Foto: Dr. Brian Cooper
In Ciboure erklingt Kammermusik an einem wunderschönen Ort.
Corina Belcea, Violine
Jean-Guihen Queyras, Violoncello
Bertrand Chamayou, Klavier
Junge Solistinnen und Solisten der Celloklasse der Académie Ravel 2025: Jana Bojanowski, Hugo Domínguez Fernández, Pierre Fontenelle, Johannes Gray, Mathilde Reuzé, Emilie Richter
Maurice Ravel (1875-1937) – Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré; Klaviertrio; Sonate für Violine und Violoncello
Pierre Boulez (1925-2016) –Messagesquisse
Ciboure, CIAP Les Récollets, 4. September 2025, 17 Uhr
von Brian Cooper
Dieser Donnerstag ist ein Tag für alle Sinne. Der Rezensent hat sternemäßig gut gegessen, am quai Maurice Ravel in Ciboure, nur ein paar Haustüren von Ravels Geburtshaus entfernt. Und es sollten, nach einer halben Stunde am Hafen, sinnierend aufs Wasser geschaut und so fort, zwei schöne Konzerte folgen.

Besonders das erste wartete mit einem derart exquisiten Programm auf, dass ich mich fragte, warum weder Ravels Klaviertrio noch seine Sonate für Violine und Violoncello so selten gespielt werden. Es sind Meisterwerke voller Überraschungen, Wendungen, Klangvariabilität.
Nach der Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré, einer Hommage an den Komponistenkollegen, die Corina Belcea, bekannt aus dem nach ihr benannten Streichquartett, und Festival-Intendant Bertrand Chamayou mit berührender Schlichtheit und eindrucksvollen Piani vortrugen, folgte vor der Pause das Klaviertrio.
Dieses Stück führt mich sogleich in eine melancholische, überromantisierte Jugend zurück, in der ich den Film Ein Herz im Winter regelrecht inhalierte, schwer in Emmanuelle Béart verknallt war und noch schwerer in die Schwester eines Schulfreunds, den ich – es sei gestanden – nicht wegen seiner Computerspiele besuchte, sondern um einen Blick auf die mystisch-schöne Erscheinung zu erhaschen. Nur einen Blick. Das erklärt vielleicht auch mein Faible für die Literatur des 19. Jahrhunderts.
Zurück zum Film Un cœur en hiver, in dem Ravels Klaviertrio eine große Rolle spielt und sensibel eingesetzt wird: Es ist der Soundtrack, wenn man so will. Die Geige spielt übrigens Jean-Jacques Kantorow, Vater des Pianisten Alexandre.
Und dieses Meisterwerk erlebten wir nun an diesem Donnerstag im wunderschönen ehemaligen Kloster CIAP Les Recollets in der Interpretation von Corina Belcea, Jean-Guihen Queyras und Bertrand Chamayou. In Frankreich liebt man Abkürzungen noch mehr als in Deutschland: CIAP bedeutet Centre d’Interprétation de l’Architecture et du Patrimoine. Architektur wie Akustik sind in diesem vormaligen Kloster der Franziskaner-Rekollekten herausragend.

Schon der erste Satz des „Trios mit Klavier“, wie es im Original bezeichnet ist, betört durch einerseits ein Oszillieren zwischen Ruhe und Leidenschaft, andererseits durch verblüffend spannende Harmonik. Nach nur wenigen Takten ist klar: Das hier wird besonders. Das Auf- und Abschwellen im zweiten Satz, die federleicht klingenden unisono-Stellen in Violine und Cello: Man hörte keinerlei technische Schwierigkeiten.
Chamayou eröffnete den langsamen Satz mit einem langen Solo der linken Hand, in das die Streichinstrumente nacheinander einstimmen, fugenartig. Es entwickelt sich so manches, bevor Ravel uns zu genau der Bassreihe in der linken Hand des Pianisten zurückführt, zur Ausgangsposition also. Verspielt und subtil geht es in den vierten Satz, der nun nichts an der im ersten Satz angedeuteten lodernden Leidenschaft vermissen lässt: Chamayous majestätische Akkorde werden von heftigen Trillern und Läufen der beiden anderen ergänzt, und als das letzte A-Dur ertönt, bleibt kaum ein Auge trocken. „Beautiful“, seufzt Kollege Yegor aus Riga.

Nach der Pause spielen Belcea und Queyras die Sonate. Queyras beginnt in der hohen Lage höchst expressiv, es entspinnt sich ein Dialog, man ist schnell in einem Sog. Ein viertöniges Motiv durchzieht alle vier Sätze, der Jazz ist auch hier präsent, wie so oft bei Ravel, etwa in einer Art walking bass im Cello, das von einem an Tzigane erinnernden – schnell abbrechenden – Geigensolo unterfüttert wird. Das Zusammenspiel der beiden beeindruckt immens, die Musik strotzt vor Leidenschaft und Witz.

Heute, an diesem Nachmittag, war gefühlt der ganze Saal auch angetan von der Musik des Pierre Boulez. Obwohl ans Ende des Programms gesetzt, verließen nur wenige vor Beginn von Messagesquisse den Saal. Es ist ein nicht existentes Kofferwort aus message, also Botschaft, und esquisse, also Skizze, wurde von Mstislaw Rostropowitsch in Auftrag gegeben und ist mit sieben Celli (darunter ein Solocello) spektakulär besetzt. Das Stück ist eine Hommage an den Industriellen und Mäzen Paul Sacher zu dessen 70. Geburtstag.
Es beginnt mit langen Tönen, bevor es in derart rhythmisch vertrackte Gefilde abdriftet, dass Solist Queyras die jungen Menschen aus der Ravel-Akademie stellenweise dirigiert. Wie ein Bienenschwarm klingt es stellenweise.
Wermutstropfen: Es wird plötzlich wie wild gefilmt. Stolze Eltern oder Großeltern? Und in eine Generalpause platzt Handyklingeln. Na, vielen Dank.
Dennoch ein Boulez, den man gleich noch einmal hören möchte, wie ich mit dem Kollegen einig war.
Dr. Brian Cooper, 5. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert
Ravel-Festival 2025 Urrugne, Église Saint-Vincent, 1. September 2025
Klaviermusik von Maurice Ravel, Hyunji Kim Ciboure, Église Saint-Vincent, 2. September 2025, 17 Uhr
Klaviermusik Ravel und Boulez, Ciboure, Église Saint-Vincent, 2. September 2025, 21 Uhr