Wenn Anja Harteros singt, steht die Zeit still, und die Erde hört auf sich zu drehen

Anja Harteros, Giuseppe Verdi, Un Ballo in Maschera,  Deutsche Oper Berlin

Wie Anja-Harteros-Bewunderer Yehya Alazem den Auftritt der Star-Sopranistin in der Deutschen Oper Berlin erlebte

Nach einem kurzen Auftritt im ersten Akt hat Amelia in Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“ (Ein Maskenball) ihren großen Auftritt am Anfang des zweiten Aktes mit der großen Szene, die so viele Sopranistinnen fürchten. Anja Harteros, die beste Sopranistin der Welt in ihrem Fach, tritt auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin, im schwarzen Kleid und mit weißem Haarschal.

Nach dem Preludio des Orchesters beginnt das Rezitativ „Ecco l’orrido campo“, das Anja Harteros voller Spannung und Intensität singt. Die unerschöpfliche Energie in ihrer Stimme hört man in jedem Ton und Wort.

In der nachfolgenden Arie „Ma dall’aridostelo divulsa“ hört man in jeder Phrase ein balanciertes, traumhaftes Crescendo und dann das Forte im oberen Register – nachgefolgt von einem bis ins Pianissimo bezaubernden Diminuendo („quell’eterea“). Danach singt Anja Harteros ein unfassbares Legato in „che ti resta, perduto lamor“, als wäre alles nur ein einziger Ton, und das fabelhafte „che“ im hohen As erleuchtet den Saal wie Mondlicht. Die ganze Phrase schließt Harteros mit einem wunderschönen, warmen piano „mio povero cor“ ab. Das geht gerade ins Herz!

Nach den weichen Tönen vom Englischen Horn hört man Tränen in ihren Worten, wenn sie sensibel und ausdrucksstark singt, bevor ihre Stimme im großen Ausbruch „Ah! Che veggio?“ mit enormer Wut und Expressivität im Saal erstrahlt und den ganzen Raum erfüllt. Was für eine Spannung und Dramatik! Während der Kadenz am Ende der Arie hält das Publikum den Atem an.

Im dritten Akt singt Anja Harteros die Arie „Morrò, ma rima in grazia“ mit Leidenschaft und Ausdruckskraft. Ihre emotionale Gestaltungskraft und ihr mitteldunkles, warmes Timbre berühren zu Tränen. Das ist kein menschlicher Gesang, das ist etwas Göttliches. Wenn Anja Harteros singt, steht die Zeit still, und die Erde hört auf sich zu drehen. Etwas Besseres kann man in der Oper nicht erleben.

Yehya Alazem, 7. Mai 2018, für
klassik-begeistert.de

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