Sofia: Die „Götterdämmerung“ zeigt sich als mystischer Höhepunkt eines visionären Ring-Zyklus

Richard Wagner, Götterdämmerung  Sofia Opera und Ballett, 3. Juli 2025

© Sofia Opera and Ballett

Weltenbrand und Licht der Hoffnung

Was Plamen Kartaloff und Evan-Alexis Christ mit ihrem Ensemble schufen, wirkte wie ein Ritual, in dem Vergangenheit und Gegenwart, Mythos und Mensch aufeinanderprallten – und verschmolzen. Es war der künstlerische Kulminationspunkt eines Unternehmens, das Mut bewies, weil es nicht modernisieren wollte, sondern zeitlos in großer Klarheit den Aufstieg und Fall der handelnden Personen zeigte.

Richard Wagner
Götterdämmerung

Plamen Kartaloff, Inszenierung

Evan-Alexis Christ, musikalische Leitung

Sofia Opera und Ballett, 3. Juli 2025

von Dirk Schauß

Es war ein Abend, der sich nicht einfach erleben, sondern nur durchdringen ließ. Ein Abend, der sich wie Glut unter der Haut festsetzte. Am 3. Juli 2025 vollendete die Nationaloper Sofia ihren gewaltigen Ring-Zyklus mit einer „Götterdämmerung“, die mehr war als ein Abschlussakt: ein epischer Sog aus Bild, Klang und Bedeutung.
Was Plamen Kartaloff und Evan-Alexis Christ mit ihrem Ensemble schufen, wirkte wie ein Ritual, in dem Vergangenheit und Gegenwart, Mythos und Mensch aufeinanderprallten – und verschmolzen. Es war der künstlerische Kulminationspunkt eines Unternehmens, das Mut bewies, weil es nicht modernisieren wollte, sondern zeitlos in großer Klarheit den Aufstieg und Fall der handelnden Personen zeigte.

Kartaloff fächerte den letzten Teil der Tetralogie mit messerscharfer Bildsprache auf. Seine Inszenierung war kein Prunkgestöber, sondern ein psychologisches Geflecht, das sich aus klarer Personenführung, rituellen Bewegungsmustern und symbolischen Tableaus speiste. Brünnhilde und Hagen markierten die Pole: auf der einen Seite die innere Zerrissenheit, auf der anderen die berechnende Eiseskälte.

Brünnhilde – nie bloß tragische Liebende, sondern eine Frau im Umbruch: schmerzlich aufwachend, verletzlich im Zorn, unbeirrbar in der Liebe. Hagen dagegen kein bloßes Werkzeug des Bösen, sondern ein Mann, der alles kalkuliert und doch der eigenen Dunkelheit unterliegt. Immer wieder trat Alberich ins Bild – eine aufgewertete Figur, geisterhaft, lauernd, ein Relikt des alten Unrechts. Als stilles Echo der Macht, die einst war, verfolgte er das Geschehen mit kalten Augen und endloser Gier. Die roten Pferde, als Leitmotiv durch den Abend gezogen, waren mehr als Requisite: Siegfrieds Rheinfahrt, Waltrautes Erscheinen, Gunter bringt die „erlegte“ Brünnhilde auf dem Pferd als Beute, Grane neben dem toten Helden – ein Bild von schmerzlicher Symbolkraft.

© Sofia Opera and Ballett

Bereits im Prolog faszinierte das Bühnenbild das Publikum mit einem übernatürlichen Blau – eine Farbe wie gefrorenes Schicksal. Die drei Nornen – Tsveta Sarambelieva, Ina Petrova und Silvia Teneva – webten ihr Seil nicht einfach: Sie waren Hüterinnen einer Zeit, die auseinanderfiel. Ihre Stimmen verschränkten sich zu einem vielschichtigen Klangteppich, Orakel und Klagegesang zugleich. Jede hielt eine leuchtende Kugel – fragile Welten, in deren Drehung sich Vergangenheit und Zukunft spiegelten. Es war ein Moment stiller Magie: Keine große Geste, aber ein Sog, der das Publikum augenblicklich in die Metaphysik dieser Welt zog.

