Alle Register ziehend: Bruckners „Phantastische“ in Weimar

Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105,  Staatskapelle Weimar  Weimarhalle, 16. Oktober 2022

Foto: https://commons.wikimedia.org/

2. Sinfoniekonzert

Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105

Staatskapelle Weimar
Markus Stenz, Dirigent

Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar, Weimarhalle, 16. Oktober 2022

von Elisabeth Tänzler

 Anton Bruckner durfte sie nie selbst zu Ohren bekommen – doch erreichte die Weimarer Staatskapelle, der momentan berechtigten Sorge um Verkaufs- und Besucherzahlen im Kulturbereich gegensteuernd, die Zuhörenden am gestrigen Abend in einer fast voll besetzten Weimarhalle. Mit Bruckners 5. Sinfonie läutet das bis ins Jahr 1491 Wurzeln tragende Orchester den zweiten Sinfoniekonzertabend der Spielzeit im holzvertäfelten congress centrum ein und lässt die folgenden 90 Minuten mühelos in kontrapunktischem Flug vergehen.

„Contrapunct ist nicht Genialität, sondern nur Mittel zum Zweck“, schreibt der Komponist in einem Brief vom 22. April 1893. Er selbst bezeichnet sein Werk als „kontrapunktisches Meisterstück“ – zu Recht. Denn nicht die kleinste Idee bleibt unausgeführt, jedes Motiv obliegt einer Entwicklung und fußt schließlich im fulminanten Finalsatz.

Die Staatskapelle führt mit viel Feingefühl die gebotene Dialektik differenziert aus – motivisches Material, welches durchaus als maßlos auskomponierte Stimmungsschwankung aufgefasst werden kann, wird mit einer enormen von der Dynamik unabhängigen Sensibilität musiziert. Der Elan und die Spielfreude an den ersten Pulten, besonders aber bei den Celli, tut ihr Übriges und erzielt nicht zuletzt, sondern bereits zu Beginn des Abends, fesselnde Pizzicato-Klänge gefolgt von spannungsgeladenen Tremoli.

Nach Größen wie Johann Sebastian Bach, Franz Liszt oder Richard Strauss steht nun Markus Stenz am Dirigierpult, der für den erkrankten Michael Boder einspringt und das Orchester mit großen Gesten durch den Abend führt. Die deskriptiv anmutenden Bewegungen ermöglichen der Staatskapelle einen musikalischen Raum, der hervorragend angenommen und ausgespielt wird und teilweise schwer nachvollziehbare Themenstränge klar erklingen lässt. Einzig das Scherzo, der dritte Satz des Abends, leidet ein wenig unter einer sich entwickelnden Eigenständigkeit – so laufen Streicher- und Bläsersatz im ersten Thema nicht vollständig simultan, was sich allerdings von Themenwiederholung zu Themenwiederholung erheblich bessert.

Einen langen Atem benötigen an diesem Abend allenfalls die Bläser. Mit vollem Choralklang entlässt der durchweg positiv auffallende Blechsatz das Publikum in völliger Begeisterung in den lauen Abend und lässt es mit Vorfreude das nächste Sinfoniekonzert erwarten.

Elisabeth Tänzler, 16. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

2 Gedanken zu „Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105, Staatskapelle Weimar
Weimarhalle, 16. Oktober 2022“

  1. Dieser vermaledeite Irrsinn fing doch schon letztes Jahr mit der Zensur von Tschaikowskys Nussknacker (damals aus Gründen von „Kultureller Anmaßung“ und angeblichem Rassismus) an:

    https://klassik-begeistert.de/daniels-anti-klassiker-43-pjotr-tschaikowsky-der-nussknacker-1892-klassik-begeistert-de/

    Nichts gelernt aus Faschismus und Stalinismus kann ich da nur sagen. Als ob unsere (jüngste) Geschichte nicht voll von Beispielen dafür wäre, warum Zensur IMMER ein falsches Mittel ist. Ich hätte echt gedacht, dass wir da als Gesellschaft weiter sind. Sind wir aber wohl nicht, wenn ich betrachte, was da unter dem Kampfbegriff „Political Correctness“ inzwischen aus den USA zu uns rüberschwappt und auch immer mehr Auswirkungen auf die (nicht nur klassische) Musikkultur hat.

    Daniel Janz

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