Orchestre Métropolitain de Montréal / Kantorow / Nézet-Séguin © Carlos Suárez / Wiener Konzerthaus
Eingebettet zwischen zwei Beethoven-Konzerten unter Jordi Savall brachte man den phantastischen Dirigenten Yannick Nézet-Séguin wieder in das Konzerthaus und damit auch das großartige kanadische Orchester zu einem exzellenten Debüt. Und dass man mit dem jungen Pianisten Alexandre Kantorow eine Weltentdeckung machen konnte, gab dem Abend eine gewisse Würze
Wiener Konzerthaus, 25. Juni 2025
Maurice Ravel: La Valse (Mouvement de valse viennoise)
Barbara Assiginaak: Eko-Bmijwang (“As Long as the River Flows”)
Camille Saint-Saëns: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-moll op. 22
Peter Iljitsch Tschaikowsky: Symphonie Nr. 6 h-moll op. 74 „Pathétique“
Orchestre Métropolitain de Montréal
Alexandre Kantorow Klavier
Yannick Nézet-Séguin musikalische Leitung
von Herbert Hiess
Es erinnerte stark an 2012, wo man in Grafenegg, mit dem noch unter Daniel Trifonov benannten Pianisten einen baldigen Weltstar vor sich hatte. Und so wird es auch mit allergrößter Wahrscheinlichkeit mit dem jungen französischen Pianisten Alexandre Kantorow geschehen.
An diesem Abend im Wiener Konzerthaus zelebrierten er und das kanadische Spitzenorchester das zweite Klavierkonzert von Camille Saint-Saëns. Und man kann ohne Übertreibung sagen, dass dieses Konzert „außer schwer nur schwer“ ist. Diese drei Sätze beinhalten die allerschwierigsten Akkordzerlegungen und Läufe – doch für diesen Pianisten schien das absolut kein Problem zu sein.

Grandios, mit welcher Sicherheit und Gelassenheit er die allerschwierigsten Passagen meisterte, als ob es das Selbstverständlichste wäre. Und trotz dieser Schwierigkeiten erfüllte er jeden Takt, jede Passage mit Musik, mit Leben. Die Technik schien da nur ein Beiwerk zu sein; heraus kam eine der schönsten Aufführungen dieses zweiten Klavierkonzertes von Saint-Saëns. Nicht zu vergessen, das kanadische Spitzenorchester unter dem Maestro; hier war das keine Begleitung mehr, sondern eine symphonische Meisterleistung.
Als Zugabe gab Kantorow von Franz Liszt die „Litanei auf das Fest aller Seelen“ (nach Franz Schubert). Besser kann man ein Lied nicht interpretieren; da fehlte die menschliche Stimme kein bisschen.
Übrigens wurde dieses Klavierkonzert 1993 im gleichen Saal von Swjatoslaw Richter unvergleichlich gespielt; Alexandre Kantorow ist auf dem besten Wege, diesem Meisterpianisten zu folgen!

Das Konzertprogramm begann mit Maurice Ravels „La Valse“; einer Apotheose des Wiener Walzers. Gerade richtig für den Neujahrskonzertdirigenten 2026, der auch hier wieder bewies, dass er für diesen Milliarden-Publikum-Termin mehr als geeignet ist.
Bewundernswert, wie er das Riesenorchester wie ein gewaltiges Schiff leitete. Die Damen und Herren Musiker waren da voll in ihrem Element; konnten sie doch Ravels Sicht auf den Wiener Walzer traumhaft umsetzen.
Das erst 1981 durch Absolventen der Montréaler Konservatorien gegründete Orchester ist ein wahrer Glücksfall und lässt durchblicken, welch hohes Niveau die Musikausbildung in Kanada offenbar hat. In allen Instrumentengruppen perfekt (und vor allem hochmusikalisch), zeigte das Ensemble, dass es Weltklasseniveau hat.
Und mit Nézet-Séguin offenbar den richtigen Mann am Pult; damit haben die Musiker die Gelegenheit, ihr Können in den führenden Konzerthäusern der Welt zu demonstrieren.

Zum Überraschungsstrauß kam auch noch eine kurze Komposition der indigenen Komponistin Barbara Assiginaak, mit der Bezeichnung „As Long as the River Flows“. Trotz des Riesenorchesters klang diese Klangmalerei wunderbar transparent. Dieses fünfminütige Werk hatte keine richtige Form; es war mehr eine Aneinanderreihung von Klangfarben. Und so wunderbar gespielt, dass man richtig das Wasser des Flusses fühlte.
Als sogenanntes Hauptwerk war Tschaikowskys „Pathétique“ zu hören; eigentlich fürchtet man sich davor, wenn diese Symphonie am Programm steht. Nicht selten hat man das Stück mehr oder minder „abgedroschen“ erlebt. Aber hier schufen der Dirigent und die Montréaler Musiker ein Klangerlebnis der Sonderklasse. Es begann schon beim ersten Satz mit den Holzbläsern, wo die Streicher mit „col legno“ eindringlichst begleiteten (Anm.: col legno bedeutet, dass die Streicher sozusagen mit dem Bogen auf die Saiten klopfen).

Fast jeder Takt hatte eine Bedeutung; vieles wunderbar phrasiert – also alles in allem eine Aufführung, die man sich noch lange merken wird.
Das ganze Konzert war ein würdiger Abschluss für das Wiener Konzerthaus; mit den Neuentdeckungen des Pianisten Kantorow und dem Montréaler Orchester kann das Haus beruhigt in die Sommerpause gehen.
Herbert Hiess, 27. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Yannick Nézet-Séguin, Dirigent Wiener Konzerthaus, 19. März 2025