Dann: Siegfried. Neu besetzt mit Kostadin Andreev, der mit seiner Interpretation ein kaum für möglich gehaltenes Reifestadium offenbarte. Wo früher stimmliche Wildheit bei ihm dominierte, war nun Kontrolle, wo einst bloßer Kraftakt, nun ein Bogen aus Empfindung, Resonanz und gestalterischer Intelligenz. Sein Tenor – dunkler, geerdeter, voller Farbschattierungen – verlieh der Figur etwas Rätselhaftes, das sie dem übermenschlichen Mythos entzog und dem Zuhörer nahebrachte. Dieser Siegfried war verletzlich, ausgesetzt, kein Unbesiegbarer, sondern ein Suchender. Andreev wagte bewusstes Zurücknehmen seiner Stimme, seine Mezzavoce-Passagen waren nicht nur stilistische Effekte, sondern psychologische Offenbarungen. Und doch konnte er, wenn nötig, heldisch aufblühen. Das hohe C im dritten Aufzug – kraftvoll und doch mühelos – geriet zum inneren Triumphmoment. Die Waldvogelerzählung, fein ausmusiziert, war von poetischer Leichtigkeit. In seinem Sterben lag dann etwas Endgültiges, ein Aufleuchten vor dem Vergehen.

© Sofia Opera and Ballett

Und Brünnhilde? Iordanka Derilova war nicht einfach Besetzung, sondern pure Verkörperung. Sie trat nicht auf, sie erschien. Ihre Stimme – funkelnd in den Höhen, samtig in der Tiefe, getragen von einem Atem, der nicht Technik war, sondern stets Ausdruck. Derilova artikulierte nicht, sie sprach mit Gefühl aus. Jede Silbe war Bekenntnis, jeder Ton hatte Gewicht. Ihre Brünnhilde war kein Monument, sondern ein Mensch, zerrissen, begnadet, verloren und unbesiegbar zugleich. In den leisen Passagen löste sich alles Deklamatorische auf, da war nur noch Empfindung. Wenn sie sang, war die Bühne ihr Resonanzraum, ihre Aura reichte weit über das Sichtbare hinaus. In jedem Moment stand sie über ihrer riesigen Rolle und sang diese mit staunenswerter Sicherheit. Kein Ton gefährdet, jede Höhe weit geöffnet obertonreich ausgesungen. Eine große Leistung dieser charismatischen Sängerin, die heftig gefeiert wurde!

Auch das Umfeld der Gibichungen erhielt starkes Gewicht. Atanas Mladenov formte Gunther nicht als schwachen Mitläufer, sondern als innerlich Gefesselten, als Mann, der seine Ohnmacht mit falscher Tat kompensiert. Sein Bariton – präzise, fokussiert, mit feiner Phrasierung – verlieh ihm innere Bewegung. Hervorragend seine wissende Textgestaltung mit starken expressiven Akzenten. Neben ihm Tsvetana Bandalovska als Gutrune: kein scheues Reh, sondern eine tastende, ahnende Figur zwischen Anpassung und Rebellion. Ihre Stimme hatte Glanz, aber auch eine weiche Tiefe, die berührte. Beide verliehen ihren Rollen seltene Plastizität. Es war sehr anrührend, wie sie und Brünnhilde sich umarmten, um gemeinsam Siegfried zu betrauern.

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Dann kam die Dunkelheit in Person: Petar Buchkov als Hagen. Mit kalter Entschlossenheit durchmaß er die Szene, seine Bewegungen kontrolliert, sein Blick von einem Ausdruck, der Gänsehaut verursachte. Sein Bass – volltönend, mal grollend, mal stählern – war ein brutales Werkzeug der Macht. Mit maximaler Sicherheit und Wucht fegte er wie ein Sturm durch seine Hohoi-Rufe. Und, wie fein konnte er dies umkehren! Besonders im Duett mit Alberich entstand eine Szene von gespenstischer Intimität. Die Stimme wurde zum Schleier, zum Fluch. Buchkovs Hagen war kein roher Brutalitätstyp, sondern ein geformtes Bösewicht-Porträt mit Abgründen, das sich ins kollektive Gedächtnis brennt. Jederzeit könnte er mit dieser hinreißenden Leistung auf internationalen Bühnen bestehen.

