Auf den Punkt 23: Hört Stefan Vladar etwa heimlich Emerson, Lake & Palmer?

Auf den Punkt 23: Hört Stefan Vladar etwa heimlich Emerson, Lake & Palmer?  klassik-begeistert.de, 15. September 2024

Bo Skovhus © Roland Unger

Blues, Jazz und Rock, selbst Country und Popmusik können genauso berühren wie klassische Musik. Paradebeispiel sind die American Recordings Alben, die Rick Rubin mit dem US-amerikanischen Country-Sänger Johnny Cash produziert hat. Allein seine Cover-Version von Bridge Over Troubled  Water, aufgenommen mit Fiona Apple, schlägt das Original um Welten. Die Präsenz der brüchigen, bereits von Krankheit gezeichneten Stimme von Johnny Cash, kontrastiert mit Fiona Apples glockenklarem Gesang. Und das alles sparsamst instrumentiert: Mich bewegt das immer wieder.

Sergei Prokofjew (18911953) / Sinfonie Nr. 1 D-Dur op. 25, »Symphonie classique«

Frank Martin (18901974) / Sechs Monologe aus »Jedermann« für Bariton und Orchester

Modest Mussorgsky (18391881) / Bilder einer Ausstellung, Orchesterfassung von Maurice Ravel

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Stefan Vladar, Dirigent

Bo Skovhus, Bariton

 Musik- und Kongresshalle, Lübeck, 15. September 2024

 von Jörn Schmidt

Beide Genres zu mischen, also zum Beispiel Rock und Klassische Musik, das funktioniert in der Regel überhaupt nicht. Ich habe nie verstanden, wieso sich das London Symphony Orchestra dafür hergegeben hat, Nothing Else Matters mit Metallica einzuspielen. Hoffentlich hat es sich finanziell gelohnt und die Tantiemen wurden krisensicher angelegt.

Musikalisch so überhaupt nicht gelungen ist die Vertonung von   Mussorgskys Bilder einer Ausstellung, die Emerson, Lake & Palmer (ELP) 1971 in der Newcastle City Hall aufgenommen haben. Das Album soll es im Dezember 1971  tatsächlich auf Platz 3 der britischen Album-Charts geschafft haben. Vielleicht war es ja unter den Last-Minute-Verlegenheits-Weihnachtsgeschenken.

Aber dass ELP damit meinen Geschmack nicht getroffen haben, heißt nicht, dass die Herren keine ernsthaften Musiker sind und die russische Vorlage nicht verstanden hätten. Im Gegenteil, mir scheinen die Rocker weiter gewesen zu sein als so mancher Rezensent, der in den Bildern Programmmusik sieht. ELP haben ihrer Fassung nämlich einen Songtext hinzugesetzt. Ich beziehe mich unter anderem auf diese Strophe:

My life’s course is guided

Decided by limits drawn

In charts of my past ways

And pathways since I was born

Da hat jemand begriffen, dass Mussorgsky mitnichten vertonen wollte, wie er oder sonst wer durch eine Ausstellung schlendert und sich Bilder von Viktor Hartmann ansieht. Die Bilder und insbesondere der Tod seines Freundes Hartmann haben Mussorgsky statt dessen inspiriert, zu schildern, wie man durchs Leben geht. Dazu nochmals ELP:

There’s no end to my life

No beginning to my death

Death is life

Stefan Vladar © Jochen Quast

Das hat auch Stefan Vladar verstanden und sich nicht gefragt, ob die Eierschalen nun weiß oder braun sind, wenn die Küken darin Ballett tanzen. Sondern alle menschlichen Emotionen herausgearbeitet, die das Leben so bietet. Die Küken stehen dabei, natürlich, für Kindheit und Leichtigkeit. Das große Tor von Kiew, das hatte am Ende die Wucht eines Dies Irae und versprach gleichzeitig Erlösung.

Dazu passte bestens, dass Vladar einige Feinheiten von Ravels Orchestrierung verschliffen hatte zugunsten einer  Schroffheit, wie sie Mussorgsky gefallen hätte. Das es ruppig wird, kündigte sich bereits zu Beginn des Konzerts an. Dirigenten geben der Symphonie classique gerne mal ein helles, offenes Klangbild. Vladar verlieh  Prokofjew mehr Ernsthaftigkeit, das passte wunderbar. Das Leben fluppte da trotzdem  noch  störungsfrei.

Dass es im Leben auch weniger glatt laufen kann, darauf bereitet Bo Skovhus vor. Die Sechs Monologe aus »Jedermann« für Bariton und Orchester konnten ohne Weiteres als Überleitung zur Vladars grüblerischer  Mussorgsky-Interpretation verstanden werden. So geht kluge Programmgestaltung. Wie so oft war nicht das Hauptwerk der Höhepunkt des Konzerts, sondern Frank Martins Arbeit.

Zu verdanken war das zuvörderst Bo Skovhus. Ich möchte wetten, dazu lesen Sie zeitnah mehr hier bei klassik-begeistert. Ich beschränke mich indessen auf ein paar Worte in Bo Skovhus Muttersprache: Mange tak, Bo. Jeg blev dybt rørt. Wenn das jetzt schlechtes Dänisch war, gerne die Kommentarfunktion nutzen und anmerken.

Jörn Schmidt, 15. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Auf den Punkt 19: Mottoparty in der MUK klassik-begeistert.de, 30. Juni 2024

8. Symphoniekonzert, Stefan Vladar, Klaus Maria Brandauer, Rezitation Musik- und Kongresshalle, Lübeck, 2. Juni 2024

Auf den Punkt 6: Laeiszhalle, Symphoniker Hamburg und MUK, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck, 5. Mai 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert