Auf den Punkt 18: Zu viel Harmonie killt die Lust auf Musik

Auf den Punkt 18: Zu viel Harmonie killt die Lust auf Musik  28. Juni 2024

Martha Argerich © Daniel Dittus

Symphoniker Hamburg mit Gästen aus dem Royal Bangkok Symphony Orchestra

Sylvain Cambreling – Dirigent

Albrecht Mayer –  Oboe
Stefan Schweigert – Fagott
Adrian Iliescu - Violine
Gil Shaham - Violine
Edgar Moreau –  Violoncello
Christoph Heesch -  Violoncello
David Kadouch -  Klavier
Akane Sakai -  Klavier

Martha Argerich -  Klavier

Joseph Haydn
– Sinfonia concertante B-Dur Hob. I:105
Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur KV 365 (316a)
Ludwig van Beethoven – Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56 »Tripelkonzert«

Elbphilharmonie, Großer Saal, 27. Juni 2024

von Jörn Schmidt

Man kann Professor Kühnel gar nicht genug danken, dass er „La Martha“ 2018 als Residenzkünstlerin in die Laeiszhalle geholt hat. Argerich allein ist schon großartig, den besonderen Zauber macht aber erst das wundervolle Motto des Martha Argerich Festivals aus: Musizieren unter Freunden.

Martha Argerich kommt eben nicht allein nach Hamburg, sie bringt gleich ihre große Musikerfamilie mit. Angesichts der vielen Sternstunden in der Laeiszhalle und anderswo wird man sich im schweizerischen Lugano heute noch ärgern, dass man die Argerich nach Hamburg ziehen ließ. Nochmals danke, Professor Kühnel.

Apropos Familie, jeder zweitklassige Paartherapeut wird Ihnen sagen: Passen Sie bloß auf, zu viel Harmonie in einer Partnerschaft ist gar nicht gut, da bleibt die Liebe auf der Strecke. War der Therapeut zuletzt mal auf einem Seminar, wird er vielleicht sogar von toxischer Harmonie sprechen.

Man braucht aber eigentlich gar keinen Therapeuten, und Psychologie muss man auch nicht studiert haben, um zu verstehen: Reibungspunkte gibt es nun mal, wenn Menschen aufeinander treffen. Das  ist auch nicht schlimm, man muss nur wissen, damit umzugehen. Dann kann Reibung sogar beflügeln.

Tränen und Wutanfälle sind untauglich im Umgang mit Konflikten. Die Bedürfnisse anderer über die eigenen stellen, um Konflikte zu vermeiden, ist aber genauso schlecht. Denn dann passiert früher oder später, was auch keiner will. Individualität geht verloren. Und wenn man die Partnerschaft über alles stellt, fehlt externer Einfluss. Man genügt sich selbst. Wie langweilig, alles wird nur noch unter den Teppich gekehrt.

Genau das widerfuhr am Donnerstagabend Haydns Sinfonia concertante. Symbiose statt frischer Impulse. Alle brillierten, aber niemand wollte ein anderes Mitglied der Argerich-Familie  übertrumpfen. Selbst Albrecht Mayer nicht, trotz leuchtend roter Jacke. Es gab jede Menge kammermusikalischen Austausch untereinander inklusive liebevoller Blicke. Das Orchester hätte dazwischenhauen müssen, mit geschärften Streichern und kühner Rhythmik. Tat man aber nicht, man blieb auf einer Wellenlänge. Das klang alles wunderschön, aber genau genommen langweilig.

Bei Mozart KV 365 wurde es spannender, David Kadouch, der bereits beim  Turangalîla-Experiment der Symphoniker Hamburg auftrumpfen konnte, gab Akane Sakai streckenweise ordentlich Zunder. Die wehrte sich keck, nur das Orchester blieb blass. Grundsätzlich ist ein perlender Mozartklang eine feine Sache, aber wenn sich das darauf beschränkt, die Solisten auf Händen zu tragen, dann fehlen Reibungspunkte. Und das ist…

Man liest immer noch zu oft, Beethovens Tripelkonzert, das sei ein Nebenwerk. Es leide zuvörderst darunter, dass Beethoven es Erzherzog Rudolph in die Finger geschrieben habe. Der war ein Gönner des Komponisten, sei aber eben auch ein nur mäßig begabter Klavierspieler gewesen. Davon ist nichts mehr zu hören, wenn Martha Argerich am Flügel Platz nimmt.

Auch mit über 80 Jahren spielt Argerich immer noch sehr energisch, zuweilen mit liebenswertem Ingrimm, aber immer mit Klarheit in Anschlag und Aufbau. Gil Shaham bekam das zu spüren, er konterte mit blitzsauberer Technik und unglaublich schnell. Dabei immer mit zauberhaft-jungenhaftem, allerfeinstem Humor. Der französische Cellist Edgar Moreau versuchte mutmaßlich zu vermitteln, jedenfalls ging er seinen Part entspannt und wahrhaftig an. Trotzt leuchtend roter Strümpfe und rot-oranger Santoni-Schuhsohlen. Da war nichts Manieriertes zu hören. So geht solistische Spannung auf Augenhöhe.

Orchestral ist das Werk von Beethoven’scher Leichtigkeit geprägt. Da kann man noch so viel diskutieren, ob es musiktheoretischen Normen vollauf gerecht wird, ein Werk darf auch mal einfach schön klingen, zumal auf diesem hohen Niveau. Sylvain Cambreling, ohnehin längst per Du mit Beethoven, dirigiert wie zum Mitsingen. Das, also mitsingen, tat zum Glück keiner, obwohl man das in der Elbphilharmonie ja ständig befürchten muss.

So war es einfach nur herrlich. Und wenn es demnächst mal wieder Streit zu Hause gibt, dann wissen Sie: Das kommt in den besten Familien vor und tut gut. Ach was, zum NIEDERKNIEN ist das.

Jörn Schmidt, 28. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Symphoniker Hamburg, Martha Argerich, Sylvain Cambreling Laeiszhalle, 25. April 2024

Martha Argerich, Klavier, Wiener Philharmoniker, Dirigent Zubin Mehta Konzerthaus Wien, Großer Saal, 20. März 2024

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