Archiv Staatsoper Unter den Linden © Monika Rittershaus
Dass nicht jede Oper sich problemlos in eine andere Epoche versetzen lässt, zeigt sich an der Produktion der Oper “Roméo et Juliette” an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Die Regisseurin Mariame Clément scheitert bei ihrem Versuch, die Handlung der Liebesgeschichte nach Shakespeare in die heutige Zeit zu verlegen. Die Rettung des Abends erfolgt wieder einmal durch die musikalische Seite, auch wenn hier nicht alles perfekt ist. Lisette Oropesa begeistert allerdings das Publikum mit ihrer Interpretation der Juliette.
Charles Gounod
ROMÉO ET JULIETTE
Drame lyrique in fünf Akten (Text: Jules Barbier und Michel Carré)
Musikalische Leitung: Francesco Ivan Ciampa
Staatskapelle Berlin
Inszenierung: Mariame Clément
Bühne & Kostüme: Julia Hansen
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 1. November 2025
von Jean-Nico Schambourg
Ein moderner Pavillon, ein einfaches Klassenzimmer, ein Teeny-Schlafzimmer, eine Sporthalle und zum Schluss eine kalte Leichenhalle. Das ist die Umgebung in der die Geschichte des Liebespaares aus Verona sich in der Inszenierung von Mariame Clément abspielt.
Als Rahmenhandlung kommt noch ein Kinosaal am Anfang und am Ende der Oper dazu. Theater im Theater! Nicht mehr sehr originell!
Doch nicht nur die Umgebung erfindet die Regisseurin neu (Bühne und Kostüme sind von Julia Hansen), auch die Personen bekommen eine neue Orientierung. Hier gibt es keinen Krieg zwischen zwei Familien, sondern eher einen kleinen Zwist zwischen den reichen Capulets und den proletarischen Eindringlingen, den Montagues.
Aus dem Geistlichen Frère Laurent wird ein Religions- und Mathelehrer, allerdings mit Befugnis Ehen zu segnen?! Stéphano, der junge Freund von Roméo wird, gemäß Erklärungen der Regisseurin im Programmheft, binär umgepolt!
Nach dem Mord an Tybalt wird Roméo vom Herzog aus der Stadt verbannt! In der heutigen Zeit werden Verbannungen nicht mehr verhängt, leider auch nicht gegen Regisseure, die wie hier der Fall, krampfhaft versuchen, die eigenen Visionen einer berühmten Liebesgeschichte auf die Bühne zu zwingen. Das hat geklappt mit der West Side Story, nur hat Leonard Bernstein dazu eine neue Geschichte mit genialer Musik geschrieben.
Charles Castronovos Romeo passt vom Auftreten her gut in diese moderne Vision der Regisseurin. Er erinnert vom Schauspiel, aber auch vom Singen her allerdings eher an Tony aus Bernsteins West Side Story. Anders als gewohnt bringt er ein baritonales Timbre in diese Rolle ein, was seinen Roméo draufgängerischer erscheinen lässt als üblich. Leider geht ihm das Feingefühl und die nötige Eleganz im Vortrag für diese romantische und typisch französische Partie verloren. Seine Tongebung ist gaumig und in den Höhen klingt er öfters angestrengt. Seine besten Momente hat er, wenn er Roméos Verzweiflung an Juliettes Bahre besingt.

Seine Partnerin Lisette Oropesa als Juliette ist da aus anderem Holz geschnitzt. Mit ihren blauen Haaren und verbleichten Jeans wird sie von der Produktion visuell nicht gerade bevorteilt. Man glaubt ihr aber ihr aufmüpfiges Teenygehabe, mit dem sie sich gegen die ungeliebte Hochzeit mit Pâris wehrt. Stimmlich kann sie auf jeden Fall alle Erwartungen erfüllen. Sowohl in den lyrischen Passagen, als auch in den dramatischen Momenten der Oper wartet sie mit guter Stimmführung und perfekter Diktion auf. Die Vokalisen der Juliette in der berühmten Arie “Je veux vivre” erklingen leicht und Glocken-klar. Wenn Juliette den Schlaftrunk schlucken soll, kann sie deren Angst vor der Ungewissheit der Wirkung und den Folgen glaubhaft übermitteln. Ein tolles Portrait, das vom Publikum mit großem Applaus belohnt wurde.
Mit warmer Stimme gibt Renato Girolami den Frère Laurent. Rebecka Wallroth verleiht dem Stéphano ihre jugendliche Stimme, Jaka Mihelač dem Mercutio sein rebellisches “Punk”-Temperament.
Alle kleineren Rollen werden von ihren Interpreten dem zu erwartendem Niveau des Berliner Opernhauses entsprechend gut vorgetragen: Maciej Kwaśnikowski als Tybalt, Irakli Pkhaladze als Pâris, Arttu Kataja als Capulet, Dionysios Avgerinos als Grégorio, Hanseong Yun als Herzog. Marina Prudenskaya ist sich nicht zu schade für Gertrude und macht aus ihrer kleinen Rolle eine bemerkenswerte Kompositionsfigur.
Auch die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Francesco Ivan Ciampi spielt vorbildlich und beschert den Sängern einen feinen Klangteppich. Der Staatsopernchor, vorbereitet von Gerhard Polifka, singt kraftvoll und präzise.
Jean-Nico Schambourg, 2. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Liederabend Asmik Grigorian Staatsoper Unter den Linden, 21. Oktober 2025