Ring & Wrestling: St. Pauli trifft die Oper

Ring & Wrestling, Operanovela, 2. Teil,  opera stabile, Hambur

Foto: Jörn Kipping (c)
Ring & Wrestling, Operanovela
, 2. Teil
opera stabile, Hamburg, 15. September 2019

ein Gastbeitrag von Teresa Grodzinska

Liebe Leute,

Ihre Berichterstatterin wurde auf eine – mittelschwere – Probe gestellt. Der zweite Abend von “St. Pauli meets establishment” oder: “wie politisieren wir die Hamburgische Staatsoper” kam langsam zum Erblühen.

Es liegt am Konzept: die trashige Aufmachung, Opernsänger im Boxring in Rauchschwaden gehüllt – sie schocken nicht mehr. Also lag das Neue im Feld der Rock-and-Wrestling-Mannschaft, dachte ich. Die ersten paar Minuten sangen die Wotans, Donners und Rheintöchter ihren Kummer heraus, weil der Drache Pinkzilla im Ring scheinbar tot auf dem Boden lag. Pinkzilla ist nämlich der neue Siegfried. Er hilft den Göttern oder möchte es jedenfalls. Pinkzilla schlüpfte am Ende des ersten Teils aus einem überdimensionalen Überraschungsei. Wer unter Ihnen mit Kindern zu tun hat, weiß, welche Spannung entsteht, wenn das Ei aufgebrochen und die Figur gebaut wird…

 Hier lag also die Überraschung auf dem Boden. Die Rheintöchter versuchten den pinken Drachen mittels Cheerleader-Bömmel und weisen Sprüchen (“In der Ruhe liegt die Kraft”) Leben einzuhauchen. Spätestens in diesem Moment war das Eis zwischen Rock & Wrestling und dem feineren Teil des Publikums gebrochen. Die Galerie (einzige Sitzplätze für Greise, Versehrte, Übergewichtige und Übermüdete) kicherte einvernehmlich. Die Wagnerianer kamen nämlich gar nicht mehr, Neugierige mit Schalk im Nacken schon.

Das Orchester – diesmal um eine Geige, eine Trompete und einen Kontrabass ärmer, dafür mit Saxophon und Fagott merklich lockerer drauf – fing an zu swingen, und die weltberühmten Wrestler betraten den Ring. Es waren in der Reihenfolge des Erscheinens Jean Cornichon (überdimensionale Gurke), Mr. Cheese (der Name ist Programm), Hans Wurst und El Baraccho. Wie Sie sehen, der Kampf, der an unseren Esstischen tobt, fand Eingang in das Stück: Veganer gegen Carnivore. Der Ringsprecher Don Pedro und Hymnen-Sänger Nik Neandertaler waren natürlich auch da.

Das Orchester verabschiedete sich endgültig von Wagner und spielte Bizet (obligatorisch bei einem spanischen Wrestler namens El Baraccho). ”Fever” von Presley – wunderbar von Donner (Shin Yeo, Bass) gesungen beim Kampf zwischen Mr. Cheese und Prinzilla. Das Geschehen im Ring war wie üblich betont brutal, die Kämpfer schmissen sich aus den Eckpfosten auf liegende Gegner, man trat sich in die Nieren und verteilte Kopfnüsse. Alles Theater: Kostüme der Wrestler wurden hauptsächlich aus Schaumgummi gefertigt, Kopfnüsse gab es keine, und zwischen den Rangeleien lagen sich, sofern es physisch möglich war, bei so viel Schaumstoff die St. Paulianer in den Armen.

Viel gefährlicher waren die Wrestling-Einsätze der Opernsänger, die sich ohne Schaumgummi beherzt auf die Ringbretter schmissen. Gutes Muskelkostüm halt. Rheintöchter wie auch der Rest der “Opern-Mannschaft” trugen an diesem Abend pink. Ein Banner mit der Aufschrift “Pink ist geil” wurde gelegentlich geschwungen.

Zum Höhepunkt kam es, als die Hymne auf Gewaltlosigkeit “Gewalt hat keine Liebe”, gesungen von Brünnhilde (Pia Salome Bohner, Sopran), verhallte, Sonnenenergie-Aufrufe und Windmühlen ihre Wirkung nicht entfalteten und die Götter wieder erschlafft in die Ringecken sanken. “Direkt aus Chemnitz” (Originalton Nik Neandertaler) kam, wie immer überraschend aus dem Publikum, Haidi Hitler. Diese Figur mit Hitler-Bärtchen, braunem Röckchen auf einer gewaltigen Hüfte, weißem Hemd mit schwarzer Krawatte und schwarzen Zöpfen ist jedes Mal ein Schocker.

 Sie brachte die müden Götter auf Linie, indem sie das “Heidi-Lied” anstimmte. Und da passierte wieder mal das, was diese Show so besonders macht: das Publikum fing bei jeder bekannten Melodie an zu klatschen und zu jodeln, bis man allmählich merkte, dass man unversehens ins “Musikantenstadel” gelockt worden war. Volksmusik, Schlager – sind wir das auch? Wir, das Salz der Erde, wir, die – egal wer regiert und dirigiert – nur der reinen Kunst fröhnen? Ja, Haidi H. zeigte, wohin man mit einfachsten Mitteln Massen führen kann. Schauderhaft.

Zum Schluß kam die obligatorische  Rock-&-Wrestling-Hymne und die Ansage, dass die nächste Vorstellung (Samstag, 22. September 2018) zwar schon ausverkauft ist, aber für die Generalprobe am Freitag, 21. September, noch Karten zu haben sind.

Ich möchte nicht unken aber: Wird das Niveau der nächsten drei Termine zu halten sein? Hoffen wir, dass die Quelle der Kreativität, die gerade zwischen der Kleinen Theaterstrasse und den Schluchten von St. Pauli so schön sprudelt, ergiebiger ist, als es manchem lieb wäre… Wir werden berichten.

Teresa Grodzinska, 17.September 2018, für
klassik-begeistert.de

 

 

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