Tobias Kratzer bei der Saisonvorstellung 25/26; Foto Patrik Klein
klassik-begeistert im Interview mit Tobias Kratzer, dem künftigen Intendanten der Hamburgischen Staatsoper, Teil III
Tobias Kratzer übernimmt ab der Saison 2025/26 die Intendanz der Hamburgischen Staatsoper. Bereits während der Probenarbeiten zu dem Saisoneröffnungsstück „Das Paradies und die Peri“ von Robert Schumann, welches im September die neue Saison eröffnen wird, hatten der Herausgeber von klassik-begeistert Andreas Schmidt und die Autoren Jörn Schmidt und Patrik Klein die Gelegenheit, ein paar Fragen an Herrn Kratzer zu stellen.
klassik-begeistert: Junge Menschen lassen sich gerne begeistern. Der Fußballclub FC Bayern München ist ein Erfolgsbeispiel aus dem Bereich Ballsport. Wieso gelingt das der Hamburgischen Staatsoper weniger eindrucksvoll, kann man vom Fußball lernen?
Tobias Kratzer: Wenn es ein künstlerisches Medium gibt, dass einen so stark emotionalisiert wie der Sport, dann doch wirklich am ehesten die Oper. Die hat ja immer einen fast sportiven oder zirzensischen Charakter. Das ist ihr unique selling point. Den Einfluss der einzelnen Inszenierungen würde ich da fast geringer ansetzen.
klassik-begeistert: Anders als im Fußball, wo es darauf ankommt, attraktiven Fußball zu spielen?
Tobias Kratzer: Exzellenz und Spannung ist natürlich die Grundlage. Aber so banal das klingt, beim jungen Publikum macht auch der Preis die Musik. Die überlegen im Bereich Kultur sehr genau, wofür sie ihr Geld ausgeben. Auch das unterscheidet unsere Branche von Fußball. Schauen Sie sich mal die Ticketpreise beim FCB an.
klassik-begeistert: Ist Musikvermittlung wirklich so mühelos, nicht verkaufte Karten einfach an junge Menschen verramschen?
Tobias Kratzer: Davon halte ich gar nichts, wir öffnen das Haus viel sachgerechter. Wir machen unsere Generalproben für junge Leute zugänglich. Wer sich anmeldet, erhält kostenlosen Zutritt. Ich möchte, dass das junge Publikum auch die Neuproduktionen sehen kann. Und wir ändern das Konzept der Werkeinführungen bei Repertoireaufführungen. Kein Frontalunterricht mehr, statt dessen stehen im Foyer Studenten, die individuell bei Fragen zum Werk angesprochen werden können. Wir nennen das FRAMING the REPERTOIRE.

klassik-begeistert: Und dann sind da noch Projekte, die sich ausschließlich an junge Leute richten?
Tobias Kratzer: Ausschließen möchten wir niemanden, Sie sind überall willkommen… Aber Stockhausen für Kinder: Michaels Reise zum Beispiel soll Kindern genauso wie Erwachsenen sinnliche Zugänge zu einem zentralen Komponisten der jüngeren musikalischen Avantgarde ermöglichen… Oder Monster’s Paradise von Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek. Mit dieser brandaktuellen Satire wollen wir fürs Theater begeistern.
klassik-begeistert: Wie ist es um das Mannschaftsgefüge im Orchester bestellt? Alles Mia san Mia im Orchestergraben und hinter den Kulissen?
Tobias Kratzer: Eine Antwort erhält man, wenn man sich die Architektur des Hauses anguckt. Das Haus ist leider etwas unkommunikativ aufgeteilt. Eine Mantelbebauung, wie eine Behörde der 50er Jahre. Allein schon die Kantine: Versteckt und auch nicht für jeden offen. Dabei sollte die Kantine wie in jedem guten Unternehmen ein kommunikativer Dreh- und Angelpunkt sein, ein Ort der Kreativität.
klassik-begeistert: Reden, reden, reden als Führungsstil?
Tobias Kratzer: Miteinander reden, um genau zu sein. Und den Führungskräften Vertrauen schenken, ihnen ein großes Maß an Autonomie einräumen. Solange ich Intendant bin, können sich meine leitenden Mitarbeiter:innen ihre Teams zum Beispiel weitestgehend eigenständig zusammenstellen.
klassik-begeistert: Aber es wird weiterhin Dinge geben, die Chefsache sind?
