Katharina Konradi, Kangmin Justin Kim © Hans Jörg Michel
Zur Premiere der Hamburger La clemenza di Tito am 28. April 2024 hatte ich bereits am Morgen des nächsten Tages eine Rezension veröffentlicht, seinerzeit als Autoren-Duo zusammen mit Regina König. Ich glaube, wir waren damit als erste online. Verbindlich bestätigen kann das aber nur der Herausgeber von klassik-begeistert, Andreas Schmidt – wobei Tempo natürlich rein gar nichts über die Qualität einer Rezension aussagt…Mittlerweile ist der Glanz der Premiere verblasst, Titus ist jetzt schnödes Repertoire. Aber wie fällt der Vergleich Premiere/Wiederaufnahme aus? Hier eine Analyse entlang der damaligen Aussagen. Verglichen wurden Dirigat, Inszenierung, Sänger und Publikum. Je Kategorie gab es einen Punkt.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791), La clemenza di Tito
Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg
Ben Glassberg, Musikalische Leitung
Jetske Mijnssen, Inszenierung
Staatsoper Hamburg, 22. Oktober 2024
von Jörn Schmidt
Titus ist ein Herrscher, dem das Leben allerhand zumutet. Er hätte seine Mittel, damit umzugehen, sich zu wehren und zu strafen – namentlich Macht und Herrschaft. Doch er lässt Milde walten, ganz der humanistischen Geisteshaltung verpflichtet. So wollte es Mozart…?
Dirigat: Punktsieg Fischer
Ádám Fischer (Jahrgang 1949) ist bekanntlich ein großer Mozart-Dirigent, und er hat das richtige Dirigenten-Alter. Dirigenten können gar nicht alt genug sein, meine ich. Der Orchestergraben war am Premiere-Abend vermutlich so hoch gefahren wie technisch möglich, als ob Fischer auf einer Konzertbühne stünde. Das hatte den kammermusikalische Austausch ungemein gefördert. Mit feiner Mimik und Gestik entlockte Fischer dem Orchester die gewünschten Emotionen und einen warmen, gefühligen Mozartklang.
Konnte Ben Glassberg (Jahrgang 1994) bei der Wiederaufnahme mithalten? Georges Delnon hat offensichtlich ein gutes Händchen für junge Dirigenten, von Louis Lohrasebs Figaro-Dirigat war ich letzte Spielzeit überaus angetan. Louis Lohraseb hat mir übrigens seinerzeit zum Thema Mozart ein wunderschönes Interview gewährt, das Sie hier bei klassik-begeistert nachlesen können.
Glassberg geht einen Mittelweg, sein Mozart geriet nicht wirklich kalt, aber irgendwie schien es, als wolle er Sentimentalitäten aus dem Weg gehen. Das ist im Grunde wenig überraschend, denn der junge Maestro ist ehemaliger Assistent und nun Vertrauter von Omer Meir Wellber. Der ist bekanntlich historisch informiert unterwegs, jedenfalls bei Mozart und wenn auch mit starker eigener Note. Wie auch Wellber, dem er als Musikdirektor an die Wiener Volksoper nachfolgte, dürfte Glassberg mit einer großen Portion jüdischen Humors gesegnet sein.
Zudem ist Glassberg, der in Cambridge und an der Royal Academy of Music studiert hat, gelernter Perkussionist, so wie Sir Simon Rattle. All das ist sicherlich prägend gewesen, Glassberg vermittelte dem Orchester mit seinem schmissigen Dirigat Mozart-Spaß pur. Das steht der Oper recht gut, nimmt es ihr doch diese gewisse Längen, die bei Mozart immer so ein Problem sind. Aber die Emotionen, die verblassten dabei. Premiere 1 : Repertoire 0.
Inszenierung: Unentschieden
An Jetske Mijnssens Inszenierung hat seinerzeit gefallen, dass sie Titus nicht auf berechnenden Machtmenschen bürstet, der den Humanismus missbraucht, um an der Macht zu bleiben. Sondern, dabei stark psychologisierend und das eine oder andere Rezitativ dankenswerterweise über Bord werfend, einen 4-Punkte-Plan entwirft, wie man einen Machtmenschen wahrhaftig zum Humanismus bekehrt:
Step 1 – Delizia: Titus lernt die Freude kennen, er feiert mit Freunden. Leider ist das nur eine kurze Episode in seinem Leben, nach der Ouvertüre ist es damit im Grunde schon wieder vorbei.
