Foto: © Matthias Heyde
Kammermusiksaal der Philharmonie, Berlin, 17. Oktober 2018
Johann Sebastian Bach: Jesu, meine Freude
Arnold Schönberg: Friede auf Erden
Roderick Williams: World Without End – Von Ewigkeit zu Ewigkeit
RIAS Kammerchor Berlin
Sheridan Ensemble
Justin Doyle, Dirigent
Ausstrahlung des gesamten Konzertmitschnitts am 18.10.18 ab 20:03 Uhr im Deutschlandfunk Kultur
von Gabriel Pech
1918 – 1948 – 2018 lautet das Motto des Festkonzerts zum 70-jährigen Bestehen des RIAS Kammerchors. Das verbindet das Ende des Ersten Weltkriegs, das Gründungsjahr des Kammerchors und die Gegenwart. Auf der einen Seite feiern wir also einen festlichen Anlass, auf der anderen Seite gedenken wir der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Das Programm will genau dies verbinden: Johann Sebastian Bachs festliche Motette Jesu, meine Freude, Arnold Schönbergs letztes tonales Werk op. 13 Friede auf Erden und schließlich das Kernstück des Abends: Ein Auftragswerk des gefeierten Baritons und Komponisten Roderick Williams World Without End – Von Ewigkeit zu Ewigkeit, in dem sich Williams mit dem ersten Weltkrieg befasst. Der Chor unter Justin Doyle glänzt in seinen Lieblingsgenres, die seit der Gründung zu seinen absoluten Stärken gehören: Barock, Romantik und zeitgenössische Musik.
Eine selbstverständliche Präzision lässt Justin Doyle den Raum, Bachs Motette mit Leben zu füllen und bis ins kleinste Detail auszureizen. Sein Dirigat ist schwungvoll und energetisch, was sich spürbar auf die Sängerinnen und Sänger überträgt. Besonderen Nuancen versetzt er den nötigen Charakter, so zum Beispiel „Laß den Satan wittern“ mit einer mitreißenden Stringenz. Die facettenreiche Klangwelt des RIAS Kammerchor kommt durch Bachs kontrastierende Behandlung der einzelnen Strophen besonders zur Geltung.
Ganz anders darauf der Friede auf Erden, das spätromantische Werk Schönbergs mit einem erkennbaren Drängen zur Atonalität. „Hast Du Deinen Chor überhaupt schon gehört? Weißt Du denn selbst, wie schön er ist? Unerhört!“, schrieb Anton Webern seinerzeit an seinen Lehrer Arnold Schönberg. Ähnliches lässt sich an diesem Abend über den RIAS Kammerchor sagen. Die spätromantische Fülle des Werks drücken sie mit nahezu philharmonischem Klang aus, während auch noch die zwischentönigen Nuancen zur Geltung kommen. Besonders die Tenöre glänzen mit einem kernigen und gebündeltem Klang. Die Soprane scheint die fulminante Anlage des Werkes zeitweise zu überfordern, in den Höhen sind sie manchmal etwas flach.
Für das Kernstück des Abends schließt sich das Sheridan Ensemble an. Die Abendbesetzung gleicht einer Flamenco-Band mit Trompete, Klarinette, Gitarre, Schlagzeug, Akkordeon und weiteren. Ihr Aushängeschild ist das überwinden von Barrieren zwischen den verschiedenen Musikgenres. Genau das ist auch Roderick Williams‘ Ästhetik. Der gefeierte Bariton und Komponist liebt es „Radio zu hören ohne zu wissen, was als nächstes kommen wird.“ Das spiegelt sich in seinem Werk World Without End wider. Es ist eine kontrastierende Stilcollage sowohl in der Musik als auch in den verwendeten Texten. Tagebucheinträge der Kriegswitwe Helen Thomas unterbrechen Gedichte deutscher Autoren aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.
Musikalisch liefert Williams sowohl zeitgenössische, vom reinen Gestus getriebene Komposition bis hin zu Tango. All das durchdringt der warme Prosatext von Helen Thomas, der sich musikalisch durch Reibungen mit dem Anklang an Jazzharmonien auszeichnet. Klanglich kann der RIAS Kammerchor hier brillieren. Die verschiedenen Stile scheinen ihnen alle auf den Leib geschneidert zu sein, vor allem für zeitgenössische Musik ist die Klanqualität ideal. Auch die Diversität des Ausdrucks ist bezeichnend.
Als Zugabe nach einem enthusiastischen Applaus gesellt sich Roderick Williams selbst dazu. Es erklingt Schuberts Du bist die Ruh, arrangiert für Kammerchor und Sheridan Ensemble. Es ist der perfekte Abschluss eines perfekten Abends mit einer in sich ruhenden Energie und umwerfender Emotionalität. Eine Energie, die sich seit nunmehr 70 Jahren hält und den RIAS Kammerchor zu einem der besten der Welt macht.
Ausstrahlung des gesamten Konzertmitschnitts am 18. Oktober 2018 ab 20:03 Uhr im Deutschlandfunk Kultur
(im Nachhinein über die Mediathek abrufbar).
Gabriel Pech, 18. Oktober 2018,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at