Thielemanns Bruckner-Zauber strahlt auch in Bad Kissingen

Kissinger Sommer, Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks Christian Thielemann, Dirigent  Bad Kissingen, Max-Littmann-Saal, 9. Juli 2023

Foto: Christian Thielemann, © Sächsische Staatskapelle Dresden / Matthias Creutziger

Auch in Bad Kissingen beweist sich Christian Thielemann wieder einmal als Bruckner-Gott seiner Generation. Draußen blühen bunte Blumen in schwitziger Sommerhitze, im Saal geht man im Bruckner-Klang baden und auf Orchesterwolken schweben. Das BR-Sinfonieorchester spielt wie verzaubert, Thielemanns Dirigat trifft das Orchester ebenso magisch wie das Publikum.

Regentenbau Bad Kissingen, Max-Littmann-Saal, 9. Juli 2023

Kissinger Sommer

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Christian Thielemann, Dirigent

Anton Bruckner: 5. Sinfonie B-Dur WAB 105


von Johannes Karl Fischer

Im vollgefüllten, gänzlich mit Holz geschmückten Saal einer unterfränkischen Kleinstadt herrscht schweigende Stille.  Christian Thielemann hat bei donnerndem Applaus das Podium betreten. Dieser Bruckner-Gott zaubert, ohne einen einzigen Ton anzuschwingen. Ein paar Momente Ruhe. Tief durchatmen. Die Seele abkühlen – draußen herrscht prallende Hitze. Nun kann man den Bruckner-Klang so richtig einsaugen. Thielemanns Zauber-Dirigat trifft das Publikum  mal wieder genauso magisch wie sein Orchester. 

Ein sanftes, cellistisches Zupfen lässt das Publikum im Bruckner-Himmel landen. Flöten fallen scheinbar schwerelos durch die Luft, der Chef am Pult herrscht wie ein omnipotenter Strippenzieher. Hier ein Hörnchen-Einsatz, dort ein paar schlummernde Streichertremoli. Alles bis aufs feinste Detail sauber geschliffen. Wie ein schleichendes Glücksgefühl ergreift einen der allmächtige Bruckner-Klang.

Und plötzlich, doch ganz sanft, völlig unmerklich, schwimmt man inmitten einer tiefblauen klanglichen Hochsee. Die Akustik des Saals schwingt in ihrer vollen Pracht, Posaunenchoräle schallen wie das Amen in der Kirche. Mit Christian Thielemann schwebt das BR-Sinfonieorchester in den zauberhaften Höhen des Romantik-Himmels!

Allein der erste Satz ist reich an bunten Klangfarben, als hätte man eben eine ganze Sinfonie gehört. Doch halt – das ist noch lang nicht zu Ende. Oh Glück! Im zweiten Satz geht das Schwärmen weiter, mächtige Bläser schweben über flimmernden Streichern. Das Paradies eines langsamen Adagios, als würde man wahrhaftig auf Wolke sieben schweben…

Und dann lässt Thielemann alle Gänge fallen, wenn er sein Orchester in das Scherzo stürzt. Der Klang in den Ohren, als würde man fliegen, völlig mühelos und frei durch die Gassen von Bruckners oberösterreichischen Geburtsort Ansfelden. Eine frische Landluft weht einem ins Gesicht. Das absolute Highlight des Konzerts: Die schwungvollen Accelerandi des Scherzos, die einen in den Strudel dieser Musik mitreißen wie in einen ländlichen Dorftanz auf dem österreichischen Lande.

Aus diesem Klangparadies will man einfach nicht wieder raus. Erst recht nicht aus diesem wunderbaren, kraftvollen Schlusssatz. Denn hier schallt der Bruckner-Klang wahrhaftig aus allen Ecken des Saals, umschwärmt die Ohren wie eine auf der Zunge zergehende Schokoladensauce. Thielemann spannt die Segel des Orchesters weit auf, wie von Gottes Hand geleitet schreitet sein Schiff durch die weiten Weltmeere.

Man spürt den Klang im ganzen Körper, die Musik steht im Raum wie die Luft in einer randvollgefüllten Orgelpfeife. Es gibt nicht magischeres, als ein majestätisches Kirchenschiff ganz alleine mit dem Klang einer mächtigen Orgel zu teilen. Der passionierte, gläubige Organist und Komponist erhebt diesen Zauber noch eine Stufe höher, grandioser, und das mitten im Konzertsaal!

Am Ende gibt es stehende Ovationen, allen voran für Christian Thielemann. Auch in Bad Kissingen beweist sich dieser Ausnahme-Dirigent wieder einmal als Bruckner-Gott seiner Generation. Draußen blühen bunte Blumen unter sommerlich strahlender Sonne. Im Saal geht man im Brucknerklang baden und auf Orchesterwolken schweben. Als bliebe die Zeit anderthalb Stunden lang stehen. Die Zeit, sie ist eben ein sonderbar Ding.

Johannes Karl Fischer, 10. Juli 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview mit Christian Thielemann von Kirsten Liese   klassik-begeistert.de, 4. Mai 2023

Pathys Stehplatz (30) – Saison 2023/24 in Wien: Mit Christian Thielemann kickt man den „Lohengrin“ aus der Stube klassik-begeistert.de, 29. April 2023

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