Kantorows Brahms verzaubert Kissingen

Alexandre Kantorow und Ensemble  Regentenbau Bad Kissingen, 15. Juli 2025

Alexandre Kantorow © Sasha Gusov

Draußen strahlen die sommerlich blühenden Blumen, im Saal zauberte ein Kammerensemble um den Pianisten Alexandre Kantorow die rauschhaften Klänge der Brahms-Klavierquartette herbei. Die vier Musiker zeigten sich völlig unbeeindruckt einer krankheitsbedingten Umkrempelung des Konzertprogramms und ließen das Publikum im Strudel dieser Musik baden gehen.

Kissinger Sommer
Internationales Musikfestival

Alexander Sitkovetsky, Violine
Lise Berthaud, Viola
Victor Julien-Laferrière, Violoncello
Alexandre Kantorow, Klavier

Werke von Johannes Brahms

Regentenbau Bad Kissingen, Rossini-Saal, 15. Juli 2025

von Johannes Karl Fischer

Vor dem Konzert mal wieder eine Ansage, diesmal sogar eine ordentliche Umkrempelung des Konzerts. Der ursprünglich geplante Violinist Renaud Capuçon war leider erkrankt, doch anstatt die Brahms-Violinsonaten mit „irgendeinem zufällig verfügbaren Geiger“ innerhalb Tagen oder gar Stunden einzuarbeiten hatte sich der Pianist Alexandre Kantorow für zwei Kammermusikwerke mit drei ihm musikalisch vertrauten Kollegen entschieden. Dann gibt’s halt Klavierquartette statt Violinsonaten.

Was für eine geniale Entscheidung! Das waren mit die besten, bewegendsten und rauschhaftesten zwei Stunden der Brahms’schen Kammermusik, die ich je erlebt habe.

Die musikalische Seele des Ensembles stürzte sich in die emotionalen Fluten des g-Moll-Quartets, spielte die langen musikalischen Melodien mit rührender Liebe voll aus. Fast flossen mir die Tränen… doch riss einen insbesondere das feurige Rondo alla Zingarese zurück in den Strudel der tanzinspirierten Musik und haute einen völlig vom Hocker. „Wahnsinn“, so meine Sitznachbarin nach Beginn der ersten Hälfte. Zurecht: Im leider nicht ausverkauften Rossini-Saal tobte ein Applaus um ein Vielfaches lebendiger als an 9/10 Repertoire-Abenden in der sechsmal so großen Hamburgischen Staatsoper…

Rossini-Saal © Hannah Becker

Aus diesem wunderbar gemeinsam spielenden, gar ineinander schmelzenden Ensemble ragte die musikalische Leistung des Pianisten Alexandre Kantorow wie ein Leuchtturm über die Bühne. Herr Kantorow ließ die Saiten seines Steinways mit beispielloser Brillanz im Saal resonieren. Mit makelloser Präzision holte er aus seinem Instrument die monumentalen Kräfte der Brahms’schen Klaviermusik heraus, seine Stimme fegte gänzlich umschwärmend mit voll klingenden Akkorden und virtuosen Oktaven durch den Saal. Trotzdem ließ er die Streicher ihre Melodien stets zauberhaft in der Partitur entfalten, eine meisterhafte Fusion aus solistischem und kammermusikalischem Können!

Diese Aufführung des g-Moll-Quartetts allein hätte für Furore gesorgt, wäre da nicht noch das deutlich umfangreichere, fast schon sinfonische A-Dur Quartett gewesen. Hier ließ das Ensemble den ganzen Klangzauber ihrer vier Instrumente wie auf einer sonnigen Blumenwiese abendlich blühend im Glanz von der Bühne strahlen und führte einen auf Wolke sieben dieser hoch expressiven Melodien.

Man fühlte sich wie inmitten des Klangozeans einer fünften – oder, besser gesagt, nullten – Brahms-Sinfonie. Insbesondere im langsamen Poco Adagio ließen die Musiker das Publikum die langen Atemzüge dieser Musik hautnah mitfühlen und die Klänge von den Tasten wie Saiten in den Saal perlen.

Schlussapplaus Bad Kissingen (Foto privat)

Auch jenseits ihres allesamt verzaubernden Gesamtklangs standen die drei eingesprungenen Streicher der pianistischen Paradeleistung um nichts nach. Besonders die Bratschistin Lise Berthaud stürzte sich mit Inbrunst und Eifer in ihre Stimme, liebevoll ließ sie die instrumental gesangsvollen Melodien von ihren Saiten schweben und an anderer Stelle die Bogenhaare von den fulminanten Läufen wortwörtlich zerreißen – passiert, ist normal. Der Violinist Alexander Sitkovetsky meisterte seine Melodien mit ebenso souveränen Klangbögen und ließ seine Stimme mühelos durch die Partitur schweben.

Als Zugabe gab es den langsamen Satz aus dem dritten Klavierquartett des gefeierten Komponisten. Hier kam insbesondere die glanzvolle Leistung des Cellisten Victor Julien-Laferrière nochmals strahlend zum Vorschein.

Die Krönung eines insgesamt herausragenden Brahms-Abends, den wohl kaum einer so erwartet hätte. Kann man die Musiker nicht öfter mal ihre Werke wählen lassen?

Johannes Karl Fischer, 16. Juli 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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