Beethovenfest: Diese Musik macht was mit einem

Beethovenfest: Jerusalem Quartet/Elisabeth Leonskaja  Kölner Philharmonie, 23. September 2025

Jerusalem Quartet © Lucie Schulze für Beethovenfest Bonn

In der Kölner Philharmonie endet unter großem Jubel das letzte der fünf Konzerte eines herausragenden Schostakowitsch-Zyklus mit dem Jerusalem Quartet. Elisabeth Leonskaja beeindruckt im Klavierquintett.


Kölner Philharmonie, 23. September 2025

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)Streichquartette Nr. 6 G-Dur op. 101 und Nr. 8 c-Moll op. 110; Klavierquintett g-Moll op. 57

Jerusalem Quartet:

Alexander Pavlovsky, Violine
Sergei Bresler, Violine
Ori Kam, Viola
Kyril Zlotnikov, Violoncello

Elisabeth Leonskaja, Klavier

 von Brian Cooper

„Wir sind heute etwas strenger“, so der Herr vom Saalpersonal an der heute nur halb geöffneten Saaltür. Taschen jeglicher Art sollen bitte an der Garderobe abgegeben werden. Vor uns spazieren jedoch etliche Menschen mit Taschen rein. Was soll das? Wenn Abgabe, dann doch bitte gleiches Recht für alle. Auch meine Begleiterin und ich kommen mit unseren kleinen Taschen durch. Unser Ungerechtigkeitsempfinden hat sich geregt.

Noch paradoxer: Nach der Pause gibt es keinerlei Kontrollen. Dabei bin ich doch inzwischen mit mehreren Dutzend Walnüssen „bewaffnet“, die mir mein bester Freund direkt vom Baum mitgebracht hat. Nicht auszudenken, wenn der Rezensent mit Nüssen um sich würfe…

Hat die Taschenkontrolle bzw. -abgabe, die keine ist, etwa damit zu tun, dass das Jerusalem Quartet aus Kulturbotschafter Israels gilt? Wenn es einen Drohanruf gegeben haben sollte, von dem wir nicht erfahren, dann ist die Strenge nicht streng genug. Ansonsten ergibt es überhaupt keinen Sinn, dass es nur heute so ist. Weder bei den drei Bonner Konzerten noch beim Kölner Konzert vier Tage zuvor gab es irgendwelche Kontrollen. Merkwürdig auch, dass die Pförtnerin, die die Pressekarten ausgibt, darum bittet, durch den Haupteingang statt durch den Künstlereingang in den Saal zu gehen. Äh… Ja. Es ist ein eigenartiger Beginn eines großen Abends.

Dessen Programm wäre für Novizen ein nahezu perfekter Einstieg in die kammermusikalische Welt des Dmitri Schostakowitsch. Es begann mit dem durchaus heiteren Sechsten Streichquartett, dem das bekannteste Quartett, das Achte, vor der Pause folgte, und in der zweiten Hälfte gesellte sich mit Elisabeth Leonskaja eine Grande Dame des Klaviers hinzu, die das g-Moll-Quintett schon vor über 30 Jahren mit den Borodins eingespielt hat.

Das Quartett kommt auf die Bühne. Ori Kam, der heute sein letztes Konzert mit dem Quartett spielt, hat sein Tablet vergessen – nur Sergei Bresler spielt nicht vom Tablet – und läuft schnell nochmal zurück, um es zu holen. Dann beginnt das Sechste Streichquartett. Heiter, wie gesagt, leichtfüßig gespielt, mit grandiosen Soli des Primarius, Alexander Pavlovsky, und dem herrlichen Jerusalem-Sound, der an diesem Abend in dieser Form zum letzten Mal zu hören sein wird.

Das Achte Streichquartett beginnt extrem langsam, düster, fast gänzlich ohne Vibrato und mit einer Intensität, die jede Sekunde der etwa zwanzig Minuten Spieldauer des fünfsätzigen Werks ausfüllen wird. Die Sätze gehen ineinander über, das Werk ist voller Tragik, der Komponist soll beim Schreiben im sächsischen Gohrisch so viele Tränen vergossen haben, wie man nach einem halben Dutzend Bieren Wasser lässt – das genaue Zitat gibt es in unterschiedlichsten Formen.

„Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ ist das vom DSCH-Motiv durchdrungene autobiographische Werk untertitelt, mutmaßlich auf Druck Moskaus. Schlimmster Schmerz ist in jedem Takt zu spüren, und wenn das dreifache Klopfmotiv – in diesem Quartett besonders brutal und von den Jerusalems eindrücklich und schonungslos dargeboten – nicht das rabiate Klopfen der Schergen an die Tür eines Regime-Opfers ist, dann weiß ich auch nicht, was es ist. Das Kopfkino rattert jedenfalls, Bilder entstehen, wie es nur in einem außergewöhnlichen Konzert erlebbar wird. Meine langjährige russische Freundin Swetlana verwendet zur Pause die Adjektive „außerirdisch“ und „gigantisch“. Schöne Stille zum Schluss.

Elisabeth Leonskaja © Marco Borggreve

Der rhapsodische Beginn des Quintetts wird durch Elisabeth Leonskaja mit harter Pranke gespielt, was in diesem Fall aber bestens passt. Es ist ein wunderbares, geradezu „klassisches“ Werk, ein begeisterndes Werk in einer begeisternden Interpretation. Schostakowitsch schrieb es 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg. Die Bach’sche Fuge im zweiten Satz ist unfassbar filigran gespielt, leider von Hustern und Handygeräuschen begleitet. Die Klangfülle des dritten und vierten Satzes ist atemberaubend – wie „klassisch“ es doch ist!, geht es mir durch den Kopf. Ein Huster hat gemerkt, dass es attacca in den Finalsatz geht, und tut dies kund. Bravo. Mit viel Charme darf das Quintett jedoch leise verklingen.

Ein großartiger Zyklus geht damit zuende. Es ist zu begrüßen, und ein Verdienst des Beethovenfests und der Kölner Philharmonie, dass weder das in Israel gegründete Quartett wegen der Gewalt in Gaza noch die russische Musik allgemein wegen der Invasion der Ukraine „gecancelt“ wurden. Das wäre lächerlich, kommt bisweilen aber leider vor. Gerade jetzt brauchen wir so dringend diese Musik, die alle Menschen, die eine Seele haben, so berührt.

Nach dem ersten Abend dieser langen und aufregenden Reise sagte mir eine ehemalige Mitarbeiterin des Beethovenfests, diese Musik „mache was“ mit ihr. Ich empfinde es genauso. Seit mich vor inzwischen Jahrzehnten das e-Moll-Klaviertrio und das Achte Streichquartett umhauten, und später so manche Sinfonie, bin ich bedingungsloser Jünger dieser herrlichen Musik.

Und auch beim Publikum kam sie an: Großer Jubel, viele erhoben sich (auch schon zur Pause), und die fünf spielten als Zugabe noch einmal das Scherzo, das mit seinem „nicht enden wollenden Ende“ auf mich gar wie eine Parodie Beethovens wirkt, der etwa in seiner Eroica eine gefühlte Ewigkeit nicht zum Ende kommt.

Dr. Brian Cooper, 24. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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