Step 2- Potere: Titus lernt, an der Macht Gefallen zu finden. Diese Freude ebbt aber auch irgendwann ab, und er muss den nächsten Schritt gehen.
Step 3 – Tradimento: Irgendwie verändern sich alle, seit Titus an der Macht ist. Plötzlich dominiert überall Verrat, dem Titus nur mit viel Glück entgeht.
Step 4 – Clemenza: Titus flüchtet sich in Milde. Allen, die ihm Böses wollten, vergibt er.
Das Konzept erscheint immer noch stimmig, weil es die Oper nicht zu einem Sieg des Humanismus verklärt. Auch anlässlich der Wiederaufnahme wird auf der Bühne kurz vor Schluss ein kleines Bäumchen gepflanzt. Es ist ohne Zweifel ein Humanismus-Bäumchen, da bin ich mir ganz sicher. Aber nach wie vor findet sich weit und breit keine Gießkanne, um die zarte Pflanze anzugießen. Das kann nicht gutgehen, wie Ihnen jeder Gärtner erklären kann. Und wenn man sich auf der Welt so umsieht, so ist die fehlende Gießkanne für mich nach wie vor die Schlüsselszene dieser Inszenierung. Claus Kleber könnte dazu einiges berichten, nach all den Jahren heute-journal. Premiere 2 : Repertoire 1.
Ensemble: Hier punkten unterm Strich die Premieren-Sänger
Bei den Sängern herrschte Licht und Schatten, wie so oft in Hamburg. Annio war dieses Mal mit einem Mezzosopran besetzt, Kady Evanyshyn wirkte irgendwie angestrengt. Zur Premiere war mit Kangmin Justin Kim ein Countertenor aufgeboten. Das wirkte stimmiger und entspannter. William Guanbo Su (Publio) dagegen ist die Sorte Bass, von der ich zu schreiben pflege: Wenn der Luft holt, muss manch einer im Umkreis von 10 Metern anschließend unters Sauerstoffzelt. Zum sanglichen Unentschieden reichte es dennoch nicht, denn Tenor Oleksiy Palchykov (Titus) blieb rundum blass. Das gelang Bernard Richter am Premiere-Abend deutlich besser. Premiere 3 : Repertoire 1.
Publikum: Unentschieden
Zur Premiere hatten wir hervorgehoben, dass keine der zuweilen üblichen Störgeräusche von Husten bis Quasseln vernehmbar waren. Dieser Umstand hat heutzutage ja fast schon den Status einer Sondermeldung… Der Applaus fiel seinerzeit übrigens sehr freundlich aus. Beides lässt sich auch über den heutigen Abend sagen. Premiere 4 : Repertoire 2.
Fazit
Im Ergebnis sind Wiederaufnahmen besser als ihr Ruf. Zwar fährt die Premiere einen Sieg nach Punkten ein, was zuvörderst Ádám Fischer verantwortet. Eben weil er dem Abend einen Hauch von Magie verlieh, im direkten Vergleich fiel das Dirigat von Ben Glassberg zu nüchtern aus. Ein gelungener Abend war es gleichwohl, auf Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg ist eben Verlass.
Jörn Schmidt, 23. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wolfgang Amadeus Mozart, La clemenza di Tito Staatsoper Hamburg, 28. April 2024 PREMIERE
Sehr geehrter Herr Jörn,
ich finde solche Analysen grundsätzlich interessant.
Aber wäre es nicht sinnvoller der Problematik mehr Aufmerksamkeit zu schenken, warum seit geraumer Zeit kaum mehr Zuschauerfür Opern-Aufführungen in Hamburg zu gewinnen sind, aktuell für Samstag – 26.10.2024 – wurden bislang kaum Tickets für „La clemenza di Tito“ verkauft.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Fischer
Lieber Herr Fischer,
wir haben den Zuschauerschwund in der Staatsoper Hamburg schon intensiv analysiert und werden dies auch weiter tun.
Herzlich
Andreas Schmidt
Herausgeber