Ein Abend erwacht zwischen Träumen und Turbulenzen

Frankfurter Opern- und Museumsorchester Thomas Guggeis, Julia Hagen Violoncello  Alte Oper Frankfurt, 20. Oktober 2025

Fotos © Diana Hillesheim

So bleibt dieser Abend als lebendige, kostbare Erinnerung stehen: an eine Komponistin, die endlich wieder gehört wird; an ein Cellokonzert, das lebendig bleibt, wenn man es ernst nimmt; und an einen Strauss, der zu Unrecht als Selbstverliebter gilt, obwohl er nur – nun ja – sehr genau wusste, wie Liebe klingt.

Mel Bonis
Trois Femmes de légende

Camille Saint-Saëns
Cellokonzert Nr. 1 in a-Moll

Richard Strauss
Symphonia domestica

Julia Hagen, Violoncello

Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Thomas Guggeis, musikalische Leitung

Alte Oper Frankfurt, 20. Oktober 2025

von Dirk Schauß

Ein Konzert in der Alten Oper Frankfurt, in welchem drei Komponisten – pardon, zwei Komponisten und eine übersehene Komponistin – zeigen, wie unterschiedlich man Leidenschaft orchestrieren kann.

Manchmal schleicht sich ein Konzertabend leise in die Aufmerksamkeit – keine Fanfare, kein heroisches Brio, sondern Harfenstaub, flirrendes Licht und eine Atmosphäre, die eher nach Traum riecht als nach Programm. So beginnt Mel Bonis’ Trois Femmes de légende – und man merkt gleich: Diese Frau hat etwas zu sagen, auch wenn sie es in einer Zeit tat, in der man ihr lieber das Schweigen verordnet hätte. Mélanie hieß sie eigentlich, aber in einer Welt, die Komponistinnen nur als musizierende Gattinnen duldete, wurde aus Mélanie kurzerhand Mel. Ein Tarnname, um ernst genommen zu werden – ja, man könnte fast sagen: eine kleine Revolte im Vornamen.

Ihre drei Frauen – Ophélie, Salomé, Cléopâtre – sind keine dekorativen Figuren aus der Vitrine der Musikgeschichte. Sie leben, atmen, blitzen. Zunächst Ophélie: Die Holzbläser singen Kantilenen, die klingen, als würden sie sich gegenseitig trösten. Guggeis lässt sie schweben, aber nicht verfließen. Der Boden bleibt spürbar, kein sentimentales Ertrinken, sondern ein Schweben am Rand der Tragödie. Schließlich Salomé, flirrend, springend, mit einem Augenzwinkern und doch auch der exotischen Wildheit. Hier ist keine gefährliche Femme fatale am Werk, sondern eine selbstbewusste, vielleicht etwas zu intelligente Tänzerin, die weiß, dass Männer manchmal an ihrer eigenen Projektion scheitern. Cléopâtre öffnet sich mit feinen Harfentönen, ein exotischer Schleier, durch den das Orchester – unter der präzisen, geradezu archäologischen Leitung von Thomas Guggeis – eine Welt von Duft und Dämmerung entstehen lässt. Es klingt nach Pyramiden und französischem Impressionismus, aber ohne den typischen Debussy-Nebel. Bonis schreibt klarer, strukturierter, vielleicht auch entschiedener weiblich.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielt das alles mit auffälliger Wachheit. Keine Routine, kein „Pflichtprogramm Frauenquote“. Man spürt echtes Interesse, eine Neugier, die ansteckend wirkt. Das Publikum, anfangs noch höflich gespannt, reagiert am Ende ehrlich bewegt – und vielleicht ein wenig beschämt, weil man diese Musik nicht schon längst kennen sollte.

Dann, ohne großen Umbau, der Sprung zu Camille Saint-Saëns. Sein Cellokonzert Nr. 1 in a-Moll beginnt wie ein Pistolenschuss: kein Vorspiel, kein Abtasten, sofort mitten ins Geschehen. Julia Hagen, die junge Salzburgerin, stürzt sich mit beeindruckender Ruhe hinein. Ihr Ton ist warm, aber klar konturiert, ihre Phrasierung elegant, aber nie manieriert. Sie spielt, als wäre das Werk ein Gespräch, nicht ein Monolog – und das Orchester antwortet sehr aufmerksam.

© Diana Hillesheim

Thomas Guggeis dirigiert den Saint-Saëns als feine Architektur, weniger als romantische Pose. Die schnellen Passagen wirken wie funkelnde Dialoge, in denen das Cello immer leicht dominiert, ohne herrisch zu klingen. Und in den lyrischen Momenten – wenn Hagen das Hauptthema beinahe flüsternd wiederholt – entsteht diese seltene Stille, in der niemand hustet, weil alle atmen wie sie. Und dann das herrliche Menuett im Orchester. Ein Tanz auf Spitze mit selbstbewussten Cello.