Alexandrina Stoyanova-Andreeva verlieh der Waltraute einen unverwechselbaren Ton. Ihre Begegnung mit Brünnhilde geriet zur inneren Konfrontation, eine Rückkehr der Vergangenheit mit feuriger Wucht. Die roten Walkürenpferde – eine eindringliche Vision. Und dann: Wotan. Nicht singend, sondern stumm, dargestellt vom großen Nikolay Petrov, dem Wotan der ersten Ring-Produktion. Er saß, gebrochen, den Speer in der Hand, und seine bloße Anwesenheit sprach Bände. Es war ein Moment, der wie ein Stich ins Herz wirkte: ein Gott, entmachtet, wartend auf das Ende.

Die stimmlich gut abgestimmten Rheintöchter (Stanislava Momekova, Ina Petrova, Alexandrina Stoyanova-Andreeva) waren mehr als mythologische Staffage: Leichtigkeit, Klangreinheit und Verführung in einem. In der Schlussszene trieben sie Hagen zu seiner letzten Schuld.

© Sofia Opera and Ballett

Hans Kudlichs Bühnenbild war keine Kulisse, sondern ein mythischer Raum. Die Triskelen – als Chiffren für Macht, Erinnerung, Hoffnung – standen nie für sich, sondern wurden durch Kartaloffs Regie zu lebendigen, mahnenden Zeichen. Andrej Hajdinjaks Licht – ein Farbenspiel zwischen Frost und Glut. Besonders der finale Moment: ein Lichtkegel auf leerer Bühne, grell, schmal. Es war kein frohes Ende, sondern ein Innehalten und Ausatmen. Hoffnung? Mahnung? Der Blick war frei, die Deutung offen.

Der Chor unter Violeta Dimitrova war Wucht und Präzision zugleich, besonders im sprachlichen Detail beeindruckend. Und das Orchester? Unter der Leitung von Evan-Alexis Christ wurde es erneut zu einem atmenden Wesen. Christ spannte Bögen, entfachte Brände, legte Ruhepunkte. Er ließ Musik entstehen, nicht klingen. Seine Kontrolle war nie Zwang, sondern Vertrauen. In den großen Steigerungen tobte ein Feuer, in den leisen Momenten flüsterte der Kosmos. Das Orchester folgte nicht, es war Teil des erzählenden Ganzen. Als er sich zum Schluss mit dem Orchester auf der Bühne zeigte, brach ein verdienter Jubel aus. Evan-Alexis Christ war die Seele dieser Tetralogie. Jederzeit wachsam, immer bei den Sängern, setzte er markante Akzente und deutliche dynamische Abstufungen. Sicherlich zählt er heute zu aussagestärksten Dirigenten für dieses Werk!

Mit dieser „Götterdämmerung“ endete nicht einfach ein Zyklus. Es schloss sich ein Kreis, doch in diesem Finale lag auch ein Neubeginn. Der Ring in Sofia 2025 war kein Spielplanereignis, sondern ein Gesamtkunstwerk. Er verband Mythos und Menschlichkeit, Vergangenheit und Jetzt. Kartaloffs Regie griff nicht an, sie entzündete. Geburt, Macht, Schuld, Erkenntnis, Tod – keine Begriffe, sondern erlebte Stationen.

Wer dabei war, erlebte: Oper lebt! Noch immer. Als Feier des Menschlichen, als Spiegel des Mythischen, als Transformation des Jetzt.

Sofia hat mit diesem Ring ein Zeichen gesetzt. Für Bulgarien und für die Opernwelt. Ein kraftvolles Leuchten in dunkler Zeit.

Dirk Schauß, 05. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Das Rheingold Sofia Opera und Ballett, 28. Juni 2025

Richard Wagner, Die Walküre Sofia Opera und Ballett, 29. Juni 2025

Richard Wagner, Siegfried Sofia Opera und Ballett, 1. Juli 2025

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