Tobias Kratzer: Ja natürlich, zuvörderst auch die Außendarstellung. Nur ein Bruchteil der Bürger besucht die Oper regelmäßig, daher müssen wir das Haus sichtbar machen. Und zwar so, dass es die Stadt allein schon durch den Aussenauftritt der Oper, ihre Plakate etc. für alle Bürger:innen schöner und interessanter macht.
klassik-begeistert: Werden Sie als Hamburger Opern-Chef die Eröffnung der so genannten Kühne-Oper [Anmerkung Andreas Schmidt: Auf Initiative des Hamburger Multi-Milliardärs Klaus-Michael Kühne, der seinen Steuersitz in der Schweiz hat, soll in der Hamburger Hafen City ein architektonisch herausragendes Gebäude entstehen als neue Heimat der Hamburgischen Staatsoper] erleben?
Tobias Kratzer: Das kann ich Ihnen nicht beantworten – es sei denn, Sie nennen mir den genauen Zeitpunkt der Eröffnung. Wann war der noch gleich…?
[Schweigen im Klassik-begeistert Team]
klassik-begeistert: Wie läuft die Amtsübergabe?
Tobias Kratzer: Hochprofessionell, Georges Delnon ist sehr freundlich und hilfsbereit.

klassik-begeistert: Lieber Herr Kratzer, spielen Sie ein Instrument?
Tobias Kratzer: Klavier… Aber bevor Sie fragen: Auf einem Niveau, dass ich es nie mehr öffentlich tun werde – seit ich mit Profimusikern arbeite…
klassik-begeistert: Und privat?
Tobias Kratzer: Unverändert gerne. Privat gerne Schubert und Liszts Wagner-Transkriptionen etwa. Bei öffentlichem Vorspielen war es bei mir immer am liebsten Ligeti, da hört man meine Verspieler nicht…
klassik-begeistert: Wie steht es um ihre gesanglichen Qualitäten?
Tobias Kratzer: Das möchten Sie gar nicht wissen. Meine Paraderolle war Sigismund aus dem Weißen Rössl [eine Kostprobe hat Tobias Kratzer dem sehr gespannten Klassik-begeistert Team nicht gegeben].
klassik-begeistert: Wie beurteilen Sie gute und schlechte Orchester- und Gesangsleistungen?
Tobias Kratzer: Zum Glück gibt es keinen Gleichlauf zwischen den Fähigkeiten, gute künstlerische Leistungen zu erkennen und selber zu produzieren [lachend]… gerade Sie als Journalisten können ein Lied davon singen [jetzt lachen alle]… Bis zu einem gewissen Punkt gibt es objektivierbare Kriterien. Ab dann beginnen geschmacklich, also was die Interpretation betrifft, die spannenden Fragen!
klassik-begeistert: Was ist Ihre Lieblingsoper?
Tobias Kratzer: Als Musikliebhaber Die Sache Makropulos von Leoš Janáček. Aber, be careful what you wish for. Als Regisseur und Intendant habe ich ganz andere Lieblinge…
klassik-begeistert: Ihre Lieblingsarie? Ihr Lieblingsvorspiel?
Tobias Kratzer: Bei der Fülle an grandiosen Arien und Ouvertüren lässt sich diese Frage nicht professionell beantworten. Und als Intendant sollte man keine solchen Wertungen ins Spiel bringen.
klassik-begeistert: Ihr Lieblingskomponist?
Tobias Kratzer: Der, den ich gerade inszeniere. Momentan also Schumann. Und Iris ter Schiphorst.
klassik-begeistert: Was macht einen Komponisten zum Opernkomponisten?
Tobias Kratzer: Dramatisches Gespür und kluge Vokalbehandlung. Und es braucht ein gutes Libretto.
klassik-begeistert: Welche Auslastung streben Sie an?
Tobias Kratzer: 100 Prozent, ganz klar.
klassik-begeistert: Lieber Herr Kratzer, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.
Interview: kb im Gespräch mit Tobias Kratzer, Teil I Hamburgische Staatsoper, 2. Juli 2025
Interview: kb im Gespräch mit Tobias Kratzer, Teil II Hamburgische Staatsoper, 4. Juli 2025