Am Ende tanzt das Orchester dem Cello beinahe davon, wie ein Freund, der zu viel Temperament hat. Aber Hagen bleibt souverän, sammelt den Klang, lässt ihn verklingen, als wäre Stille die Pointe. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester wurde von Thomas Guggeis energisch geführt. Gleichzeitig war er ein vorzüglicher Begleiter. Großer, ehrlicher Applaus – kein „Bravo!“-Gekreische, eher das leise Einverständnis: So sollte dieses Konzert klingen.

Nach der Pause dann der Gigant: Richard Strauss’ Symphonia domestica. Schon der Titel klingt wie ein Scherz, und genau das ist er auch – eine ironische Sinfonie über das eigene Familienleben, über Pauline, Franz und Richard, in allen häuslichen Aggregatzuständen. Ein bisschen Selbstironie, ein bisschen Größenwahn, sehr viel Handwerk. Vor dem Beginn gab Thomas Guggeis eine launige Einführung, um das Publikum der Alten Oper mit dem Werk vertraut zu machen – eine kleine, hilfreiche Bedienungsanleitung: Man solle Strauss nicht allzu ernst nehmen und doch sehr ernst zuhören. Das klang wie eine Einladung, den Abend mit einem Augenzwinkern zu betrachten.

Guggeis’ Zugang ist klar, analytisch, beinahe chirurgisch. Man sieht ihm an, dass er jede Stimme, jeden Einsatz durchdrungen hat. Das Orchester folgt ihm präzise, makellos. Wie schön, dass Guggeis auch das orchestrale Parfüm nicht zu kurz kommen ließ. Die Symphonia domestica ist ja kein Rechenschaftsbericht, sondern ein szenisches Kammerspiel mit orchestraler Übergröße – eine Art sinfonische Sitcom mit Fugentechnik.

Im ersten Teil stellt Strauss die Familie vor: den Vater (mehrfach codiert), die Mutter (wechselhaft, charmant, etwas reizbar) und den Sohn (schlafend, träumend, quengelnd). Guggeis zeichnet das mit feiner Hand. Als das turbulente Scherzo – das „Kinderstubenidyll“ – losbricht, ließ Guggeis das Orchester auch entgleisen. Herrlich dieses dissonante Chaos, ein bisschen Unordnung im Wohnzimmer der Töne, weil Bubi (der Sohn Franz) ungeduldig wurde.

Das Adagio gelingt hinreißend. Abendstimmung, Träumerei, Wiegenlied – Solocello und Violine singen, als hätten sie das Cello aus dem Saint-Saëns direkt herübergerettet. Und dann diese berüchtigten Liebesszenen zwischen Vater und Mutter – Strauss nannte sie scherzhaft „der Papi brav und der Papi böse“. Guggeis bleibt hier nicht nobel zurückhaltend, sondern zeigt die intensive Leidenschaft der Eheleute beim Liebesspiel, ganz ohne Samthandschuh.

Das Finale – Doppelfuge, Streit, Versöhnung – ist orchestrale Akrobatik. Das Orchester, in Hochform, meistert die Fugen mit gläserner Klarheit. Das Gezänk der Eheleute wird in der entsprechenden Wildheit plakativ ausgetragen. Am Ende aber gelingt die Versöhnung in einem gewaltigen Klangbogen, der fast zu schön ist, um häuslich zu sein. Und natürlich hat das letzte Worte der große Richard. Die vier wuchtigen Schlussakkorde dehnt Guggeis überdeutlich, so als würde Strauss sich mit einem zufriedenen Lächeln in seinen Sessel fallen lassen!

© Diana Hillesheim

Frankfurt kann einmal mehr Stolz auf sein wunderbares Orchester sein. Die knapp 100 Musikerinnen und Musiker zeigten sich von ihrer besten Seite. Mit erlesener Klangschönheit und hingebungsvollen Soli beschenkte der Klangkörper sich und das begeisterte Publikum. Thomas Guggeis hält das alles zusammen, mit klarem Kopf und gutem Geschmack. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester ist ohnehin ein Glücksfall: Erfahrung, Klangkultur, Disziplin, aber auch hingebungsvolle Spiellust.

Und da steht man dann, in der Alten Oper, zwischen drei Welten: Mel Bonis – eine Frau, die komponierte, als hätte sie gewusst, dass sie später vergessen wird. Camille Saint-Saëns – ein Mann, der Eleganz mit Eitelkeit verwechselte und trotzdem Meisterwerke schuf. Richard Strauss – der seine Familie so ernst nahm, dass er sie in Partiturform bannte.

So bleibt dieser Abend als lebendige, kostbare Erinnerung stehen: an eine Komponistin, die endlich wieder gehört wird; an ein Cellokonzert, das lebendig bleibt, wenn man es ernst nimmt; und an einen Strauss, der zu Unrecht als Selbstverliebter gilt, obwohl er nur – nun ja – sehr genau wusste, wie Liebe klingt.

Dirk Schauß, 22. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

FOM, Maxim Lando, Klavier, Cornelius Meister, Dirigent Alte Oper Frankfurt, 29. September 2025

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