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„Laeiszhalle Orchester X Staatsoper Hamburg“, das ist seit Ende der 70er Jahren eine Erfolgsgeschichte, seinerzeit initiiert im Operettenhaus durch Ballettchef John Neumeier. Unter Chefdirigent Heribert Beissel begleiteten die Symphoniker Hamburg dann Ballettaufführungen am Dammtor. In den 80er bis Anfang der 90er Jahre bis zu 52 Vorstellungen pro Spielzeit einschließlich Opern wie Don Pasquale, Madama Butterfly, Zar und Zimmermann oder Il turco in Italia. Allein, was nützen derlei künstlerische Großtaten, wenn es sich nicht verkauft. Die Auslastung der Staatsoper lag an diesem Tag bei < 50%, gefühlt waren es maximal 40%. Tipp: Vielleicht nächstes Mal Dottore Dulcamara fragen, der weiß, wie man verkauft.
Gaetano Donizetti (1797 – 1848)
L’elisir d’amore
Libretto – Felice Romani
Uraufführung – 12. Mai 1832, Mailand (Teatro della Canobbiana)
Symphoniker Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Matteo Beltrami– Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühnenbild nach Jean-Pierre Ponnelle
Kostüme – Pet Halmen
Staatsoper Hamburg, 2. Juni 2024
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertexten
von Jörn Schmidt
Seit der Premiere am 18. Juni 1977 wird L’elisir d’amore an der Hamburger Staatsoper in einer Inszenierung nach Jean-Pierre Ponnelle gegeben. Das Bühnenbild ist ganz und gar herrlich, es versetzt zurück in die Zeit der Uraufführung. Zugleich erwartet man, dass jeden Moment Pavarotti und die Freni auf die Bühne steigen, aber das sind leider tempi passati. Die Botschaft ist unmissverständlich, man muss nicht jede Oper auf Krampf in die Jetztzeit katapultieren, und billigen, überzogenen Klamauk braucht es sowieso nicht.
Qualität bleibt das beste Rezept, erst recht im Theater. Wie schön, dass der scheidende Intendant Georges Delnon das auch so sieht und an der Inszenierung festhält. Es ist eben nicht so, dass nur politisches Regietheater Botschaften vermitteln kann. Die in diesem Falle lautet: Ehrlich währt am längsten. Mille grazie, Georges Delnon.
Gesanglich gelang die Rolle rückwärts nicht bzw. konnte nicht gelingen, Pavarotti und Freni lassen sich halt nicht ersetzen. Einspringerin Mariam Battistelli war dennoch ein Glücksfall, die Rolle der Adina liegt ihrem Sopran ähnlich gut wie die der Norina im Don Pasquale, wenn ihr Ausdruck auch hier und da etwas schrill geriet.
Seungwoo Simon Yang als Nemorino fiel der undankbarste Job von allen bei der heutigen Wiederaufnahme zu, hat man doch immer und immer wieder Pavarotti im Ohr. Gerade deshalb war es ein großartiger Auftritt des Tenors, besonders gut gelang der Wechsel zwischen betrunkener Burleske, Verliebtheit und Lauterkeit.
Tigran Martirossian hat einen unverwüstlichen Bass, der für viele Nuancierungen taugt. Auch in Dulcamara hat er sich trefflich hineingedacht. Olivia Boen (Sopran) gab Giannetta als bauernschlaues Bauernmädchen und der Chor der Hamburgischen Staatsoper trumpfte wie immer mächtig auf. Bei der Figur des Belcore ist jedes Mal spannend, wie man mit so einem schönherzigen Namen ein Aufschneider sein kann. Andrzej Filonczyk gab die Antwort mit viel Charme, da half sicherlich, dass er kein reiner Buffo-Bariton ist. Denn Belcore ist der einzige, der am Ende verbittert dasteht, und das gelingt Filonczyk mit viel Ernst in der Stimme.
