Beethovenfest: „Épater le bourgeois!“

Budapest Festival Orchestra, Éva Duda Dance Company, Iván Fischer  Opernhaus Bonn, 27. September 2025

Budapest Festival Orchestra, Iván Fischer, Dirigent © Akos Stiller

Beim Bonner Beethovenfest spielen gern gesehene (und gehörte!) Gäste aus Budapest Beethovens Siebte und Bartóks Der wunderbare Mandarin in der Komplettfassung. Die Éva Duda Dance Company tanzt phänomenal.

Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

Béla Bartók (1881-1945) Der wunderbare Mandarin. Tanzpantomime in einem Akt Sz 73

Budapest Festival Orchestra
Éva Duda Dance Company
Iván Fischer, Dirigent

Bonn, Opernhaus, 27. September 2025

von Brian Cooper

Die Uraufführung vor fast genau 99 Jahren in der Kölner Oper, damals noch am Habsburgerring, war ein handfester Skandal. Es soll im November 1926 zu Tumulten mit „Pfui!“-Rufen gekommen sein, und der Oberbürgermeister der Stadt, ein gewisser Konrad Adenauer, nahm das „unmoralische“ Werk flugs eigenhändig vom Spielplan.

„Diese Leute in Köln haben das Stück nicht verstanden“, meinte ganz lakonisch vor dem Abschlusskonzert des Beethovenfests im Gespräch mit Christoph Vratz der Dirigent des Abends, Iván Fischer, der mit seinem famosen Budapest Festival Orchestra schon für so manche Sternstunde in Bonn gesorgt hat. Es sei nämlich ein Fehler, Béla Bartóks Der wunderbare Mandarin nur oberflächlich als ein Werk zu betrachten, in dem es einzig um Sex und Gewalt gehe. Vielmehr gehe es einerseits um die unmenschliche Umgebung der Stadt und andererseits um die Welt der professionellen Kriminellen, so Fischer. Von Bartók selbst stammt die Aussage, seine Tanzpantomime spiegele „die Hässlichkeit und Widerlichkeit der zivilisierten Welt“ wider. Das passt ins Bild, das ich bislang vom Komponisten hatte, und das auch Iván Fischer im Gespräch bestätigte: Bartók war ein großer Humanist.

Sei’s drum: Teilen des Kölner Publikums wie seinem konservativen OB war das Werk zu erotisch, die Musik zu fremd. Das von Dichtern wie Baudelaire und Rimbaud ausgerufene Diktum „Épater le bourgeois“, also „den Bürger schocken“, wurde Wirklichkeit.

Auch zu Beethoven wollte Fischer einige Punkte am auf der Foyerbühne stehenden Konzertflügel erläutern. Dieser war jedoch nicht nur zugedeckt, sondern die Klaviatur verschlossen. Schade für jene, die Iván Fischer kennen und wissen, wie lehrreich und unterhaltsam er so etwas kann. So kam es letztlich nur zu der interessanten These, der erste Akkord des Allegretto, des zweiten Satzes der Siebten Sinfonie, sei als Fragezeichen zu verstehen.

Dieser Satz, sicher der schönste sinfonische Satz Beethovens, beginnt und endet mit demselben Quartsextakkord in den Holzbläsern. Eine Art Unanswered Question also, ähnlich wie bei Charles Ives?

Die Siebte spielte das Orchester, das schon lange zu den besten der Welt zählt, selbstredend sehr gut, aber die Aufführung kam nicht an jene des Chamber Orchestra of Europe unter Robin Ticciati heran, die beim Abschlusskonzert vor zwei Jahren elektrisiert hatte. Dennoch gab es viel Erfreuliches: samtene Streicher, angeführt vom ehemaligen Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, Guy Braunstein; herrliches Holz, insbesondere im ersten Satz (Flöte und Oboe) und im Mittelteil des dritten; und ein Gespür des Dirigenten für Feinheiten: Er kitzelt aus vermeintlichen Begleitphrasen Melodiöses. Manch unerwarteter Tempowechsel überraschte, klang gegen den Strich – und gegen unsere Hörgewohnheiten – gebürstet.

