Foto: © Monika Rittershaus
Hamburgische Staatsoper, 9. November 2018
Robert Schumann, Szenen aus Goethes Faust
von Leonie Bünsch
Diese Inszenierung wirft Fragen auf – die Oper aber auch. Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ sind wirklich schwer zugänglich. Das liegt einerseits am Text, zum anderen an der Zusammenstellung der „Faust“-Szenen, die zum Teil fragmentarisch zusammengewürfelt scheinen. Achim Freyer, der für die Inszenierung verantwortlich ist, sagte über das Werk: „Wir haben es hier nicht mit einer Oper zu tun. Womit, kann ich auch nicht sagen.“ Tatsächlich stellt das die erste Zugangshürde dar: Mit welcher Gattung haben wir es hier zu tun? Ist es Oper, Musiktheater, Oratorium?
Schumann selbst scheint sich ebenfalls schwergetan zu haben mit der Gestaltung des Werkes. Neun Jahre hat er sich mit der Komposition gequält, die Uraufführung der vollständigen Fassung erlebte er gar nicht mehr mit. Seinen Arbeitsprozess begann er mit dem Schluss, der dritten Abteilung, in der Fausts Verklärung behandelt wird. Hier dominiert der Chor das musikalische Geschehen, was dem Werk den oratorischen Charakter verleiht.
In den Jahren darauf fügte Schumann noch die erste und zweite Abteilung hinzu, in denen jeweils Gretchen und Faust als Figur ins Zentrum gerückt werden. Die Ouvertüre komponierte Schumann auf Anraten von Franz Liszt. So setzt sich Schumanns Werk aus drei zentralen Themen der „Faust“-Werke zusammen. So weit könnte man noch folgen. Die Texte, die er ausgesucht hat, scheinen jedoch so bruchstückhaft, dass man dem Inhalt nur mit Mühe folgen kann. Eine wirkliche Handlung gibt es entsprechend auch nicht – ein Umstand, der es äußerst schwierig machen dürfte, das Werk auf eine Opernbühne zu bringen.
Achim Freyer hat es dennoch getan: in einer intelligenten, durchdachten, jedoch rätselhaften Inszenierung. Alles ist hier anders. Chor, Orchester und deren musikalischer Leiter Kent Nagano sind im hinteren Teil der Bühne, hinter einem durchsichtigen Vorhang angesiedelt. Versteckt aber doch sehr präsent. Solisten und Darsteller wirken im vorderen Teil der Bühne. Diese wird nicht nur durch den Vorhang geteilt, sondern auch durch ein Bild von Caspar David Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer – ohne Kopf. Der Wanderer, der den Zuschauern den Rücken zukehrt, blickt auf den Ursprung der Musik, auf das Schöne. In seinem Rücken sieht man laut Frey jedoch „das Elend der Welt“.
Die sogenannten „Requisiteure“ legen dort unaufhörlich Gegenstände ab und sammeln sie wieder ein. Alles in Zeitlupe. Was es mit den Gegenständen auf sich hat, das weiß man nicht. Sie reichen von Alltagsgegenständen (Schubkarre, Regenschirm, Schaufensterpuppe) über musikalisches Equipment (ein blaues Cello, ein Metronom) bis hin zu geometrischen Figuren. Welche Symbolkraft dahintersteckt, bleibt wohl der Fantasie der Zuschauer überlassen.
Ansonsten geschieht aber nicht viel auf der Bühne. Zwar ist ständig jemand in Bewegung, und der Zuschauer kann auf viele Details achten, aber die Sängerinnen und Sänger benötigen in dieser Inszenierung nicht viel schauspielerisches Talent. Sie agieren eher statisch, mal vor, mal hinter dem Vorhang. Und das entpuppt sich nach und nach als gelungene Idee. So rückt die herrliche Musik Schumanns in den Fokus. Es ist vielmehr ein Werk zum Hören denn zum Schauen.
Und beim Hören kommen nun die umwerfenden Stimmen zum Tragen. Da gibt es an diesem Abend in der Hamburgischen Staatsoper fast nichts zu meckern – im Gegenteil! Allen voran Christian Gerhaher (Faust, Pater Seraphicus, Dr. Marianus) begeistert durch seinen weichen Bariton-Klang, bei dem jeder Ton sitzt – selbst im Liegen noch. Er ist energetisch, expressiv, und er artikuliert so deutlich, dass wirklich jedes Wort zu verstehen ist. Seine Arie als Dr. Marianus ist zum Dahinschmelzen, so samtig-weich singt er sie. Herrlich!
Auch Christina Gansch (Gretchen, Not, Seliger Knabe, Una Poenitentium) hat eine große Stimme. Mit ihrem warmen Timbre und ihren diversen Klangfarben bringt sie Verliebtheit, Schmerz und Verzweiflung so authentisch rüber, dass man ihr jede Rolle abnehmen könnte. Trotz ihrer zarten Person hat sie eine ungeheure emotionale Wucht.
Und so kann man fortfahren mit den Solisten: Von Franz-Josef Selig (Mephisto, Pater Profundus, Böser Geist), der mit seinem sonoren, vollmundigen Bass tief beeindruckt bis zu Narea Son (Marthe, Sorge, Jüngerer Engel, Seliger Knabe, Magna Peccatrix), deren glockenreiner Sopran leicht und blitzsauber durch die Lüfte schwebt. Einzig Norbert Ernst (Ariel, Pater Ecstaticus, Vollendeter Engel, Jüngerer Engel) fällt vom allgemeinen Niveau ab. Seine eigentlich weiche Tenorstimme klingt etwas zu dünn und erreicht das Publikum kaum. Insgesamt ist es jedoch eine Top-Besetzung, die an diesem Abend in Hamburg zusammen kommt. Ein einziger Genuss!
Die Bühne durch einen Vorhang zu teilen – und das Orchester und den Chor auf der Bühne zu platzieren –, entpuppt sich als heikles Unterfangen. Wie gut die Idee auch sein mag, so bedauerlich ist der zum Teil eher dumpfe Klang, der durch den Vorhang unvermeidbar ist. Das Orchester, das abgesehen von einigen Unsauberkeiten in den Bläsern, ordentlich spielt, leidet vermutlich am wenigsten darunter. Durch den Vorhang wird immerhin eine dynamische Balance zwischen Orchester und Solisten gewährleistet. Der Chor jedoch, der wirklich großartig und voller Energie seine großen Partien meistert, hätte einen klareren Klang verdient.
Dennoch kommt diese hinreißende Musik Schumanns an diesem Abend durch die zwar komplexe, aber dennoch sparsame Inszenierung Freyers, glänzend zur Geltung. Das Publikum ist zwar leider nur spärlich besetzt, aber der Applaus trotzdem voller Begeisterung. Den Bravo-Rufen kann man sich nur anschließen.
Leonie Bünsch, 10. November 2018, für
klassik-begeistert.de