnemanz. Mittlerweile 60 Jahre alt ist er und singt diese hoch anspruchsvolle Partie, die den ersten Akt in weiten Teilen fast allein bestreitet, seit der Premiere vor zehn Jahren mit unverändert mächtiger Stimmgewalt, noch dazu so textverständlich, dass man jedes Wort versteht. Dieser Gurnemanz ist einfach unübertrefflich und unter allen Partien von Pape seine Paraderolle Nummer Eins!

Männersekte statt Gralsritter
Immerhin erweist sich Tcherniakovs Inszenierung, die ich noch zu den besten dieses Regisseurs zähle, insofern als dankbar, als sich die Sänger, allen voran Pape, weitgehend auf ihren Gesang konzentrieren können. Nur im zweiten Akt kommt es zu unnötigem Aktionismus über viel zu viele hüpfende (Blumen)mädchen mit Springseilen.
Abgesehen davon stört es wenig, dass Tcherniakov die Ritter durch ärmlich gekleidete Männer mit Wollmützen und Anoraks ersetzt, die wie Mitglieder einer religiösen Sekte anmuten und sich in ihrer dunstigen, tristen Klause Askese auferlegen. Denn im Großen und Ganzen korrespondieren Text und Musik miteinander, dies ganz besonders auch im Bezug auf Amfortas, den Lauri Vasar eindringlich als einen Leidenden gibt, dem seine schmerzreiche Wunde so stark zusetzt, dass er nicht länger den Gral erschauen will.
Starkes Dirigat: Philippe Jordan
Am Pult der erst 14. Vorstellung dieser Produktion, die ich bislang ausschließlich unter Barenboim erlebte, stand diesmal Philippe Jordan. Nicht zufällig finden sich im Publikum viele Franzosen, erfreut sich der Dirigent doch seit seiner erfolgreichen Zeit an der Pariser Oper einer großen französischen Fangemeinde.
Dies verdientermaßen, empfiehlt er sich doch auch an diesem Abend mit Qualitäten, die ihn als einen exzellenten Wagnerdirigenten auszeichnen: Die liegen in den dynamischen Spitzen der Szenen, in denen sich der große Chor zum Ritual der Enthüllung des Grals versammelt, darin, wie Jordan diese Musik in aller Breite und mit Wucht auskostet. Nur eine Sektion tönt an diesen Stellen diesmal nicht so makellos perfekt wie zuletzt im Brucknerkonzert unter Thielemann: Die Hörner haben angelegentlich Probleme mit einem sauberen Ansatz.

Aber darüber hört man bereitwillig hinweg, da das zum Glück an weniger exponierten Stellen passiert, und weil das übrige Blech sich in Topform präsentiert.
Die Holzbläser der Berliner Staatskapelle musizieren wie immer aufs Trefflichste, freilich haben sie im lyrischen Vorspiel zum dritten Akt ihren größten Auftritt. Es tönt wunderbar ätherisch, noch dazu sehr langsam, was Jordan gelingt, ohne die Musik zu zerdehnen.
Noch dazu empfiehlt sich Jordan wie Thielemann als ein feinfühliger Sängerdirigent, der stets dafür sorgt, dass das Orchester keinen Sänger zudeckt.
Der finale große Beifall für ihn erschien jedenfalls verdient.
Ein großes Sängerfest galt es also zu erleben, das in der Exzellenz selbst an renommierten Häusern keineswegs selbstverständlich ist.
Bilanz
Auch in der Post-Barenboim-Ära behaupten sich die Berliner Festtage, vorerst noch ohne Thielemann, im Ranking internationaler Osterfestspiele ganz vorn. Dies auch deshalb, weil Salzburg in diesem Frühjahr mit einer Rarität wie „Chowanschtschina“ unter Esa Pekka-Salonen – von einem Kollegen bereits zum „Lückenbüßer“ bis zur Wiederkehr der Berliner Philharmoniker erklärt – nicht unbedingt mit einem Publikumsmagneten aufwartet.
Mit Thielemann an Bord werden die Berliner Festtage im kommenden Jahr freilich gewiss zu einer noch größeren Konkurrenz für die sich ebenfalls neu sortierenden Osterfestspiele in Salzburg und Baden-Baden avancieren. Und vielleicht auch für die von Jonas Kaufmann neu ins Leben gerufenen neuen Osterfestspiele in Erl.
Nur die Karten sollten in Berlin – aller Sparpolitik zum Trotz- etwas billiger werden, damit auch der Durchschnitts-Berliner an diesem Festival wieder teilhaben kann.
Kirsten Liese, 13. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Leoš Janáček, Die Ausflüge des Herrn Brouček Staatsoper Unter den Linden, 27. März 2025
Richard Strauss, Der Rosenkavalier Staatsoper Unter den Linden, 1. Februar 2025
Richard Strauss, Elektra (1909) Staatsoper Unter den Linden, 29. Januar 2025
Liebe Kirsten,
Jordans Abgang in Wien wird schmerzen. Der Schweizer hat sich zum Spitzendirigenten entwickelt. Hatte man ihm früher nachgesagt, er sei ein Dezibelrabauke, der alle Sänger niederfegt, sieht das mittlerweile anders aus. Wien ist eine gute Schule. Wundert mich nicht, dass er in Berlin diesbezüglich alles im Griff hat. Der Orchestergraben unter den Linden liegt um einiges tiefer als an der Wiener Staatsoper. In Wien wird er sich im Juni 2025 mit dem Ring in Richtung Paris verabschieden. Ein Pflichttermin!
Liebe Grüße
Jürgen Pathy
Lieber Jürgen,
das kann ich mir auch gut vorstellen. So ist es oftmals: Erst ist man mäkelig, dann erkennt man, was man an demjenigen hatte. Ich freue mich auch sehr über Jordans Entwicklung und hoffe, ihn demnächst häufiger auch wieder mal in Berlin zu erleben, wo er sich ja einst als Barenboims Assistent seine ersten Sporen verdient hat.
Liebe Grüße, Kirsten
Ich weiss nicht, was da immer fort von „Entwicklung“ geschrieben wird. Jordan hat mich 2016 (Cosi) und als Liedebegleiter von di Donato sowie 2017 (Lohengrin) in Paris vollkommen überzeugt. Das ist mehr als 8 Jahre her……
W. Becker