Die Statisterie (Foto: RW)
Von einer kleinen Gruppe in den oberen Rängen wurde jede Sängerin und jeder Sänger konstant ausgebuht, auch der Dirigent Azim Karimov. Das sollte wohl weniger den Auftretenden als vielmehr grundsätzlich der Inszenierung gelten, die auf die aktuelle russische Politik reagierte und im Schlussbild mit Regenbogenfahne und der Abreise einer Ménage à trois aus Ruslan, Ljudmila und Ratmir endete.
Ruslan und Ljudmila
Große Zauberoper in 5 Akten von Michail Glinka
Handlung nach dem Poem von Alexander Puschkin
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung Azim Karimov
Solovioline Thomas C. Wolf
Inszenierung, Bühne und Kostüme Alexandra Szemerédy und M agdolna Parditka
4. Vorstellung seit der Premiere am 9. November 2025
Hamburgische Staatsoper, 27. November 2025
von Dr. Ralf Wegner
Bei der Premiere dieser Oper vor zwei Wochen waren wir noch sehr abgelenkt von der gegen den Strich gebürsteten Inszenierung und einem aufwendigen, aber hässlich-schmierigem Bühnenbild. Jetzt beim zweiten Sehen fielen die zahlreichen, musikalisch schönen Arien, Monologe, Chöre und sinfonischen Zwischenspiele auf. Den Anfang machte wieder Barno Ismatullaeva als Ljudmila mit der stark fordernden großen Arie im ersten Akt. Das Plus ihrer Stimme, die schöne und farbreiche Mittellage konnte sie hier weniger einsetzen, im Gegensatz zu der Todesarie im 4. Akt. Da passte alles, mit dem nötigen Schmelz und ausdrucksvoller Stimme gelangen ihr berührende Töne.
Der beste Sänger des Abends war wieder der Bass Ilia Kazakov. Mit welch schallstarker, auch noch in der Tiefe klingender und in der Höhe balsamischen Wohllaut verströmender Stimme er die Pole Pole-Arie sang und auch später stimmlich auftrumpfte, war allein den zweiten Besuch der Oper wert. Auch Artem Krutko als Ratmir verstand es mit seinem farbreich modulierend eingesetztem Countertenor (auch als Alt verzeichnet) und schönen Schwelltönen für sich einzunehmen. Natalia Tanasii sang Gorislawa, die sich um Ratmir bemüht, der wiederum Ruslan anbetet. Angela Denoke war als Hexe Naina eingesetzt, Alexei Botnarciuc als Farlaf sowie Nicky Spence als Bajan und Finn. Die beiden letzteren halten im zweiten Akt doch recht langatmige Monologe, während Spence als Bajan zu Beginn und zum Ende der Oper auch liedartig, mehr lyrische Weisen zu singen hat. Ljudmilas Vater Swetosar wurde verlässlich von Tigran Martirossian gesungen.
Musikalisch hat Glinka fast allen Beteiligten große Arien zugebilligt, mit Ausnahme der Hexe Naina, mit der Angela Denoke noch einmal ihr schauspielerisches Talent zum Ausdruck bringen konnte. Früher war sie eine der ganz großen Sopranistinnen, die neben der Marschallin oder der Arabella auch im Wagnerfach zu Hause war. Wir hörten sie hier 1999 als Wozzeck-Marie, 2007 als Marschallin, 2011 als Kundry und u.a. 2012 als Venus/Elisabeth in Tannhäuser, alles waren unvergessliche Opernabende.

Leider war diese vierte Vorstellung recht schwach besucht. Das tat aber dem Schlussbeifall keinen Abbruch. Von einer kleinen Gruppe in den oberen Rängen wurde aber jede Sängerin und jeder Sänger konstant ausgebuht, auch der Dirigent Azim Karimov. Das galt wohl weniger den Auftretenden als vielmehr grundsätzlich der Inszenierung, die auf die aktuelle russische Politik reagierte und im Schlussbild mit Regenbogenfahne und der Abreise einer Ménage à trois aus Ruslan, Ljudmila und Ratmir endete.