Interessant geht es bei den Budapestern immer zu. Die Bässe sind hinten aufgereiht. Beim Stimmen erklingen nicht nur der Kammerton A, sondern auch die Töne B und G. Und im Beethoven spielten die Holzbläser im Stehen, ebenso die Hörner, nicht aber die Trompeten. Fischer wird seine Gründe haben, er ist ein ernsthafter Musiker mit vielen innovativen Ideen und folgt keinen Moden.

Auch die Bonner Aufführung des Mandarin – auf den Tag genau 98 Jahre und zehn Monate nach der Kölner Uraufführung am 27.11.1926 – bot Ungewöhnliches. Die sechs männlichen Tänzer und die fabelhafte Vera Bundschuh („Mädchen“) tanzten auf einer kleinen Bühne, die hinten auf die große Opernbühne gebaut war. Das Orchester verschwand also nicht im Graben, sondern richtete sich halb gen Tanzbühne aus, wobei der Dirigent ab und an im Sitzen agierte, um dem Publikum nicht das Blickfeld zu versperren, wie er vorher erläutert hatte.

Bewundernswert war die Athletik von Kristóf Deák, Kostas Charalampous und Mátyás Kovács, die als die „drei Strolche“ das Mädchen zwingen, als Lockvogel für vorbeilaufende Männer zu tanzen. Mit Tibor Kováts als älterem Freier, Csaba Mátyás Nagy als Jüngling (herrlich schüchtern) und vor allem Zoltán Csere als Mandarin präsentierte die anwesende Choreographin Éva Duda eine staunenswerte Bandbreite an tänzerischem Ausdruck. Allein, zu was der zu Beginn reglos starrende Csere als Mandarin mit seinen Kopfbewegungen und seiner Mimik fähig ist, während das Mädchen ihn mit aufreizenden, fließenden Tanzbewegungen umschwirrt, ist toll.

Dazu spielten die Budapester diese „Ultra“-Musik sensationell. Fischer ließ in dieser Darbietung des gesamten Werks – meist wird nur die Suite aufgeführt – alles auffahren, was an „Klangüberwältigung“ – im besten Sinne – möglich ist. Besonders begeisterte die Klarinette zu Beginn der verschiedenen Verführungsspiele.

Es ist ein seltenes Ereignis, das Werk in dieser Form aufgeführt zu erleben. Der moderne Tanz lenkt nicht etwa von der Musik ab, sondern macht die Handlung so verständlich, dass man die Vielschichtigkeit des Werks jenseits der ihm in Köln abgesprochenen „Salonfähigkeit“ erkennt. Die wunderbare Lichtregie von József Pető und die Kostüme von Edit Szűcs trugen zu diesem Eindruck bei.

Es ist das vorerst letzte Konzert des Bonner Beethovenfests im hiesigen Opernhaus. Im Dezember dieses Jahres wird – nicht „soll“ – die sanierte Beethovenhalle endlich wiedereröffnet werden, wie Oberbürgermeisterin Katja Dörner in ihrer kurzen Ansprache vor Beginn des Konzerts versicherte. Vom 3. September bis 3. Oktober 2026 wird das Gros der Konzerte also wieder an alter, neuer Spielstätte stattfinden – mit größerer Kapazität, was insofern Hoffnung macht, als die großen Sinfoniekonzerte des Beethovenfests offenbar ebenso großen Anklang finden.

Lange vor der Ära Steven Walter wirkten die Veranstaltungen in der alten Beethovenhalle ein wenig altbacken. Mit dem frischen Wind, der hier seit einigen Jahren weht, dürfte das anders werden.

Dr. Brian Cooper, 28. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Beethovenfest: Jerusalem Quartet/Elisabeth Leonskaja Kölner Philharmonie, 23. September 2025

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