Chiara Scarrone (Aurora) und Lucas Erni (Désiré) (Foto: RW)
Tänzerisch beeindruckte neben Lucas Erni als Désiré vor allem Sophie Martin als froschfüßige dreizehnte Fee bzw. Carabosse. Ihr Pas de deux mit dem erwachsenen Désiré war wohl der tänzerische Höhepunkt des Ballettabends.
Dornröschen, Ballett von Bridget Breiner
Bühne und Kostüme: Jürgen Franz Kirner
Musik von Peter Tschaikowsky, Bearbeitung und Neukomposition von Tom Smith
Düsseldorfer Symphoniker, Leitung: Yura Yang
Opernhaus Düsseldorf, Ballett am Rhein,
Uraufführung am 15. November 2025
von Dr. Ralf Wegner
Bridget Breiner greift für ihr Düsseldorfer Ensemble auf die Dornröschenversion der Gebrüder Grimm zurück und überzeugt mit einer froschfüßigen grünen Fee (Sophie Martin), die einzig in der Lage ist, der Königin den Kinderwunsch zu erfüllen. Dass nicht sie, sondern 12 andere Feen, weise Frauen genannt, zur Taufe Auroras eingeladen werden, verletzt sie verständlicherweise tief.
Außerdem hat die grüne Fee alias Carabosse noch einen Sohn, Désiré, der später mit Aurora durchbrennt. Dieser sitzt schon als kleiner Junge ab Öffnung des Zuschauerraums vor dem Vorhang und beobachtet das Publikum. Später greift er unter Anleitung des Erzählers (Alejandro Azorín) in die Handlung ein und versucht zu verhindern, dass seine Mutter der neugeborenen Aurora Böses antut.
Breiner folgt weitgehend der Märchenhandlung, Aurora sticht sich mit 15 Jahren an der Spindel. Zuvor hatte sich schon Désiré beim Rosenadagio um sie bemüht, allerdings mehr oder weniger erfolglos. Auch er verfällt dem hundertjährigen Schlaf, von seiner Mutter behütet.
Nach Ablauf der Zeit sucht die Fliederfee Helden, die den Dornenwald durchdringen sollen. Désiré gelingt es. Aurora wacht nach Ablauf der Zeit fast von allein beim Weckerrasseln auf. Beide tanzen miteinander und verlassen im Laufe des abschließenden Freudenfestes den Ball, offenbar in eine ungewisse Zukunft.
Deutlich aufgewertet wird die Rolle der Königin (Balkiya Zhanburchinova). Nicht der König (Orazio Di Bella), sondern sie verfügt über (männliche) Bedienstete. Breiner zeigt auf der Bühne auch, was sonst schamhaft übergangen wird. Nicht der König, sondern die potentielle Mutter wird wegen des Ausbleibens der Schwangerschaft einer peinlichen körperlichen Inspektion durch drei Ärzte unterzogen.
Getanzt wurde vorzüglich. Der von 2014 bis 2023 beim San Francisco Ballett engagierte, seit dieser Spielzeit zum Ballett am Rhein gehörende argentinische Tänzer Lucas Erni überzeugte als Désiré mit hohen Sprüngen und einem beeindruckenden Barrel Turn mit abschließender Tour en l’air beim großen Pas de deux. Der ebenfalls seit dieser Saison beim Ballett am Rhein aktiven Italienerin Chiara Scarrone, vorher tanzte sie seit 2011 beim Dresdner Ballett, war es als Aurora aber nicht vergönnt, ihm etwas Entsprechendes entgegenzusetzen.
Technisch unterlief Aurora, wohl gewollt, mögliche Anforderungen nicht nur beim Grand Pas de deux, sondern auch beim Rosenadagio im ersten Teil. Weder zeigte sie gedrehte Arabesken noch überzeugende Balancen, wie man sie bei einem klassischen Dornröschen erwarten würde. Dabei hätte sie die Möglichkeit gehabt. Denn die sie drehenden Prinzen waren als lustige Blaugekleidete (Kurz, Rund, Lang), als ihr königlicher Vater und auch als Désiré vorhanden. Während Lucas Erni als Désiré hingebungsvoll um Aurora warb, blieb diese gefühlig unterkühlt.

Zu Beginn des zweiten Teils war zunächst noch zu rätseln, ob es Aurora ist, die im Publikum um Helden nachsuchte. Es war aber die Fliederfee (Elisabeth Vincenti, genannt Fliederchen), die heftig um Désiré warb, der sie ständig von sich wies. Eine um die eigene Erlösung suchende Aurora hätte sogar Sinn gemacht: Ein Prinz, dessen Liebe nach 100 Jahren erloschen ist und eine Aurora, die zu spät ihre Liebe erkennt. So war es aber nicht. Letztlich blieb unklar, warum sich Aurora und Désiré bei Bridget Breiner am Ende als Paar noch finden.
Tänzerisch beeindruckte neben Lucas Erni als Désiré vor allem die französische Tänzerin Sophie Martin, ehemalige Erste Solistin beim Schottischen Ballett, als froschfüßige dreizehnte Fee bzw. Carabosse. Ihr Pas de deux mit dem erwachsenen Désiré war wohl der tänzerische Höhepunkt des Ballettabends.

Désiré durfte Mann sein; neben den drei komischen Blaugekleideten, unter denen besonders der dick in Watte gepackte Skyler Maxey-Wert (Rund) mit hohen Sprüngen Freude bereitete, hatte die Choreographin mit Männern bzw. männlichem Verhalten dagegen wenig am Hut. Genauso wie der Erzähler, zumindest anfangs, mit einem effeminierten Bewegungsmuster auffiel, taten es ihm die sechs männlichen Bediensteten der Königin gleich. Man merkt es, Männer sind blöd und Frauen weise. Deshalb traten die 12 Feen auch besonders dominant auf.
Was von Publikumsseite doch etwas störte, waren die bei jeder sich bietenden Gelegenheit einsetzenden Beifallsbekundungen, was so manche romantische oder idyllische Stimmung trübte. Am Ende gab es Ovationen im Stehen für die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts am Rhein, darunter auch für den kleinen Désiré (Jonas Klöcker) und die kleine Aurora (Matilda Staigis).
Dr. Ralf Wegner, 17. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Tokyo Philharmonic Orchester, Myung-Whun Chung, Dirigent Tonhalle Düsseldorf, 11. November 2025
#IGNITION, Gordon Hamilton, Dirigent Tonhalle Düsseldorf, 30. September 2025