Wahrscheinlich bedarf es einer dritten Aufführung, um die musikalischen Schönheiten von Glinkas Partitur richtig erfassen zu können, meiner Erinnerung nach waren es bei der jetzigen Aufführung folgende:
Erster Akt: Ouvertüre / Gesang des Bajan, Tenor / Arie der Ljudmila, Sopran / Verwandlungsmusik
Zweiter Akt: Ballade des Finn, Tenor / Monolog des Farlaf, Bass / Arie Pole Pole und Szene des Ruslan, Bass
Dritter Akt: Chor der persischen Zaubermädchen / Arie der Gorislawa, Sopran / Arie des Ratmir, Countertenor / Gesang Ruslans / Quartett Ruslan, Ratmir, Gorislawa und Farlaf
Vierter Akt: Todesarie der Ljudmila / Sinfonische Zwischenspiele /
Fünfter Akt: Gesang des Bajan

Die musikalische Schönheit dieses Werkes steht außer Frage. Formal handelt es sich um eine Zauberoper, inhaltlich um Liebesentwicklungen bei drei Paaren, dem Ritter Ruslan und der Fürstentochter Ljudmila, Ruslans Freund, dem Chasarenfürsten Ratmir und dessen Sklavin Gorislawa sowie den zaubermächtigen, in die Handlung eingreifenden Magier Finn und Naina. Finn liebt Naina, die ihn abweist. Als sie ihren Fehler erkennt, ist sie zu alt, um Finn noch zum Bund zu bewegen. Gorislawa kämpft um Ratmir, der sich zu Ruslan hingezogen fühlt und Ljudmila weiß wohl noch nicht so recht, ob und an wen sie sich binden soll.
Diese Konstellationen lassen so manche inszenatorische Interpretationen zu, auch ohne den Märchencharakter des Werkes zu demontieren. Dem Regieteam Szemerédy und Parditka ging es aber offensichtlich vor allem darum, auf aktuelle gesellschaftspolitische Verwerfungen in Russland hinzuweisen und im Schlussbild sexuelle Vielfalt und Diversität siegen zu lassen.
Selbst das ist nicht das grundlegende Problem dieser Inszenierung, sondern mit voller Absicht die Schönheit des Kompositorischen mit Kälte, Hässlichkeit und Schmierereien zu konterkarieren. Warum wird optisch alles so negativ dargestellt? Warum muss der Bänkelsänger Bajan und spätere Zauberer Finn von Anfang an so aussehen, als ob er Seife nur aus der Ferne gesehen hätte und warum tritt Ruslan von Anfang an wie ein hergelaufener Herumtreiber auf?
Wenn Magdolna Parditka im Programmheft Streetart und Graffiti „für eine Form des stillen Widerstands“ hält, der zum „Nachdenken“ anrege und „als Projektionsfläche der Sehnsüchte“ diene, vertritt sie damit vermutlich nur die Meinung einer klitzekleinen Minderheit und bedenkt nicht, das Schmutz und Schmierereien, wie sie, auch in Hamburg, öffentliche Räume und Gebäude in einem erheblichen Maße verunstalten und beschädigen, wohl von keiner noch so liberalen Gesellschaft gut geheißen werden. Und den Künstler Banksy als Apologeten eines „gesellschaftlichen Protestcharakters“ heranzuziehen, wie sie es in ihrem Beitrag tut, verkennt, dass es sich bei dem auf dem internationalen Kunstmarkt hochgehandelten Banksy allenfalls um einen individuellen, aber eben nicht gesamtgesellschaftlichen Protestler handelt.
Im Übrigen sind Bilder von Banksy wie das auf die Rückwand des Hochzeitssaals aufgebrachte Graffito Girl with Balloon für sich allein schon aussagekräftig genug. Warum bedurfte es dann noch der zahllosen Schmierereien in dem Metro-Bahnhof, die mit künstlerischem Ausdruck nun überhaupt nichts zu tun haben.
Dr. Ralf Wegner, 28. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ruslan und Ljudmila, Große Zauberoper von Michail Glinka Hamburgische Staatsoper,
Michail Glinka, Ruslan und Ljudmila Hamburgische Staatsoper, 9. November 2025, PREMIERE