Die eigentliche Überraschung spielte sich im Orchestergraben ab, denn dort saß, wenn man so will, auf jedem Stuhl ein Einspringer. Nicht das Hausorchester, also das Philharmonisches Staatsorchester Hamburg war gesetzt, sondern der Nachbar, das Laeiszhalle Orchester, die Symphoniker Hamburg. Hauptberuflich ein Konzertorchester, wenn auch mit Opernerfahrung. Kann das gutgehen? Immerhin unterscheidet man ja auch und nicht ohne Grund zwischen Operndirigenten und Konzertdirigenten.
Wenn Konzertdirigenten Ballett dirigieren, wird’s gar gefährlich. Da müssen interpretatorische Vorlieben zurückstehen, sonst hat die Ballerina Knoten in den Beinen, weil einfach zu flott dirigiert wurde.
Ähnliche Unfälle drohen den Sängern, wenn es nicht passt. Zu laut, zu schnell, Einsätze vermasselt: Ein Orchester kann im Handumdrehen zum größten Feind des Sängerensembles werden. Zum Glück stand Matteo Beltrami am Pult, noch jung an Jahren aber bereits ein erfahrener Operndirigent. In Hamburg dirigierte er diese Spielzeit mit großer Eleganz La Traviata und er versteht es, unterschiedliche Spielkulturen seiner Interpretation nutzbar zu machen, statt ein Orchester umerziehen zu wollen.
Die Symphoniker Hamburg haben nun mal von Haus aus einen eher dunklen und kompakten Klang mit einer Vorliebe für romantisches und, unter Sylvain Cambreling, auch modernes Repertoire. Während italienische Klangkörper heller abgetönt sind, was natürlich exzellent zu Donizetti passt. Beltrami machte sich die dunkle Seite des Orchesters geschickt zunutze, auch in einer opera buffa gibt es Abgründe. Wenn Dulcamara mit sattem Trompetenklang durchs Dorf zieht, dann wird sofort klar: Der Mann ist ein Quacksalber. Und dem Charakter des Nemorino steht es äußerst gut zu Gesicht, wenn das Orchester seine Ernsthaftigkeit unterstreicht.
Spannender war nur, ob den Symphonikern der Belcanto bzw. dessen Leichtigkeit im Blut liegt. Schon beim Blick in den Orchestergraben war klar, die Antwort lautet JA, wie auf einem Laufband stand auf der Stirn der Musiker: Belcanto macht gute Laune und der neuerliche Ausflug Spaß.
Beltrami war es bestens gelungen zu vermitteln, was die Zutaten für orchestralen Belcanto-Glanz sind, und wie man Bühnenunfälle vermeidet. Es gelang ein perlender Donizetti, im Orchesterspiel liegt stets ein Hauch temperamentvoll-eleganter Virtuosität, der von dunklen Durchbrechungen profitierte. Mille grazie, Matteo Beltrami.
Jörn Schmidt, 2. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gaetano Donizetti, L’Elisir d’Amore, Teatro La Fenice, Venezia, 19. Februar 2020
Der Name Jean-Pierre Ponnelle versetzt mich gedanklich in meine jungen Jahre in Düsseldorf, wo er zunächst bei Stroux (Nachfolger von Gründgens) Bühnenbildner und zunehmend auch Regisseur war. Ich erinnere mich auch an eine Uraufführung von „Die Nashörner“ von Eugène Ionesco.
1963 die erste Operninszenierung, auch in Düsseldorf, der Tristan. Ein entschlacktes Bühnenbild, nicht so radikal wie bei Wieland Wagner, und erinnere mich noch heute an besondere Szenen, so an fast den ganze 2. Aufzug mit einem zentralen Rosenhain. Gesungen wurde von Astrid Varnay, Set Svanholm, Grace Hofman, Randolph Symonette. Der Dirigent war Alberto Erede, sein Assistent ein gewisser Carlos Kleiber. Es war grandios!
J. Capriolo