Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit seinem Dirigenten Omer Meir Wellber (Foto: RW)
Tobias Kratzer befasst sich wie in seiner Münchner Rheingold-Inszenierung mit dem Verlust des Glaubens in unserer einstmals durchgehend christlichen Gesellschaft. Kratzer zeigt die Lücken, die sich in uns auftun.
Das Paradies und die Peri
Weltliches Oratorium in drei Teilen (1843)
Komposition: Robert Schumann
Libretto: Emil Flechsig nach der Dichtung Lalla Rookh von Thomas Moore
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung Omer Meir Wellber
Chor der Hamburgischen Staatsoper, Leitung Alice Meregaglia
Die Peri: Vera-Lotte Boecker
Engel: Ivan Borodulin, Jüngling: Lunga Eric Hallam, Gazna: Christoph Pohl
Sopran: Eliza Boom, Mezzosopran: Kady Evanyshyn, Alt: Annika Schlicht, Tenor: Kai Kluge
Premiere in der Hamburgischen Staatsoper, 27. September 2025
von Dr. Ralf Wegner
Eigentlich hatte ich nicht hingehen wollen, allein der Name des Stücks „Das Paradies und die Peri“ klingt sehr sperrig und das Schaubild einer Frau mit Engelsflügeln vor einer Müllhalde lud auch nicht dazu ein. Allerdings kamen wir ganz begeistert von Kratzers durchdachter Münchner Rheingold-Inszenierung zurück. Und da auch der dortige Ausstatter Rainer Sellmaier an der Peri beteiligt ist, besann ich mich eines anderen.
Das Fazit vorweg, es war eine intelligente Auseinandersetzung mit Glaubensfragen, mit unserem Bedürfnis nach Transzendentalität, mit der jeden Menschen umtreibenden Frage: was geschieht mit uns nach unserem Ende?
Peri, ein aus dem Paradies gefallenes Fabelwesen, wird an der Himmelspforte der Rückweg versperrt. Sie müsse auf Erden nach Gaben suchen, die ihr das Himmelstor öffnen würden.
Peri gerät in den Krieg. Menschen töten sich gegenseitig. Ein Held will sich einem Tyrannen nicht ergeben und wird getötet. Peris erste Gabe, das Blut des sterbenden Helden, wird zurückgewiesen.
Peri reist ins schöne Ägyptenland und erlebt, wie ein Jüngling an den Folgen einer Seuche stirbt, vereint mit der Geliebten, die ihm im Tode beistehen will. Auch die von Peri mitgebrachte Träne der sterbenden Geliebten reicht nicht aus. Erneut auf der Erde beobachtet Peri, wie spielende Kinder im Rauch ersticken. Einem Mann kommen die Tränen. Die Reue des Mannes, sein Bekenntnis seiner Sünden, öffnet ihr den Weg in den Himmel.

Nach der vom Kultursenator Dr. Carsten Brosda beim Premierenempfang geäußerten Meinung ging es bei dem Erlebten um heutige Themen wie Krieg, Pandemie und Klimawandel. Weniger vordergründig handelt Schumanns Oratorium aber von Mut, Liebe und die Erkenntnis, dass wir Sünder sind und nur durch Gottes Gnade das Himmelreich gewinnen.
Was nun aber das Himmelreich ist, das lässt Kratzer jedem selbst überlassen. Denn seine Peri landet nicht auf einer Müllhalde, also in der heutigen städtischen Wirklichkeit, wie das Plakat zu dieser Aufführung suggerierte. Peri wird in den Chor der Hamburgischen Staatsoper aufgenommen, der sich bereits hinter ihr versammelt hatte.
Das ist doch auch ein schöner Gedanke, wenn uns hinter dem Himmelstor eine Gemeinschaft von Sängerinnen und Sängern erwartet. Und wenn der Senator in seiner Ansprache meinte, Kratzer habe gezeigt, dass es keinen Himmel gibt und wir die Probleme der Welt hier unten zu lösen hätten, entspricht das nicht ganz der künstlerischen Aussage der Inszenierung des neuen Hamburger Opernintendanten.
Kratzer befasst sich vielmehr, wie in seiner Münchner Rheingoldinszenierung, mit dem Verlust des Glaubens in unserer einstmals durchgehend christlichen Gesellschaft. Kratzer zeigt die Lücken, die sich in uns auftun. Das ist das Gegenteil von Atheismus. Kratzer regt uns zum Denken drüber an, was wir bereits glauben verloren zu haben: Die Empathie für unsere Mitmenschen, auch wenn sie sündig wurden. Und der Gedanke, dass uns hinter der Himmelspforte eine Chormitgliedschaft erwartet, hat auch etwas Tröstliches.
Das Paradies und die Peri wird als Oratorium bezeichnet, In der Staatsoper geht es aber weit über eine szenische Oratoriums-Inszenierung hinaus, im Grunde ähnelt es mehr einer einaktigen Oper ohne Arien. Vera-Lotte Boecker sang und gestaltete die Peri vorzüglich. Ihre reine, leicht goldfarbene, in der Höhe weit aufblühende lyrische Sopranstimme ließ keinen Wunsch offen. Auch die anderen Solisten sangen sehr gut. Zu erwähnen sind vor allem der Tenor Kai Kluge, der die Handlung illustrierte, sowie Annika Schlicht, die den Altpart übernommen hatte.

Kratzer hatte sich auch einige Gags mit dem Publikum ausgedacht. Schon vor Beginn der Aufführung übertrug eine Bühnenkamera Bilder aus dem Publikum auf eine zur Ausstattung gehörende LED-Wand. So winkte mancher Besucher in die Kamera hinein. Im ersten Teil rief eine (zur Inszenierung gehörende) Zuschauerin laut Buh und verließ unter Protest den Saal. Im zweiten Teil wurde ein älter Herr beim Dauerschlaf erwischt und im dritten liefen ihm bzw. einem anderen die Tränen. Zu diesem zwängte sich Vera-Lotte Boecker über die Reihen hinweg, um ihn zu trösten. Also auch das war Teil der Inszenierung, ebenso wohl der Eingeschlafene, der schließlich von seiner Nachbarin angestoßen worden war, sich aber wieder dem Schlummer hingab.
Das Publikum feierte am Ende seinen neuen Intendanten. Ein, zwei Buhrufe gingen völlig unter. Am Ende trat auch noch das gesamte Orchester auf die Bühne. Unter der Leitung des neuen Generalmusikdirektors Omer Meir Wellber hatten sie herausragend gespielt. Besonders zu loben ist auch der darstellerisch agile Chor, der unter der Leitung von Alice Meregaglia sein Bestes gab. Anzumerken bleibt allerdings, dass Kamerafahrten ins Publikum vom Bühnengeschehen teilweise auch ablenkten.
Dr. Ralf Wegner, 28. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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